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Beim Sozialamt abgewimmeltGladbacher findet regungslosen Mann und bekommt keine Hilfe

Lesezeit 4 Minuten
In Bergisch Gladbach gibt es geschätzt 100 Wohnungslose. In der Pandemie hat sich die Situation verschärft.

In Bergisch Gladbach gibt es geschätzt 100 Wohnungslose. In der Pandemie hat sich die Situation verschärft.

Bergisch Gladbach – Im Vorbeifahren aus dem Autofenster sieht er ihn: einen Menschen, der leblos mitten auf dem Bürgersteig liegt, morgens um 11 Uhr im Stadtteil Moitzfeld, nicht weit von der Kirche St. Joseph entfernt. Rudolf Hermes dreht um, will helfen.

Der Mann liegt regungslos auf dem Rücken, den Kopf zur Seite gedreht in der prallen Sonne. Seine Klamotten liegen verstreut auf dem Rad- und Gehweg. Rudolf Hermes berührt die Schulter, spricht den Obdachlosen an und ist froh, dass er lebt: „Er reagierte in kaum verständlichen Wortfetzen, schlief aber sofort wieder ein“, erzählt der pensionierte Gymnasiallehrer.

Sozialamt verweist nur an Drogenberatung weiter

Hermes wählt den Polizeinotruf. In den 15 Minuten, bis die Polizeibeamten kommen, versucht er, telefonisch weitere Hilfe einzuleiten. Doch beim Sozialamt wird er abgewimmelt, er erhält die Nummer der Drogenberatung. Dort teilt man ihm mit, man sei für so etwas nicht zuständig. „Der Mann müsse sich schon von sich aus an die Beratung wenden“, sei die lapidare Auskunft gewesen. „In diesem Zustand ist er doch weit entfernt davon, dies zu können, selbst wenn er es wollte“, ärgert sich der Helfer. Und er warnt: „Wenn der Mann nachts bei niedrigen Temperaturen draußen schläft, ist seine Gesundheit akut gefährdet.“

Trotzdem könne man jetzt nichts machen, heißt es vom Sozialamt. Während er auf die Polizei wartet, erinnert Hermes sich an einen aufsehenerregenden Fall, der sich 2016 in Essen ereignete. Ein 83-Jähriger brach im Vorraum einer Bank zusammen und starb wenig später. Kunden stiegen über den Rentner hinweg, dies zeigten die Bilder der Überwachungskamera. Zwei Männer und eine Frau wurden wegen unterlassener Hilfeleistung zu Geldstrafen verurteilt: Sie dachten, der Mann sei obdachlos und würde nur schlafen.

Arzt fährt einfach am reglosen Mann vorbei

„Wie ist so etwas möglich?“ fragt sich Hermes. Mittlerweile sind etwa zehn Minuten in Moitzfeld vergangen, als sich ein Radfahrer nähert. Ein Arzt, den Hermes kennt. Fassungslos jedoch muss der Rentner registrieren, wie der Mediziner dem hilflos auf dem Radweg daliegenden Mann ausweicht und so tut, als ob es ihn nicht gebe. Wenig später bleibt ein anderer Passant stehen und berichtet, dass er den Obdachlosen am Abend in seinem Garten erwischt habe, wohl auf der Suche nach einer Schlafstelle. Er habe ihn weggeschickt.

Eine nachvollziehbare Aktion, wie Hermes findet. Viele Leute, die auf der Straße leben, sind aggressiv und daueralkoholisiert. „Und trotzdem muss sich doch jemand für den hilflosen Mann verantwortlich fühlen“, sagt der Ex-Lehrer. Als die Polizisten ankommen, sagen auch die Beamten, in solchen Fällen könne man meist nichts anderes machen, als die Obdachlosen weiterzuschicken. Irritiert und ratlos fährt Hermes weiter zu seinem Termin.

Entweder Ausnüchterungszelle oder Krankenhaus

Wie Polizeisprecher Christian Tholl später erläutert, seien die Polizisten bei Menschen der Straßenszene oft in der schwierigen Situation, zu entscheiden, ob eine Gefahr von Fremd- oder Eigengefährdung bestehe. Dann gebe es zwei Möglichkeiten: Ausnüchterungszelle oder Krankenhaus. Laut Einsatzbericht sei für den Mann auf dem Bordstein ein Rettungswagen gerufen worden. Der Alkoholtest habe einen Wert von zwei Promille angezeigt.

Die Stadtverwaltung und zuständige Abteilung „Soziale Förderung“ bedanken sich auf Anfrage dieser Zeitung für den persönlichen Einsatz von Rudolf Hermes. „Wir bedauern, dass eine Mitarbeiterin den Rat gegeben hat, sich an die Drogenberatung zu wenden“, sagt Stadtsprecherin Marion Linnenbrink.

Hermes sieht Mann später vor einem Lokal

Tatsächlich gebe es im Bereich der „Sozialen Förderung“ Kolleginnen, die die Betreuung von Nichtsesshaften abdecken würden – auch außerhalb der Innenstadt. „Zwei Streetworkerinnen auf halber Stelle kümmern sich um Obdachlose auf der Straße“, so Linnenbrink. Die Betreuung in den Unterkünften übernehme die Abteilung „Soziale Förderung“. In einer akuten Situation wie in Moitzfeld jedoch hätte der Rat gegeben werden müssen, die Feuerwehr zu benachrichtigen. Darüber, dass in dem Stadtteil ein älterer Obdachloser unterwegs sei, sei die Sozialverwaltung bereits informiert gewesen, berichtet Linnenbrink. Dazu habe es in der Stadtverwaltung auch schon einen Austausch gegeben, um eine Unterstützung anzubieten.

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Ob der hilflose Mann auf dem Bordstein in Moitzfeld im Krankenhaus angekommen ist, bleibt unklar. Der Polizeisprecher weiß es nicht. Vielleicht ist der Mann aus dem Krankenwagen einfach wieder ausgestiegen. Denn Rudolf Hermes sieht ihn auf dem Rückweg seines Termins vollkommen unbeweglich vor einem Lokal stehen. „Wir müssen von unserem Wohlstand etwas abgeben, damit mehr Streetworker eingesetzt werden können“, sagt er.

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