Nackter Nachbar im Baum„Sonderlinge" machen Rhein Bergs Behörden viel Arbeit

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Spektakulär: Der Raub eines Rettungswagens vor fünf Jahren in Gladbach.

Spektakulär: Der Raub eines Rettungswagens vor fünf Jahren in Gladbach.

Rhein-Berg – Ein alkoholkranker Stalker, der seine einseitig Auserwählte zur Verzweiflung treibt; ein kauziger Waldhüttenbewohner, der die Nachbarn nervt; ein einsamer Geflüchteter, der vor allem Zuwendung sucht, sich dabei aber sichtbar entblößt: Das sind nur drei der Sonderlinge, die im vergangenen Jahr die Behörden beschäftigt haben.

Noch spektakulärer ist der Fall des Suchtpatienten, der 2016 in Gladbach einen brandneuen Rettungswagen raubte und auf dem Gelände eines Industriebetriebes zu Schrott fuhr. Doch sind solche Fälle nur die Spitze eines Eisbergs.

Von anderen Sonderlingen wird öffentlich gar nichts bekannt, und damit auch nichts von der Arbeit, die sie verursachen. Und „komische Typen“ wegsperren, nur weil sie komisch sind - das geht nicht.

Manche Fälle beschäftigen das Ordnungsamt mehrere Jahre

„Die Freiheit der Person ist ein sehr hohes Gut“, sagt Polizeisprecher Christian Tholl und verweist auf Menschenrechtskonvention und Grundgesetz. Auch für vorläufige Einweisungen brauche es eine „gegenwärtige erhebliche Gefahr“, so das „Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten“ (PsychKG). Tholl: „Selbst- oder Fremdgefährdung sind dabei die Schlagworte.“

Die Polizei ist hier nur begrenzt zuständig. Klar, im Notfall hilft die 110. Doch eigentlich sind die Ordnungsbehörden am Zug, also beispielsweise Hans Herbert Müller, Chef des Overather Ordnungsamtes. „Es gibt Fälle, die uns jahrelang beschäftigen“, berichtet der Beamte.

Zum Beispiel ein langjähriger Alkoholiker, der randalierte, brüllte, sich einkotete – und auch sonst sein Unwesen trieb. Irgendwann landete der Mann hinter Gittern. Danach bat er, dass man ihm seine in Verwahrung genommene Stereoanlage in seine neue Heimat Ruhrgebiet schicke. Müller: „Wir haben ihm die Sachen nachgeliefert.“

Suizid-Ankündigungen kommen häufig vor

Andere Fälle haben kein Happy End. Ein junger Mann, kündigte immer wieder Selbstmord an. Es gab Polizeieinsätze und Einweisungen – zwölf in fünf Monaten. „Es war wahrscheinlich immer auch ein Hilferuf“, sagt Müller.

Die Behörden veranstalteten eine Riesenkonferenz mit Ordnungsamt, Bewährungshelfer, Betreuungsstelle, Gesundheitsamt, Familiengericht, Seelsorger und Arzt aus der JVA, Klinik, Polizei: „Wir haben alle keinen richtigen Packan gefunden.“ Was aus dem Mann geworden sei, wisse er nicht. Müller: „Ich hoffe, dass ich nichts mehr von ihm höre.“

Richtervorbehalt

2020 hatte die Gladbacher Justiz bei Erwachsenen über 284 vorläufige Klinik-Unterbringungen zu entscheiden, davon 186 während der allgemeinen Büro- und 98 in den Eildienstzeiten (Stichtag 17. Dezember). Bei Minderjährigen gab es 123 Fälle (98 im regulären, 25 im Eildienst). Für die vorläufige Einweisung Kranker außerhalb der Bürozeiten gibt es bei Gericht einen Bereitschaftsdienst von 16 bis 21 Uhr.

Auch wenn die Polizei einen Randalierer nur in Gewahrsam nimmt, ruft sie bei Gericht an. Amtsgerichtsdirektorin Johanna Saul-Krickeberg: „Der Richter fährt raus, hört den Betreffenden an und verhängt eine stundenweise Gewahrsamnahme.“ (sb)

Von Suizid-Ankündigungen weiß auch Polizeisprecher Tholl zu berichten. Im Nordkreis löse eine Stammkundin immer wieder Einsätze aus: „Da wird ständig die Polizei alarmiert, das Ordnungsamt herausgerufen und die Feuerwehr, und ein Rettungswagen fährt die Dame jedes Mal in eine psychiatrische Klinik“ – vorläufige Einweisung.

Dann alarmiert die Polizei die Ordnungsbehörde. Auf dem Overather Amt wechselt sich Müller mit drei Beamten-Kollegen bei der Rufbereitschaft ab, in Gladbach macht das die Feuerwehr. Es wird ein Arzt konsultiert, die Behörde verfügt die Einweisung.

Eine Einweisung kann vom Gericht angeordnet werden

Macht die Person freiwillig mit, ist es gut, sonst ist das Gericht gefragt. Sollte dann das Gericht zu dem Ergebnis kommen, die Einweisung nicht zu bestätigen, kommt die Person wieder frei. Tholl: „Als Polizei muss man damit leben und darf sich nicht als Verlierer fühlen. Man hat alles getan. Es liegt nicht mehr in unseren Händen.“

Nun ist aber auch nicht jeder komische Kauz eine Gefahr. Einer alten Dame in Leichlingen, die glaubte, sie werde abgehört und mit „Strahlen aus der Mikrowelle beschossen“, halfen Polizisten, indem sie zwei Funkgeräte aneinanderhielten. Es rauschte und knackte, und die Beamten erklärten, so werde die Wohnung „entstört“. Tholl: „Zum Glück hat sie es geglaubt.“

Müller berichtet von einem älteren Mann, der auf seinem blickdicht umzäunten Grundstück gerne nackt herumlief. „Allerdings konnten die Nachbarn von ihren Dachfenstern auf das Grundstück sehen.“ Einmal rief eine Nachbarin, zufällig Ratsmitglied, an: „Jetzt ist er mit einer Säge auf dem Baum, um einen Ast abzusägen.“ Müller empfahl der Anruferin, einfach die Blickrichtung zu wechseln.

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