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Enkel soll ins HeimOverather Seniorin bedroht Polizisten und randaliert bei Prozess

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Symbolbild

Bergisch Gladbach/Overath – Aus dem Ruder gelaufen ist ein Einsatz von Polizei und Jugendamt in Overath. Die Beteiligten: Hier fünf Polizisten und zwei Mitarbeitende des Jugendamtes, dort die 69-jährige Agnes K. (Namen geändert), eine Großmutter, die nicht will, dass der Enkel ins Heim kommt.

Jetzt stand Agnes K. vor Gericht: wegen Widerstandes im besonders schweren Fall. Angesichts der behördlichen Übermacht erscheint das auf den ersten Blick wie ein absurdes Lehrstück in Sachen „Polizeiwillkür“. Aber auf den zweiten Blick nicht mehr. Denn im Bensberger Gerichtssaal gibt Großmutter Agnes K. Kostproben ihrer Destruktivität. Sie legt ein solches Störpotenzial an den Tag, dass drei Justizwachtmeister sie aus dem Gerichtssaal führen.

Angeklagte hält Behörden-Aktion für rechtswidrig

Die kleine alte Dame schlägt nicht um sich. Aber sie redet ständig dazwischen. Und hält sich dann die Ohren zu. Oder sie steht auf, stellt sich in die Ecke. Aber sie bleibt sitzen, als Richter Reinhard Bohn sein Urteil verkündet und sie zu einer im Vergleich zur Forderung des Staatsanwaltes milden Geldstrafe verdonnert.

Was ist passiert? Als am 29. Mai 2020 Polizei und Jugendamt anrücken, um ihren neunjährigen Enkel Max (alle Namen geändert) in Obhut zu nehmen, soll Agnes K. mehrere Polizisten mit einem goldfarbenen Brieföffner mit fünf Zentimeter langer Spitze bedroht haben. Im Prozess sagt sie: „Das ist alles gelogen. Ich bin zwar alt, aber ich bin nicht irre im Kopf.“ Ohnehin sei die Behörden-Aktion rechtswidrig gewesen.

Kind soll aus der Familie geholt werden, als der Vater droht

Das stellt sich aus der Sicht von Jugendamts-Mitarbeiter Klaus Hase (51) anders dar. Es habe begründete Sorge um das Wohl von Enkelkind Max gegeben. Das Kind habe bei seinem Vater Michael gelebt, weil die Mutter wegen ihrer Alkohol- und Drogensucht zur Erziehung nicht in der Lage war. Aber auch der Vater habe erhebliche psychische Probleme gehabt. Er habe aber das Jugendamt von sich aus um Hilfe gebeten. Die Kooperation zwischen Amt und Vater habe erst gut funktioniert, sich dann verschlechtert.

Am Tattag ist plötzlich Holland in Not. An dem Tag teilt nämlich die Schulleiterin von Max dem Amt mit, der Vater habe sie gerade bedroht. Darum will das Jugendamt das Kind nun doch aus der Familie holen – und zwar sofort. Die Behörden erfahren, dass Max bei seiner Oma sei. Vor ihrem Haus gibt es nach der Zeugenaussage sowohl des Pädagogen als auch den Angaben zweier Polizeibeamter erst ein längeres Geplänkel vor der Haustür, bis schließlich mehrere Beamte ins Haus können.

Angeklagte droht Polizisten mit Brieföffner

Dort kommt es zu der von Agnes K. komplett bestrittenen Widerstandssituation. Laut Streifenpolizist Manfred Igel (45) nimmt die Großmutter plötzlich einen spitzen Gegenstand in die Hand und richtet ihn drohend auf den Beamten. Er habe ihn ihr mit seiner behandschuhten Hand entwunden, der Gegenstand, der sich später als Brieföffner entpuppt, sei zu Boden gefallen und kaputtgegangen.

Igel sagt auch, er habe die Frau zurückgedrängt, um sie auf Distanz zu halten. Agnes K. dagegen gibt vor Gericht an, den Brieföffner, ein Souvenir aus Griechenland, habe sie nur deshalb kurz in die Hand genommen, um an das darunter liegende Telefonverzeichnis zu kommen. Sie habe Hilfe herbeirufen wollen. Gedroht habe sie nicht. Aber der Polizist habe sie vor die Brust gestoßen.

Angeklagte muss Zeugenaussage auf dem Flur abwarten

Wem glauben? Könnten sich Polizisten und Pädagogen abgesprochen haben? Theoretisch ja, es macht nur keinen Sinn, und mit ihrem zusehends aggressiven und rüpelhaften Verhalten im Gericht disqualifiziert sich die anfangs so harmlos wirkende Großmutter zusehends selbst.

Richter Bohn, gewöhnlich recht konziliant, ermahnt die Angeklagte mehrfach, als sie dem Mann vom Jugendamt ins Wort fällt. Dann droht er, sie müsse den Rest der Zeugenaussage in einer Zelle verbringen, und ruft die Wachtmeister. Schließlich entscheidet er, dass sie unter Bewachung auf dem Flur warten darf, bis Jugendamtsmitarbeiter Hase seine Aussage beendet hat. Als der Richter die Angeklagte danach über den Inhalt informieren will, hält sich die alte Frau wie ein kleines Kind die Ohren zu.

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Im Plädoyer fordert der Staatsanwalt sechs Monate Haft auf Bewährung, die Mindeststrafe für Widerstand im besonders schweren Fall. Richter Bohn verneint dagegen die besondere Schwere und verurteilt die Rentnerin zu 1800 Euro Geldstrafe, 90 Tagessätze zu 20 Euro.

Agnes K. kündigt im Gerichtssaal an: „Ich wende mich jetzt an die Öffentlichkeit.“

Ihr Sohn hat übrigens als Zeuge nicht aussagen können, weil er jetzt stationär in einer Klinik behandelt wird. Enkel Max lebt weiterhin im Heim. Es soll ihm besser gehen.

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