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Vater im KriegMaxim ist das erste ukrainische Flüchtlingsbaby in Bergisch Gladbach

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Glück und Kummer zugleich: Yulia Zdzozhek mit ihrem Sohn Maxim.

Bergisch Gladbach – Das erste ukrainische Flüchtlingsbaby in Bergisch Gladbach ist da: Yulia Zdzozhek hält ihren kleinen Maxim im Arm, drückt ihn eng an sich. In ihren Augen spiegeln sich Glück und Kummer zugleich. Sie und ihr Baby sind nach einer langen und beschwerlichen Flucht aus Odessa in Sicherheit. Aber es fehlt der Mann, er ist weit weg. In der Heimat, mitten im Krieg.

Als die junge Mutter mit ihrem Baby das Vinzenz Pallotti-Krankenhaus in Bensberg verlässt, springt Paul Kruk ein. Erst als ehrenamtlicher Übersetzer, dann als Freund der Familie und jetzt auch noch Ersatzpapa. Als er mit Maxim auf dem Arm Blumensträuße zuerst an Yulia und dann an Hebamme Katrina Campbell überreicht, übernimmt er die Rolle, die nach ukrainischem Brauch dem Ehemann und Vater des Kindes zukommt.

Dass die Zeremonie in einem fremden Land stattfinden würde, die Schrecken der siebentägigen Flucht noch in den Knochen, darauf ist die 23-Jährige nicht vorbereitet gewesen: Die Eheleute, beide Apotheker, hatten sich so sehr auf ihr erstes Kind gefreut. Sergey (25) wollte für seine Frau und das Baby da sein. „Sein größter Wunsch, bei der Geburt dabei zu sein, ist nicht in Erfüllung gegangen“, sagt Yulia. Seinen Sohn Maxim kann er nur auf Handy-Fotos ansehen. Es ist ein zartes Kind mit blonden Härchen, 2835 Gramm schwer, 48 Zentimeter groß. Eingewickelt in eine hellblaue Decke verschläft er den Fototermin vor dem Klinikeingang.

Bei der Geburt liegt eine große Anspannung in der Luft

Als die Wehen am 18. Mai einsetzen, ist Yulias Mutter Irina an ihrer Seite. Die Geburt verläuft problemlos, „mit ein paar Stolpersteinen, die zu der ganzen Situation passen“, berichtet Hebamme Katrina Campbell. Von Anfang an habe eine große Anspannung in der Luft gelegen. „Wir spürten, die Frau hat noch mit vielen anderen Dingen zu kämpfen“, berichtet Hebamme Katrina Campbell.

Denn viel ist in den letzten Wochen zusammen gekommen. Yulias Schwangerschaft, dazu die Sorgen und Ängste um ihr Baby und ihren Mann Sergey (25) und den Vater, die in der Heimat im Einsatz sind als zivile Helfer für die ukrainischen Armee. Sie kümmern sich beispielsweise um Verletzte oder schleppen Sandsäcke in befestigte Stellungen.

Ukrainischer Brauch

Keine Baby-Fotos

Bei uns ist es die größte Freude junger Eltern, Fotos ihrer neugeborenen Kinder zu verschicken. In der Ukraine dagegen besagt ein weit verbreiteter Brauch, dass dies Unglück bringt. Deshalb konnte die Redaktion kein Foto von dem kleinen Maxim machen. „Um Unheil und böse Geister von dem Kind abzuwenden, werden in der Ukraine in den ersten drei Monaten keine Fotos von Babys veröffentlicht oder herumgezeigt, erklärt Paul Kruk, der vor 26 Jahren aus der Ukraine nach Deutschland zog. (ub)

„Aber das starke Band zwischen Mutter und Tochter hat für Entspannung gesorgt“, meint Dr. Lara Kampmann, diensthabende Ärztin. Das Klinikteam setzt auf die nonverbale Ebene zur werdenden Mutter, die kein Englisch spricht. „Zugewandte Mimik und Gestik, die für Vertrauen und Ruhe unter der Geburt sorgen“, erklärt Oberärztin Arianda Lazarescu. Notfalls wird der Google-Übersetzer eingesetzt, um über mögliche Behandlungsmethoden etwa zur Schmerzlinderung zu informieren.

Die größte Stütze ist die Hilfsbereitschaft der Menschen

Als Maxim dann endlich um 21.50 Uhr das Licht der Welt erblickt, schreien die Mütter die Freude laut heraus. „Bei diesem Aufschrei des Glücks hat für einen kurzen Moment nur das Kind im Mittelpunkt gestanden, alles andere war vergessen“, erinnert sich Campbell. Die Geburt werde für das ganze Klinikteam immer etwas Besonderes bleiben. Man lerne den Frieden, den wir hier haben, zu würdigen. „Es sollten nur noch Kinder des Friedens auf die Welt kommen“, wünscht sich Oberärztin Lazarescu.

Yulias Geschichte zeigt auch, wie sehr die Geflüchteten auf Unterstützung angewiesen sind, um vor, während und nach der Geburt gut versorgt zu sein. Menschen mit einer Aufenthaltsgenehmigung haben einen Anspruch auf Gesundheitsleistungen, wozu auch Schwangerschaft und Geburt gehören. Die größte emotionale Stütze aber ist die Hilfsbereitschaft der Menschen in Bergisch Gladbach - gerade für geflüchtete Frauen mit Erlebnissen, die das Ankommen in Deutschland überschatten.

„Wir haben hier so viele nette Menschen kennengelernt, die uns geholfen haben“, bedankt sich Mutter Irina später in der Wohnung in Refrath, einem umgebauten Büro des Autohauses Hillenberg, wo die Familie inzwischen untergekommen ist. Außer Yulia und dem Baby leben hier noch die jüngere Tochter Victoria (13) und Schwester Elena mit ihrem Sohn Bogdan (6). Irina sagt, sie würde gerne noch mehr erzählen. Aber sie finde keine Worte. Tränen stehen ihr in den Augen, als sie zu Karin Hindrichs und Marco Wehr vom Arbeiter-Samariter-Bund Bergisch Land blickt.

Arbeiter-Samariter-Bund übernimmt Patenschaft

Der ASB hat, wie berichtet, die Patenschaft für den kleinen Maxim übernommen und kümmert sich um alles. Um Arzttermine beispielsweise und die Erstausstattung mit Wiege, Wickelkommode, Spielsachen, gebrauchte Kinderkleidung und Pampers. „Die Bereitschaft zu spenden ist sehr groß“, sagt Wehr, „normal hat man zwei Paten, Maxim hat 450 haupt- und ehrenamtliche ASB-Mitarbeiter an seiner Seite.“

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Yulia drückt ihren Sohn jetzt an sich, wiegt ihn dabei sanft hin und her. Sofort nach der Geburt hat sie ihren Mann angerufen, aber sie erreicht ihn nicht. Er hatte noch einen Einsatz. „Erst ein paar Stunden später konnte er zurückrufen“, sagt die 23-Jährige. Der neue Alltag fühle sich irgendwie falsch an. Sie lebe in zwei Welten. In der einen Welt tobt ein Krieg in der Heimat. In der anderen Welt ist da der kleine Sohn, der für glückliche Momente sorgt. Sie wünsche sich nichts mehr, als dass der Krieg endet: „Ich träume von dem Tag, an dem wir zurück nach Hause können.“

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