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InklusionBennett wird mit Wachstumsstörung an einer Regelschule unterrichtet

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Mathematik ist eins von Bennetts Lieblingsfächern an der Grundschule An der Strunde. Lehrerin Adelheid Kuschel-Kinting unterstützt ihn.

Mathematik ist eins von Bennetts Lieblingsfächern an der Grundschule An der Strunde. Lehrerin Adelheid Kuschel-Kinting unterstützt ihn.

Bergisch Gladbach – Wenn Bennett sich in der Schule die Hände waschen will, steht für ihn ein Höckerchen bereit, damit er an das Waschbecken kommt. Bennett ist sieben Jahre alt, aber nur 1,10 Meter groß und ist gut einen Kopf kleiner als seine Mitschüler. Alle in seiner Klasse wissen, dass er immer ein besonders kleines Kind bleiben wird. Er wird von ihnen geachtet, so wie er ist.

Für Schulleiter Florian Lambertz war die Aufnahme von Bennett an seiner Gemeinschaftsgrundschule (GGS) An der Strunde keine Frage: „Es ist leichter, jetzt zu integrieren, dabei unpragmatisch Hilfe zu organisieren, als später die Ausgrenzung aufzubrechen.“ Allerdings ist Bennett ein leichter Fall. Für ihn reichen ein paar kleine Hilfsmittel, die dazu beitragen, dass der Junge im Schulalltag keine Probleme bekommt: Eine Toilette wurde tiefer gesetzt, die Schultüren wurden neu eingestellt, damit sie sich leichter öffnen lassen, und ein niedriger Stuhl wurde angeschafft. Lesen, Schreiben, Rechnen fallen ihm nicht schwerer als anderen Kindern.

650 Formen von Minderwuchs

Die Ursache für Bennetts Wachstumsstörung sei nicht geklärt, erzählt Mutter Janina Schubert. Es gibt 650 Formen von Minderwuchs, eine der häufigsten, die Achondroplasie, führt zu einer Verschiebung der Körperproportionen. Arme und Beine sind verkürzt. Bei Bennett sind die Proportionen erhalten. Da seine Mutter mit 1,47 Metern ebenfalls klein ist, könnte Bennetts Kleinwuchs möglicherweise familiär bedingt sein: „Wir wissen es nicht“, sagt Janina Schubert.

Für die Eltern war trotzdem klar: Bennett sollte auf eine Regelschule gehen – im vertrauten Wohngebiet, mit seinen Freunden aus dem Kindergarten. Er sollte „mittendrin im Leben sein“, sagt Janina Schubert. Die Alternative wäre eine Förderschule außerhalb der Stadt gewesen. Aber: „Wir wollten ihn nicht in einer Blase außerhalb der Realität der Gesellschaft großwerden lassen.“ Bennett werde sich womöglich ein Leben lang anhören müssen, dass er ein „Winzling“ sei, „da wollen wir ihm nichts vormachen“. Stattdessen wollen die Eltern sein Selbstbewusstsein stärken. Dabei könne die Schule einen wichtigen Beitrag leisten, davon ist die 37-Jährige überzeugt.

Wunsch nach Normalität

„Wir sind eine Schule für viele, aber noch nicht für alle“, beschreibt Lambertz den derzeitigen Stand der Inklusion an seiner Schule. Das könnten manche Eltern nur schwer akzeptieren. Sie wünschten sich Normalität für ihr Kind. Vor der Förderschule schreckten viele Eltern zurück, weil sie eben nicht Normalität auf allen Ebenen suggeriere. Wenn aber die Ausstattung etwa für Körperbehinderte fehle oder die Lehrerschaft an ihre Grenzen stoße, könnten die hohen Erwartungen der Eltern an eine Regelschule nicht erfüllt werden.

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In Gesprächen versucht Lambertz, den enttäuschten Eltern zu erklären, warum es an seiner Grundschule nicht klappen würde: dass die Ansprüche der Eltern das System überforderten, die Regelschule nicht zu einem Experiment werden dürfe zum Nachteil der Kinder. Das seien oft schwierige Gespräche.

26 Kinder mit besonderem Förderbedarf

Für Lambertz bedeutet Inklusion „eine Haltung, die wachsen muss und im Moment noch auf eine komplizierte Wirklichkeit trifft“. Mit der Inklusion verändere sich auch die Zusammensetzung der Schülerschaft an den Schulen in den Stadtteilen. Der Anteil von Inklusionsschülern müsse gleich verteilt werden, findet Lambertz: „Sonst entwickeln sich Schwerpunktschulen.“ Momentan werden an der Grundschule An der Strunde 230 Kinder unterrichtet, 26 haben einen sonderpädagogischen Förderbedarf von der Sprache über die geistige Entwicklung bis hin zu Lernen oder Motorik. Zusätzlich zu den Grundschullehrern sind stundenweise drei Förderschullehrerinnen im Dienst.

Sport und Mathe als Lieblingsfach

Lehrerin Adelheid Kuschel-Kinting freut sich, dass der wissbegierige und fröhliche Schüler Bennett in der Klasse trotz seines körperlichen Handicaps akzeptiert werde. „Hier gewinnen beide Seiten“, sagt sie. Die Leistungen der anderen etwa im Sportunterricht spornten Bennett an. Zugleich lernten die anderen Schüler, Rücksicht zu nehmen. „So entstehen erst gar keine Barrieren.“

Dass Bennett beim Sportunterricht oft im Nachteil ist, weil er kleinere Schritte macht oder ihm schlicht die Kraft für manche Übungen fehlt, macht ihm selbst offensichtlich nichts aus: „Sport ist mein Lieblingsfach“, sagt er. „Mathe auch“, fügt er noch hinzu. Später wolle er mal Erfinder werden.

Besondere Nachsicht erfährt Bennett nicht an der Grundschule. Für ihn gelten die gleichen Regeln wie für die anderen. „So ist Inklusion gedacht, keine Ausnahmen mehr“, sagt Lehrerin Kuschel-Kinting. Bennett kommt damit zurecht. Er fühlt sich sehr wohl an der Schule.

Die Verteilung

Inklusion stellt die Schulen vor neue Herausforderungen. Schüler mit Einschränkungen körperlicher, geistiger oder emotionaler/sozialer Art in den normalen Schulalltag zu integrieren und dort bestmöglich zu fördern, das ist nicht immer leicht. Neben häufig unzureichender personeller, finanzieller und räumlicher Ausstattung sind die Lasten ungleich verteilt. In Bergisch Gladbach hatten etwa zwei Prozent der insgesamt knapp 13000 Schüler im vergangenen Schuljahr einen erhöhten Förderbedarf. Sie verteilen sich wie folgt: Emotionale und soziale Entwicklung (101 Schüler); Lernen (74); Sprache (40); Hören und Kommunikation/Schwerhörige (22); Geistige Entwicklung (8); Körperliche und motorische Entwicklung (7); Sehen/Sehbehinderte (2), Hören und Kommunikation/Gehörlose (2).

Von diesen 256 Kindern besuchen 31 Prozent eine Grundschule, 41 Prozent eine Gesamtschule, 16 Prozent eine Hauptschule, acht Prozent eine Realschule und nur vier Prozent einn Gymnasium. Im Hinblick auf die Schülerzahlen haben an der Hauptschule zehn Prozent der Schüler einen festgestellten zusätzlichen Förderbedarf. An den Gesamtschulen sind knapp sechs Prozent der Schüler Inklusionskinder, an den Gymnasien hingegen nur 0,2 Prozent. (spe)

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