„Nicht in unserem Overath”1000 Bürger protestieren gegen AfD-Ascherfreitag

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Demo gegen Rechts Overath

1000 Bürger kamen am Abend in die Innenstadt.

Overath – So etwas hat Overath, die kleine Stadt an Agger und Sülz, noch nicht gesehen: Rund tausend  Menschen, so die Schätzung der Polizei,  versammeln sich am Freitagabend auf dem Bahnhofplatz, um gegen eine Veranstaltung der AfD mit dem Höcke-Vertrauten und Bundestagsabgeordneten Stephan Brandner im städtischen Kulturbahnhof zu demonstrieren. Alt und jung, evangelisch und katholisch, hier geboren oder von Köln oder sonstwo zugewandert, links und rechts: Auf dem Platz ist die gesamte bürgerliche Gesellschaft der Stadt vertreten, um bei kurzen Redebeiträgen und Musik, darunter die von den örtlichen Chören „o-ton“ und „Grenzenlos“ vorgetragenen Hymnen „Unser Stammbaum“ der Bläck Fööss und  „Freiheit“ von Marius Müller-Westernhagen, Flagge zu zeigen für ein „buntes, tolerantes und demokratisches Overath“, wie es Bürgermeister Jörg Weigt (SPD) in seinen Begrüßungsworten nennt.

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Da der Platz für die unerwartet hohe Zahl der Demonstranten nicht ausreicht und auch die AfD einen Teil des Bahnhofplatzes für sich beansprucht, lässt Polizei-Einsatzleiter Markus Fischer, Chef der Wache Untereschbach, vorübergehend die Hauptstraße sperren. Das hohe Gut der Demonstrationsfreiheit hat an diesem Abend Vorrang vor dem Verkehr auf er Bundesstraße.

150 Teilnehmer bei AfD-Veranstaltung

Einen Achtungserfolg, was die Zahl der Besucher angeht, kann aber auch die AfD erzielen. Rund 150 Teilnehmer, so die Schätzung von Stephan Brandner während seines Auftritts, haben es sich nicht nehmen lassen, trotz des heftigen Gegenwindes vor der Tür den „Politischen Ascherfreitag“ mit dem geschassten Ex-Vorsitzenden des Bundestags-Rechtsausschusses und seiner Parteifreundin Corinna Miazga zu verfolgen.

Die beiden Politik-Profis – sie ist ebenfalls Bundestagsabgeordnete und zudem AfD-Vorsitzende in Bayern - präsentieren eine Comedyvorführung, eine Art Heute-Show für Rechtspopulisten und -extremisten, in der sie das politische Geschehen aufs Korn nahmen – gelegentlich witzig, klug und selbstironisch daherkommend, dann aber immer wieder urplötzlich den politischen Gegner verunglimpfend und persönlich herabsetzend. Denn was, so kann sich der um eine vorurteilsfreie Betrachtung bemühte Besucher der AfD-Comedy fragen, hat das Gesicht von Bundestags-Vizepräsidentin Claudia Roth, die Körpergröße von Außenminister Heiko Maas oder das Gewicht von Wirtschaftsminister Peter Altmeyer mit deren jeweiliger Politik zu tun? Überhaupt nichts.

Gruß an den Verfassungsschutz

Und dann geht der smart und wortgewandt auftretende Brandner hin, begrüßt ironisch  die angeblich im Raum sitzenden und mitschreibenden Verfassungsschützer, tituliert Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier persönlich als „Totalausfall an der Staatspitze“, und verkündet dann, es gebe ja den Straftatbestand der Beleidigung des Staatsoberhauptes und er sei gespannt, wann er dafür „eingeknastet“ werde. Bei solchen Tönen kann man nicht nur,  man muss die Frage stellen, wie dieser Exponent des ultrarechten AfD-„Flügels“ allen Ernstes auf die Idee kommen kann, von einer „bürgerlichen Mehrheit“ zu reden, die es doch in Thüringen zeitweise gegeben habe.

Denn an dem Auftritt von Brandner und seiner ähnlich wortgewandten bayerischen  Parteifreundin („Ich bin niedlicher als er“) ist an diesem Freitagabend nichts, aber auch gar nichts bürgerlich. Sie sagen nicht klar, wofür sie stehen. Das könnte ja auch potenzielle Wähler verschrecken. Sie machen nur alle anderen rhetorisch nieder.

Bürgerliches Overath zeigt Flagge

Das bürgerliche Overath steht dagegen an diesem kühlen Abend auf dem Bahnhofsvorplatz und zeigt Flagge – beziehungsweise die rote Karte, die Helmut Amelung, der Vorsitzende der Bürgerstiftung, in tausendfacher Ausfertigung gedruckt und verteilt hat. „Rote Karte gegen Gewalt und Fremdenhass in Overath!“ steht darauf - wozu man in einer Fußnote anmerken könnte, dass sich der damit vermutlich gemeinte Rassismus eben nicht „nur“ gegen Fremde richtet.  Sondern auch schon mal Spieler der deutschen Fußballnationalmannschaft treffen kann, woran an diesem Abend der Overather CDU-Landtagsabgeordnete Rainer Deppe in seiner kämpferischen Rede erinnert. „1933 hat nicht erst 1933 begonnen“, warnt er und erinnert an die „schleichende Entdemokratisierung“ in den Jahren, bevor Hitler Reichskanzler wurde. „Nicht jeder, der demokratisch gewählt wurde, ist ein Demokrat“, sagt er weiter, und: „Die Demokratie steht und fällt mit dem Engagement ihrer Bürger.“ Unter den Demonstranten ist auch der designierte Bürgermeisterkandidat von CDU, FDP und Grünen in Overath, Christoph Nicodemus: „Ich habe schon vor 25 Jahren in Drabenderhöhe gegen die NPD demonstriert“, sagt er im Gespräch mit dieser Zeitung.

Protest mit hangefertigten Plakaten

Die Bürger engagieren sich an diesem Abend massiv. Manche von ihnen tragen handgefertigte Plakate, die zu erwähnen lohnt: Mit dem Spruch „Vom Brandner bis zum Brandstifter ist nur ein Fliegenschiss“, erinnert ein kreativer Demonstrant an die Art, wie AfD-Spitzenpolitiker Alexander Gauland das Dritte Reich mit Vernichtungskrieg, Konzentrationslagern und Völkermord historisch eingeordnet und damit einen Sturm der Entrüstung ausgelöst hat.

Das Dritte Reich ist an diesem Abend immer wieder Thema: SPD-Ratsherr Hans Schlömer, einer der Demo-Initiatoren, hält ein Transparent hoch, das das Foto eines SA-Aufmarsches auf dem Overather Bahnhofsplatz im Jahre 1934 zeigt. Dazu der Kommentar: „Haut ab, Ihr wart schon mal da!“ 

Ehemalige Schüler zeigen Ausstellung

Im Kulturbahnhof, der guten Stube der 27.000-Einwohner-Stadt, haben am Morgen ehemalige Schüler des Paul-Klee-Gymnasiums eine Daueraufstellung zum Konzentrationslager Auschwitz aufgebaut. Eine besonders engagierte PKG-Lehrerin und die Vorsitzende des Bergischen Geschichtsvereins, Ulla Gote, haben ihnen dabei geholfen.

Die AfD-Besucher am Abend bekommen diese Ausstellung aber nicht zu sehen: Die Stellwände sind, mit den Schauflächen nach hinten oder in Decken gehüllt, an eine Wand im Foyer geräumt, als die beiden AfD-Bundespolitiker vom Kreisvorsitzenden Kunze und vom Kreistagsabgeordneten Jörg Feller begrüßt werden.

"Brandredner" bei AfD Rhein-Berg

Macht sich die rheinische-bergische AfD, die sonst meist gemäßigt und eben nicht als Bürgerschreck auftritt, mit dem „Brandredner“ auf der Bühne nicht gemein, wenn sie ihn nach Overath holt? Positioniert sie sich da nicht selbst ganz rechtsaußen? AfD-Kreisvorsitzender Thomas Kunze sieht das im Gespräch mit dieser Zeitung vor Beginn des Auftritts nicht so: „Wir haben Brandner nicht als Exponenten des rechten Flügels eingeladen, sondern als guten Redner.“ Ein anderer AfD-Vertreter sagt später, dass kurzeitig sogar daran gedacht worden sei, den auch innerparteilich stark umstrittenen Björn Höcke zu holen. Die Idee sei aber schnell wieder fallengelassen worden.

Der Abend in Overath endet ohne nennenswerte Zwischenfälle. Die Demonstration auf dem Platz endet gegen 19 Uhr im Nieselregen, die AfD-Gastredner sprechen bis weit nach 21 Uhr. Und Overath hat, vorbereitet von zunächst 19, später dann sogar 30 Organisationen aus Parteien, Kirchen und Vereinen, einen Abend erlebt, der in die Stadtgeschichte eingehen wird.

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