LeichlingenInnehalten, nicht nur in der Krise

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Bildhauer Berthold Welter hat vor gut 20 Jahren ein Wegekreuz ins Feld gestellt.

Bildhauer Berthold Welter hat vor gut 20 Jahren ein Wegekreuz ins Feld gestellt.

Leichlingen –  In Dierath steht, umrankt von einem Kirschbaum in den Feldern hinter dem Pohligshof ein Wegekreuz von Berthold Welter. Der Bildhauer hat es vor gut 20 Jahren unweit seines Wohnhauses an einer Weggabelung aufgestellt und staunt, welche Eigendynamik der Ort entwickelt hat: „Am Anfang stand nur das Kreuz, dann stand ein kleines Kirschbäumchen da, irgendwann eine Bank. In der Kirsche gab es ein Altärchen, das aber wegfaulte, dann kam eine Bank dazu – die Menschen gestalten sich so einen Ort.“

Ausblick in die Landschaft

Liebespaare sitzen auf der Bank oder einfach nur Wanderer, die den Ausblick in die Landschaft genießen. Für Welter steht fest, dass der Ort etwas mit den Menschen macht: „Ich glaube, wenn das Kreuz nicht an diesem Ort stünde, würde der Wanderer weitergehen. Das Kreuz schafft es, Gedanken oder den Gang zu unterbrechen. Es hilft, innezuhalten, die Umgebung genau wahrzunehmen, den Ort aufzunehmen.“

Das Kruzifix sollte ursprünglich an einer kleinen Kirche in der Nähe von Euskirchen stehen. Dort war es vor gut 20 Jahren in einer Ausstellung zu sehen. Aber der örtliche Karnevalsverein hatte bereits ein Kruzifix für den Platz gebaut und spendete es der Pfarrei. Daher nahm Welter sein Kruzifix wieder mit nach Hause und stellte es ins Feld. „Ich glaube, wenn das Kreuz nicht an diesem Ort stünde, würde der Wanderer weitergehen. Das Kreuz schafft es, Gedanken oder den Gang zu unterbrechen. Es hilft, innezuhalten, die Umgebung genau wahrzunehmen, den Ort aufzunehmen“, sagt Welter.

Das Holz ist Robinienholz. Der Stamm wäre weggeschmissen worden, da er faule Stellen hat. Aber Welter weiß, dass das Material noch lange hält. Im Stamm der Robinie sind Schwellen-Schrauben, mit denen Eisenbahnschienen in der Spur gehalten werden. Der Corpus des Christus aus Gips hat eine besondere Geschichte.

Corpus von der Kippe

„Der Corpus, der angebracht wurde, ist von einer Friedhofsmüllkippe. Da hatte ich ihn so gefunden. Das fand ich einfach zu schade, dort liegenzulassen und so hat er denn seinen Platz gefunden in dem Stamm mit den Holzschrauben.“ Den Künstler interessieren die achtlos weggeworfenen Dinge. Dinge, die für andere keinen Wert mehr haben – ihn faszinieren sie. „Dieses Kaputte: Der Arm kaputt, der Fuß kaputt – der taug ja gar nix. Aber der taugt, so dass Menschen stehen bleiben und kurz innehalten. Ob der Arm dran ist oder nicht, dass macht null Unterschied. Das hat irgendeine Aura, die irgendwas bewirkt.“

Berthold Welter wandert viel. Dabei kommt es öfter vor, dass er an einem Wegekreuz halt macht: „Ich finde, diese Orte sind immer Plätze, wo man ganz kurz bleibt, man stellt sich die Frage, warum ist hier etwas hingestellt worden, wer hat das wohl gemacht, kann ich eine Spur finden? Ist ein Hinweis an dem Wegekreuz? Irgendetwas unterbricht den eigentlichen Fluss immer.“

Auch der Corona-Krise kann er insofern etwas Gutes abgewinnen, da sie den Menschen in seinem Tun bremst: „Die Wahrnehmung auf meine selbstverständliche Alltagsumgebung, zu der ich sonst durch die Art, wie wir leben mehr eile und plötzlich die Eile nicht mehr brauche, weil ich ausgebremst werde von außen.“

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