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Angebote trotz Corona-KriseEin bisschen Leben in der kulturellen Ödnis

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Ferdinand Linzenich macht bei den Lesungen mit.

Ferdinand Linzenich macht bei den Lesungen mit.

Bergisch Gladbach – Auf ein großes Echo stößt das Literaturprojekt „Wir lesen vor: Worte verbinden“, das Lesungen auf unterschiedlichen Kanälen ermöglicht. Autoren und Bühnenkünstler gingen damit am 30. März an den Start, sie wollen auch in den Zeiten von Corona für ein kulturelles Angebot sorgen. Nach rund drei Wochen scheint das gelungen, die unterschiedlichen Formate – Lesungen per Telefonkonferenz, per Whatsapp oder als Videoaufzeichnung auf einer Webseite – haben ihr Publikum gefunden, das weiter wächst.

Am deutlichsten lässt sich das bei dem Format „Litera-Tuerchen“ ablesen, bei dem Interessierte täglich per Whatsapp einen fünf bis zehn Minuten langen Beitrag erhalten, eine Kurz-Lesung als Audiodatei. Inzwischen gehören rund 200 Menschen der Whatsapp-Gruppe an. In den Texten lassen sich auch mal Bezüge zum Leben im Corona-Zeiten entdecken. So wollen in einem von Martin Hardenacke gelesenen Joachim-Ringelnatz-Gedicht Ameisen von Hamburg nach Australien reisen, sie kommen aber nur bis Altona: Das lässt Parallelen zur Tourismus-Krise heute erkennen. Die „Litera-Tuerchen“-Nutzer wohnen größtenteils in Bergisch Gladbach und Umgebung, aber auch in Stuttgart oder Nürnberg sind einzelne Literaturfreunde auf das Angebot aufmerksam geworden. Ein weiterer lebt in Australien, wohin es die Ameisen nicht geschafft haben. Unter die Vorleser haben sich inzwischen auch bekannte Kulturschaffende wie Ferdinand Linzenich gemischt.

An Zahlen festmachen lässt sich die Resonanz auch beim „Litera-View“, bei dem wöchentlich ein längeres, bis zu halbstündiges Video von einer Lesung veröffentlicht wird. Es lässt sich über die Internetseite des Bürgerportals abrufen, eine von Heinz-D. Haun präsentierte Drachentöter-Geschichte von Jürgen Lodemann wurde dort inzwischen rund 250 mal abgerufen. Beim „Litera-View“ präsent ist zum Beispiel auch Oliver Buslau, der aus seinem neuen Krimi „Feuer im Elysium“ vorliest. Für mindestens sechs Wochen im Voraus haben sich bereits weitere Vorleser angemeldet.

Telefonkonferenz als Kommunikationstool

Während bei „Litera-Tuerchen“ und „Litera-View“ bereits fertige Beiträge zu konsumieren sind, gibt es mit dem „Litera-Fon“ auch ein Live-Format, bei dem Lesende und Publikum sich austauschen können. Das funktioniert per Telefonkonferenz, die Termine der telefonischen Lesungen stehen im Veranstaltungskalender der Tageszeitungen. Fast täglich gibt es ein Angebot – auch mal zwei pro Tag. Haun zeigt sich begeistert von dieser Form des Kontakts: „Das ist vollkommen anders, als wenn man zu einer Lesung in einen Saal geht.“ Die Zuhörer könnten es sich bequem machen – mancher auf dem Bett, andere auf dem Balkon – und „aktiv lauschen“. Erfreulich findet es Haun außerdem, dass auch Texte von bisher wenig bekannten Autoren ihr Publikum finden. Diese Offenheit der Zuhörer hat sicher damit zu tun, dass die Schwelle zur Teilnahme relativ niedrig ist: Das Angebot ist – wie die anderen Formate – kostenlos, die Dauer der Lesungen ist mit zehn bis 15 Minuten überschaubar. Zudem entfällt die Anfahrt zum Veranstaltungsort.

„Das ist eine vollkommen neue Qualität“, freut sich Haun. Er hat festgestellt, dass bei den Telefonkonferenzen immer wieder auch neue Interessierte teilnehmen: „Es zieht seine Kreise.“ Am Rande der Telefon-Lesungen ist auch ein bisschen Smalltalk möglich und das Publikum kann eine Rückmeldung geben. So ist mancher durchaus verblüfft, als Stefan Kuntz aus dem Roman „Der Geschichtenerzähler“ von Mario Vargas Llosa vorliest: Es geht um einen Mythos von Amazonas-Indianern, in dem auch Fäkalien vorkommen – in sehr direkter Sprache.

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Doch nicht nur die Zuhörer lassen sich auf solche Experimente ein, auch die Zahl der beteiligten Kulturschaffenden wächst. Inzwischen ist es ein Kreis von 15 bis 20 Aktiven, aus Bergisch Gladbach und darüber hinaus, weitere Mitstreiter können sich per E-Mail (hdhaun@posteo.de) bei Haun melden. Zur Belebung der Corona-bedingten kulturellen Ödnis trägt das Projekt jedenfalls bei, zum Einkommen der Autoren und Bühnenkünstler jedoch nicht. „Dafür machen wir es auch nicht“, sagt Haun. Das Projekt sei von vornherein ehrenamtlich angelegt.

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