„War nie Jäger, aber nahe dran“Investigativjournalist Hans Leyendecker wird 70

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Hans Leyendecker dpa

Hans Leyendecker

Leichlingen – Er ist einer der profiliertesten Journalisten, Kirchentagspräsident, Borusse und Familienmensch. Selbstkritisch, bodenständig, uneitel. Hans Leyendecker hat mit seinen investigativen Recherchen - von der Flick-Affäre 1982 bis zu den „Panama Papers“ 2016 - über Jahrzehnte immer wieder die Republik aufgerüttelt. Über seine Enthüllungen sind Politiker und Topmanager gestrauchelt. Am 12. Mai wird Leyendecker, der in Leichlingen lebt, 70 Jahre alt. „Ich habe drei Lebenswerk-Preise bekommen und will keinen vierten mehr, weil da auch immer Dinge gerühmt werden, wo man denkt: Das war doch eigentlich viel schlechter.“

Leyendecker berichtete fast zwei Jahrzehnte lang für den „Spiegel“, ab 1997 für die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ). Dort baute er ein Investigativ-Ressort auf, deckte Affären und Korruptionsfälle in Politik und Wirtschaft auf, auch die schwarzen Kassen von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) in den 1990er Jahren. Als Teil eines internationalen Rechercheteams veröffentlichte er 2016 die Aufsehen erregenden „Panama Papers“ über Briefkastenfirmen und Steuertricksereien.

Mit Blick auf seine Berichte rund um Waffenhandel, um Skandale in Rathäusern oder Konzernen sagt der Autor rückblickend: „Das war gute Arbeit, zu der man stehen kann.“ Da sei er mit sich im Reinen. Viele Storys hat er daheim in seinem Haus im Bergischen verfasst - inzwischen unterm Dach. Denn sein früheres Bürohaus im Garten ist für die Enkel umfunktioniert - neun sind es. Und fünf Kinder. Ihre Fotos hängen überall im Haus. Dagegen ist seine „Spiegel“-Titelgeschichte 1993 über Bad Kleinen für Leyendecker weiter ein „Alptraum“. Es ging um den missglückten Einsatz der Spezialeinheit GSG 9 gegen die RAF und die angebliche Hinrichtung des Terroristen Wolfgang Grams. Der Bericht war nicht korrekt, seine Quellen waren unzuverlässig. „Es war ein großes handwerkliches Versagen.“

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Der Autor steht zu seinen Fehlern. „Wenn mich junge Leute fragen, wie Recherche, wie Journalismus funktionieren, dann rede ich am ehesten über mein Versagen, daran kann man es am besten erklären.“ Und er mahnt: „Man darf kein Jäger sein. Ich war nie Jäger, aber ich war nahe dran.“ Ein Beispiel: Lothar Späth, der 1991 als Ministerpräsident von Baden-Württemberg zurücktrat - auch wegen Leyendeckers Veröffentlichung über dessen „Traumschiffreisen“. „Mit unserer Vorgehensweise damals tue ich mich heute schwer“, so der Jourmalist, „besser wäre ein Weg gewesen, der ihn und seine Familie nicht so verletzt hätte.“ Spätestens mit dem tiefen Fall von Bundespräsident Christian Wulff sei ihm klar geworden, was Journalismus anrichten könne. 2012 lehnte Leyendecker den Henri-Nannen-Preis zusammen mit zwei SZ-Kollegen ab. Aus Protest, weil die Jury auch die „Bild“-Zeitung für ihre Berichterstattung in der Wulff-Affäre auszeichnete.

„Ich bin eine Mittelbegabung“

„Ich bin eine Mittelbegabung“, sagt Leyendecker über sich selbst, „ein ganz guter Recherchierer und ein einigermaßen guter Schreiber.“ 2016 gab er die Ressortleitung bei der SZ ab. Ob es eine Rückkehr in den Journalismus gibt, hat er noch nicht entschieden. Jetzt hat der 37. Evangelische Kirchentag Mitte Juni in Dortmund Top-Priorität. 2017 wurde er zum Präsidenten gewählt. Zuerst habe er Sorge gehabt, es zu „verbocken“. Vom kritisch hinterfragenden, Distanz wahrenden Autor zum Präsidenten eines Glaubensfestivals - wie gelingt der Rollenwechsel?

„Das geht aus der Glaubenshaltung heraus. Ich war immer ein gläubiger Mensch, fand es aber nicht nötig, das der ganzen Welt mitzuteilen.“ Seine Glaube habe ihm im Beruf nie geschadet. Leyendecker hat ein „irres Gottvertrauen“. Als er Prostatakrebs bekam, wartete er vier Jahre, bis er sich operieren ließ. Vor einigen Jahren konvertierte der frühere Katholik, der als Junge Priester werden wollte. Neben seiner Frau gibt es eine weitere jahrzehntelange große Liebe im Leben des Hans Leyendecker. „Ich bin seit 63 Jahren Borusse. Die Beziehung ist schon sehr fest“. Im Garten weht die schwarz-gelbe Borussia-Fahne. Seine Familie hat zwei Dauerkarten. „Unsere Kinder sind auch Borussen.“ Als Jugendlicher hat er selbst Fußball gespielt, später in Presse-Mannschaften. Der Publizist engagiert sich für den journalistischen Nachwuchs oder die Kindernothilfe. Im Altenberger Dom heiratete er seine Frau 2008 auch kirchlich - nach 36 Ehejahren. „Bei uns ist sie die Seele von allem.“ Seine Familie sei ihm oft wichtiges Korrektiv gewesen - „wenn ich mal wieder Mister Wichtig war.“ (dpa)

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