Abo

Gladbacher FußgängerzoneTaxis dürfen kranken Mann nicht vor Arztpraxis abholen

Lesezeit 4 Minuten
Johannes und Wiebke Prelle wünschen sich, dass die Menschlichkeit mehr Gewicht hat als die Straßenverkehrsordnung.

Johannes und Wiebke Prelle wünschen sich, dass die Menschlichkeit mehr Gewicht hat als die Straßenverkehrsordnung.

Bergisch Gladbach – Jeder Schritt fällt schwer, bedeutet eine enorme Anstrengung. Als Johannes Prelle, 84 Jahre alt, nach einem Arztbesuch einen Schwächeanfall erleidet, findet sich kein Taxifahrer, der ihn abholt. Das Problem: Der Arzt hat seine Praxis in der Fußgängerzone, wo Autoverkehr verboten ist. Die Taxifahrer würden ein Knöllchen riskieren.

Johannes Prelle leidet an einer Lungenfibrose. „Er ist extrem kurzatmig trotz des Sauerstoffkompressors und kann nur sehr mühsam laufen“, berichtet Wiebke Prelle. Sie begleitet ihren Mann, eingeordnet in Pflegestufe 3, an jenem Donnerstagmorgen zum Ohrenarzt im Haus am Bergischen Löwen. Das Warten und die Behandlung strengen ihn an. „Deshalb hat er sich danach gleich auf den nächsten Stuhl am Kiosk gesetzt“, sagt Wiebke Prelle.

Strafzettel für Taxifahrer

Die 83-Jährige geht hinein, um einen Kaffee zu bestellen. Als sie wieder rauskommt, liegt ihr Mann auf dem Boden. Passanten haben bereits einen Rettungswagen bestellt: „Aber da ist er nicht eingestiegen. Wie schon bei anderen Schwächeattacken, wollte er auf gar keinen Fall ins Krankenhaus“. Er habe gewusst, dass nichts Schlimmes passiert sei, „er wollte nach Hause.“

Befahren von Fußgängerzonen

In Bergisch Gladbach ist das Befahren von Fußgängerzonen Einsatzfahrzeugen zum Beispiel den Rettungsdiensten vorbehalten. Für den Lieferverkehr wird ein Zeitfenster werktags bis 11 Uhr eingeräumt. Ausnahmegenehmigungen werden nur aufgrund besonderer Umstände ausgestellt, teilt die Stadtverwaltung mit. Dazu gehören etwa Montagearbeitenoder Ladenumbauten. An den Enden der Fußgängerzonen stünden Parkplätze und Lieferzonen zur Verfügung. An der Poststraße in der Innenstadt seien im Übergang zur Hauptstraße zwei Behinderten-Parkplätze angelegt worden, um Betroffenen den Zugang zum dortigen Ärtzehaus zu erleichtern. (ub)

Aber es kommt kein Taxi. Die Fahrer vom Stand direkt gegenüber an der Paffrather Straße scheuen diesen Gefallen. Sie müssten quer über den Konrad-Adenauer-Platz fahren. Dies könnte ihnen ein Bußgeld in Höhe von 30 Euro einbringen, was auch ein Anruf von Wiebke Prelle bei der Taxizentrale bestätigt.

Taxifahrer in der Zwickmühle mit Ordnungsamt

„Das bedeutet ständig Stress für unsere Fahrer“, sagt Reschad Scherzad, Vorsitzender vom Taxiruf Bergisch Gladbach, mit 47 Fahrzeugen unterwegs im Stadtgebiet. „Wir sind als Dienstleister schwer in der Zwickmühle.“ Gerade eben habe er wieder einen 94-jährigen Fahrgast mit Rollator zu einer Arztpraxis in der Nähe des Cafés Extrablatt gefahren. „Natürlich habe ich ihn, bis zur Haustür begleitet. Das wäre gar nicht anders gegangen“, sagt Scherzad.

Aber andere Taxifahrer trauten sich nicht, sich über die Vorschriften hinwegzusetzen. Deshalb müsse eine klare Regelung her: „Wir fordern, dass die Fußgängerzone ganz offiziell für den Taxitransport von kranken und gebrechlichen Patienten befahren werden darf.“ In Kürze werde er einen entsprechenden Vorstoß bei der Stadtverwaltung starten.

Stadtverwaltung will keine Ausnahmeregelungen

Die Stadtverwaltung bestätigt die Regelung auf Grundlage der Straßenverkehrsordnung: „Das Befahren der Fußgängerzone mit dem Taxi ist grundsätzlich verboten“, erläutert Stadtsprecher Martin Rölen , „genauso wie mit Privatfahrzeugen.“ Der Verstoß stelle eine Ordnungswidrigkeit dar. „Diese Regelung wird auch sehr entschieden umgesetzt“, betont Rölen. In der Fußgängerzone gebe es viele Ärzte.

Eine Duldung von Taxi- oder Privatfahrten zum Beispiel gehbehinderter Menschen würde „eine Flut von Fahrzeugbewegungen nach sich ziehen“. Das könne nicht im Interesse der Fußgänger sein. Ausnahmeregelungen seien in Anbetracht dessen, dass die Fußgängerzone stark frequentiert sei, nicht vertretbar. Aber ganz so hartherzig will man im Ordnungsamt dann doch nicht gelten.

Enge Grenzen im Ermessensspielraum

Das Opportunitätsprinzip des Ordnungsamtes, zuständig für die Überwachung stehender Fahrzeuge, lasse es zu, in Einzelfällen eine Ordnungswidrigkeit nicht zu verfolgen. „Es gibt da einen Ermessensspielraum, dessen Grenzen sind aber sehr eng zu ziehen“, sagt Rölen.

Wird ein Fahrzeug fahrend angetroffen, muss die Polizei tätig werden. Es komme darauf an, wie sich der Einzelfall gestalte, teilt die Pressestelle der Kreispolizeibehörde schriftlich mit: „Sofern tatsächlich körperliche Einschränkungen dazu geführt haben, wird vermutlich kein Beamter ein Bußgeld erheben.“ Hinzu komme, dass in den meisten Fällen der Lieferverkehr freigegeben sei. Da mache es keinen Sinn, dass die Anlieferung von Paketen frei, die „Anlieferung“ von kranken Menschen unter Strafe gestellt werden sollte.

Das könnte Sie auch interessieren:

Johannes Prelle schafft es mit zwei Stöcken und der Hilfe seiner Frau bis zum Baum an der Laurentiuskirche. Ein beherzter Taxifahrer dreht eine Schleife dorthin und hilft ihm ins Auto. „Hätte er ein Knöllchen bekommen, hätten wir es gerne bezahlt“, sagt Wiebke Prelle. Für sie gehört es zu einer Hilfsleistung dazu, dass man sich über diese Bestimmung hinwegsetzt. „Oder sind wir mehr dem Gesetz verpflichtet als der Menschlichkeit?“, fragt sie.

Rundschau abonnieren