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Preußen in BensbergVom Kadettenhaus direkt in den Krieg

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Bergisch Gladbach – Erhalten hat sich im Stadtarchiv Bergisch Gladbach ein vergilbtes Doppelblatt: eine „Fest-Ordnung“ aus dem Januar 1911 zur Feier des kaiserlichen Geburtstags. Ein Kadett trug einen Prolog vor, es gab eine Jubel-Ouvertüre, ein Blumenlied, Turnen am Reck, Pantomimisches und das Musikstück „Manöverfreuden“. Als Tanz-Ordnung fürs Fest galt die Walzer-Quadrille. Die Geburtstage des Kaisers waren wiederkehrende Festanlässe für die Kadetten. Gefeiert wurden auch die Ehrentage der Kaisergattin.

Tausende junger Männer sind im Bensberger Kadettenhaus erzogen worden. Meist waren sie zwischen 10 und 15 Jahre alt, wenn sie eintraten. Sie blieben vier, fünf Jahre, gingen oft zur weiteren Ausbildung ins Berliner Kadettenhaus. Später riefen die Regimenter. Von den Häusern führte der Weg schnurstracke in den Krieg, gegen die Dänen, Österreicher, Franzosen.

78 Jahre lang, von 1840 bis 1918, prägte das Kadettenhaus den überschaubar großen Ort Bensberg. Im ersten Jahr waren es 63 Kadetten, die aufgenommen wurden. Später wurden es mehr. Zunächst 160, dann ab dem Jahre 1854 durchgängig 200 Zöglinge (aufgeteilt in fünf Brigaden zu 40 Köpfen) lernten und lebten im ehemaligen Schloss Jan Wellems. Für die Heranwachsenden war das Kadettenhaus ihre Schule, sie lernten Geschichtliches und Sprachen, Religion, Latein, Naturkunde, Schreiben, Zeichnen und Gesang – alles angelehnt an den Lehrplan eines preußischen Realgymnasiums. Im Winter um 8, im Sommer um 7 Uhr begann der Unterricht, der täglich auf fünf Stunden angesetzt war. Auch Schießübungen sind laut Lehrplan überliefert. Lehrer kümmerten sich um die Knaben, unter anderem auch Feldwebel. Tambouren, ein Portier, sechs Aufwärter und ein Lazarettarzt. Auch zwei Nachtwächter und ein Schlossgärtner standen in preußischen Diensten. In den Absolventenlisten finden sich überwiegend Namen der höheren Schichten, viele mit einem adeligen „von“.

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Die Geschichte des Bensberger Kadettenhauses muss noch geschrieben werden. Der besten Überblick mit vielen neuen Fakten findet sich in der 2006 erschienenen „Bergisch Gladbacher Stadtgeschichte“, dort Erwähnungen in den Aufsätzen von Dr. Albert Eßer und Hildegard Brog.

Einen kompakten Überblick bietet der Aufsatz von Rainer Michel, Rheinisch-Bergischer Kalender 1982, S. 76-82. Zusammenfassend berichtet auch Kurt Kluxen in seiner „Geschichte von Bensberg“, Paderborn 1976, vor allem mit Blick auf die Umbauten. Auf den Umbau konzentriert sich Werner Dobisch in seiner Monographie „Das Neue Schloss zu Bensberg“ (1938).

30 Seiten mit zahlreichen Fotos aus seiner Sammlung bietet Willi Fritzen in seinem Heimatbuch „Bilder und Geschichten vum ahle Bänsberg“ (Bensberg, Heimatbuch-Verlag).

Einen wissenschaftlichen Ansatz verfolgt Historiker Klaus Schmitz in seiner kenntnisreichen Studie „Militärische Jugenderziehung: Preußische Kadettenhäuser und nationalpolitische Erziehungsanstalten zwischen 1807 und 1936“ (Böhlau-Verlag 1997).

Den besten zeitgenössischen Überblick liefert Ernst Neubourg mit seiner zum 50-jährigen Bestehen des Kadettenhauses 1890 erschienenen Chronik „Bensberg und sein Cadettenhaus“. Neubourg war Lehrer in Bensberg. Außerdem: Richard Feiber: Leben und Treiben im Königlich Preußischen Kadettenhaus, Bergisch Gladbach 1947.

Zahlreiche Unterlagen zur Geschichte des Bensberger Kadettenhauses werden auch im Stadtarchiv Bergisch Gladbach aufbewahrt. Auch das Buch von Neubourg ist über das Stadtarchiv einsehbar.

Die Jungen hatten vor Eintritt in den preußischen Dienst vor Ort in Bensberg eine Aufnahmeprüfung zu bestehen. Das Lernen in einem der vier königlichen Kadettenhäuser galt als erste Stufe einer militärischen Karriere. Die Eltern reisten zum Eintritt stets mit ins Bergische und brachten den Gasthäusern über mehrere Tage Einnahmen. Meist reichten diese Quartiere aber nicht aus, viele Eltern mussten Privatlogis bei Bensberger Bürgern beziehen. Die Bensberger hätten sich danach gerichtet, heißt es bei den Zeitzeugen. In den Jahren vor 1840 hatte das Schloss als Lazarett fürs Militär gedient. Pläne in Berlin, die Armee zu vergrößern, sowie die eingeführte allgemeine Wehrpflicht ließen den König den Blick auf Bensberg richten. Umgebaut wurde für rund 146 000 Taler.

Balkone wurden niedergerissen

Von fürstlicher Pracht, die einst Kurfürst Jan Wellem hatte bauen lassen, war nach der Umwidmung zum preußischen Zweckbau kaum noch etwas vorhanden: Stuckdecken wurden abgebrochen, Balkone niedergerissen, marmorne Kamine zerstört, die Schlosskapelle gesprengt. Dies alles fanden schon die damaligen Zeitgenossen eher unpassend. Aber der König wollte es so: Das Schloss wurde zur Lehranstalt umgekrempelt.

Der Tag war für die Zöglinge mit Drill getaktet. Das Wecken mit Trommelwirbel um zwanzig vor sechs. Um 6 Uhr Frühstück, für alle einheitlich Mehl- und Milchsuppe mit Roggensemmel. 6.20 Uhr stand die erste Arbeitsstunde an. Danach der Unterricht. Um 13 Uhr das Mittagessen, Suppe, Gemüse und Fleisch. Ab viertel nach zwei erneut drei Arbeitsstunden, meist in Anwesenheit der Lehrer, die im Schloss eher Erzieher waren. Bis zur Nachtruhe um 21 Uhr war es immer möglich, dass die Schüler zum Lehrstoff geprüft werden konnten. Die Kadetten trugen durchgängig Soldatenuniform und wurden mit Sie angeredet. Bis 1889 war die Drillichjacke Pflicht, danach Litewka. Zucht, Gehorsam und Ordnung prägten das Leben in der Anstalt.

In der Chronik sind immer auch Ereignisse aus Bensberg zu entdecken. 1888 eine Diphterie-Epidemie, im Sommer 1900 das schwere Hagelschlag-Unwetter, das 1300 Fensterscheiben am Schloss zerstörte, 1906 der Besuch von Kaiser Wilhelm II., 1909 das erste Luftschiff über Bensberg, der Bau des Badehauses (1900) und des Aufwärterhaus (1890), Waschküche (1891), die Einführung der Gasbeleuchtung (1906), die Anlage einer Rollschuhbahn im Schlosshof (1910), die fortdauernden Klagen über den Badeteich im Milchborntal, der seicht und verschlammt sei. Wegen der schattenspendenden Bäume sei dieser Teich immer erst ab Juni nutzbar gewesen, ist nachzulesen. Im Revolutionsjahr 1848 mussten Soldaten aus Köln anrücken, um die Anstalt zu schützen. Ohne Kadettenhaus wäre die Geschichte Bensberg möglicherweise anders verlaufen. Die preußische Regierung wollte ihre Kadetten nicht von Industrie gestört sehen, vor dem Ersten Weltkrieg wurden deshalb Ansiedlungswünsche von Fabrikanten niedergeschlagen, unter anderem für eine Pulverfabrik an der Saaler Mühle. Befürchtet wurde Fabrikrauch, der die Kadetten gesundheitlich schädige. Die Industrie siedelte sich stattdessen hart an der Stadtgrenze an: in der Gladbacher Zinkhütte.

In den turbulenten Herbsttagen 1918 endete die Geschichte des Kadettenhauses. Männer des Arbeiter- und Soldatenrats Köln, Filiale Bensberg, fuhren bewaffnet am 11. November vor und ließen die Kadetten ein letztes Mal antreten. Nach einem dreifachen Hurra fürs Vaterland unterschrieben die Aufständischen die Urlaubsscheine und schickten den Militär-Nachwuchs nach Hause. Das war es: Die Kadetten fuhren mit der Vorortlinie B ab nach Köln.

Treffen der Ehemaligen fanden regelmäßig bis in die 1980er-Jahre statt. Auf ihre Initiative ist 1966 eine Gedenktafel am Schloss angebracht worden. Der letzte Kadett von Bensberg ist Anfang der 90er-Jahre verstorben.

In der nächsten Folge lesen Sie über die preußischen Hintergründe des Kirchbaus von Kürten-Olpe.

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