„Stärke und Mut“Schicksal als misshandeltes Pflegekind im Roman verarbeitet

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Mitten im Leben: Autor Frank Bergmann sieht sich nicht als Opfer. Er hat aus seinem Schicksal Kraft gewonnen.

  • In seinem Roman „Stärke und Mut“ verarbeitet Frank Bergmann seine Kindheit.
  • Er ist bei Pflegeeltern aufgewachsen, die ihn misshandelt haben.
  • Der Inhalt des Buches lässt keinen Kalt.

Bergisch Gladbach – „Mir war es wichtig, sachlich zu schreiben“, sagt Frank Bergmann über seinen biografischen Roman „Stärke und Mut“. Sein Stil ließe sich sogar als nüchtern charakterisieren, das Buch wirkt wie ein Lebensbericht. Doch  der hat es in sich, er zieht den Leser in seinen Bann. „Die Emotionen sind in der Geschichte drin“, sagt Bergmann: Das Leben des 1960 geborenen Michael, von der Geburt bis zum Erwachsenenalter, lässt keinen kalt.

Seine Eltern geben ihn als Baby im Kinderheim ab.  Michael erlebt ein liebloses Umfeld, wird als uneheliches Kind diskriminiert, reagiert mit Aggression. Mit fünf Jahren nehmen ihn Pflegeeltern auf, doch die Pflegemutter Inge bereitet ihm neue Schmerzen, körperlich und seelisch. Sie ist launisch, jähzornig und  mit dem Kind überfordert.

Strafen sind für Michael oft nicht nachvollziehbar, die Situation wird eindringlich aus der Sicht des Jungen geschildert. Da kann Inge „nicht  aufhören zu schlagen“, wirft Michael seine Herkunft vor und nennt ihn „schwierig“, „kriminell“ oder „Pollackenpack“, weil sein leiblicher Vater aus dem heutigen Polen stammt. Michael empfindet Angst, kann sich auch gegen Übergriffe mit einer sexuellen Dimension zunächst nicht wehren. Mit 14 Jahren stellt er schließlich fest, dass er Inge körperlich überlegen ist, und macht ihr dies klar. Von da an enden die Schläge. Doch es ist ein langsamer und schwieriger Prozess, sich aus der Abhängigkeit von den Pflegeeltern zu befreien.

Parallel zu der Perspektive von Michael stellt Frank Bergmann auch die Sicht der leiblichen  Eltern dar. Der Leser solle ihre Motive verstehen, erklärt er. „Was ich nicht wollte, ist eine Anklage.“ Die Eltern sind unverheiratet und werden wegen der nichtehelichen Geburt diskriminiert, die Mutter wohnt in einer Holzhütte in einer Hamburger Gartenkolonie, ohne Trauschein findet das  Paar keine Wohnung. So gibt die Mutter ihr Baby aus purer Not ins Kinderheim. Als die Eltern schließlich geheiratet haben, versucht die Mutter,  ihren Sohn Michael zu vergessen.

Es folgen mehrere Versuche, sich über das Wohlergehen des Sohns zu erkundigen, die Pflegemutter blockt sie jedoch ab. Erst durch die Nachricht vom Tod seines Vaters und einer ihm zufallenden Erbschaft ist der inzwischen erwachsene Michael direkt mit seinen Eltern konfrontiert.

Er lernt seine Mutter kennen und erfährt erstmals die Hintergründe ihres Handelns. „Ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, dass auch sie gelitten haben könnte“, sagt er hinterher.

Trotz des schnörkellosen Erzählstils umfasst das Buch mehr als 400 Seiten, Bergmann schildert die Geschichte anhand zahlreicher Begebenheiten, damit werden die Gefühle und die Entwicklung der Handelnden plastisch. Die Details sind aber nicht ermüdend, die Lektüre entwickelt regelrecht einen Sog.

Etwas schwer nachvollziehbar ist aus heutiger Perspektive die unverhüllte Diskriminierung der unverheirateten Mutter als „Flittchen“ und des nach Hamburg geflüchteten Vaters als „Pollacke“. Sehr eindringlich und stets authentisch wirken dagegen die Empfindungen von Michael. Das ist die große Stärke des Romans.

Hintergrund ist Frank Bergmanns eigene Lebensgeschichte: Was Michael passiert, hat der Autor mehr oder weniger selbst erlebt. Er legt dies in den Danksagungen am Ende des Buchs offen. „Es ist meine Geschichte“, sagt er klipp und klar. Natürlich sei der Stoff literarisch gestaltet, nicht jede Einzelheit sei dem eigenen Erleben entnommen.

So stimmen auch wesentliche biografische Daten von Autor und Romanfigur überein: Bergmann stammt aus Hamburg und ist heute 56 Jahre alt. Anders als Michael im Roman hat er nicht Jura studiert, sondern einen sozialen Beruf gewählt, er ist als Reha-Manager in Bergisch Gladbach tätig. Er hat  inzwischen viele Bindungen im Bergischen Land, vor allem in seinem langjährigen Wohnort Overath, wo er bis heute bei den Kickers Katzemich Fußball spielt.

„Es geht mir auch darum, zu der Geschichte zu stehen“, sagt Bergmann. Die literarische Aufarbeitung sei „eine Botschaft an Menschen, denen Ähnliches passiert ist“. Wer Lieblosigkeit erfahren habe und „Opfer“ geworden sei, müsse es nicht bleiben: „Jeder kann sein Leben in die Hand nehmen – egal, was passiert.“ In schweren Erfahrungen liege auch das Potenzial, daraus Kraft zu schöpfen.   Das spricht  der Titel des Romans an. Bergmann ist es wichtig,  auch die Situation seiner Elterngeneration zu schildern. Die 60er-Jahre hält er  für „das emotional kälteste Jahrzehnt“ der Nachkriegsgeschichte.

Der Gedanke, seine Lebensgeschichte aufzuschreiben, sei über die Jahre immer wieder mal aufgekommen, sagt Bergmann. Umgesetzt hat er die Idee aber erst nach einer ersten Erfahrung als Autor: 2014 veröffentlichte er das Kinderbuch „Von Prinzen und Prinzessinnen“, das gab ihm Rückenwind für sein Romanprojekt. Im Sommer 2014 habe er mit dem Schreiben des Romans begonnen, ein Jahr später war  „Stärke und Mut“ fertig.

Inzwischen arbeitet Frank Bergmann an einem weiteren Roman, unter dem Titel „Das Lied des Wolfes“ will er die Geschichte von Michael weitererzählen. Die eigene Biografie soll sich diesmal aber nicht in der Handlung spiegeln, es geht um einen frei erfundenen Stoff.

Frank Bergmann: Stärke und Mut. Biografischer Roman. Franzius Verlag, Bremen 2015, 420 Seiten, ISBN 978-3-945509-86-9, 14,90 Euro.

www.frank-d-bergmann.de

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