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Rösrather Familienzwist vor Gericht17-Jährige soll von Eltern ausgesperrt worden sein

Lesezeit 5 Minuten
Streit in der Familie ist normal – aber manchmal scheinen die Gräben unüberbrückbar. (Symbolbild)

Streit in der Familie ist normal – aber manchmal scheinen die Gräben unüberbrückbar. (Symbolbild)

  • In Rösrath eskaliert ein Familienstreit. Eine 17-Jährige behauptet, ihre Eltern hätten sie ausgesperrt und sie hätte zwei Wochen auf der Straße leben müssen.
  • Die Eltern argumentieren, sie wollten verhindern, dass der Freund ihrer Tochter ins Haus gelangt.
  • Der Fall wird zwischen Jobcenter und Jugendamt hin und hergeschoben und landet schließlich vor Gericht.
  • Wie konnte es dazu kommen und was sagen die Behören? Eine Rekonstruktion einer tragischen Familiengeschichte.

Rösrath – Allein gelassen von Jugendamt und Jobcenter fühlen sich Lisa A. (17) und ihr 25-jähriger Freund Hendrik O. (Namen geändert). Mit den Eltern der jungen Frau, die inzwischen auch einen Rechtsanwalt eingeschaltet haben, liegt das Paar über Kreuz. Die Lage scheint hoffnungslos verfahren. Und es stellen sich eine Reihe von Fragen: Was können Eltern ihren minderjährigen Kindern verbieten und was nicht? Was kann das örtliche Jugendamt tun?

Aber der Reihe nach. Unstrittig ist, dass Lisa und Hendrik seit Anfang 2018 ein Paar sind. Der junge Mann ist häufig Gast im Haus der Freundin, duzt sich mit den Eltern. Dann allerdings machen die Eltern Vorgaben: Nur an den Wochenenden soll Lisa bei dem Freund übernachten dürfen. Schließlich stehe die Tochter kurz vor dem Abitur und müsse lernen. Fest steht, dass es zu Streit kommt, der immer heftiger wird.

Schloss-Austausch

Der Konflikt eskaliert endgültig in den Sommerferien 2018: Lisa fährt mit Hendrik zu einem Kurzurlaub nach Süddeutschland – ohne Erlaubnis der Eltern, und nach ihrer Rückkehr am 5. August kann sie nicht mehr in ihr Elternhaus: Die Eltern sind, wie angekündigt, in Urlaub gefahren und haben zuvor das Türschloss ausgewechselt, ohne Lisa zu informieren. Auch ihr Konto haben sie gesperrt. Für fast zwei Wochen habe sie ohne Geld und mit nur wenigen Kleidungsstücken auf der Straße gestanden, sagt Lisa. Sie zieht zu Hendriks Eltern und wendet sich per E-Mail an das städtische Jugendamt. Lisas Eltern stellen die Sache anders dar: Lisa sei schon Anfang Juli in Hendriks Elternhaus gezogen, danach mit Hendrik einfach weggefahren und per Handy nicht erreichbar gewesen, sie hätten Lisa sogar als vermisst gemeldet. Durch den Schloss-Austausch hätten sie verhindern wollen, dass Hendrik in ihrer Abwesenheit in ihre Wohnung gelange – Lisa hätte sich problemlos von den Großeltern, die in der Nachbarschaft wohnen, aufsperren lassen können.

Beim Rösrather Amt landet Lisas Mail erst einmal in der Warteschleife. Die Sachbearbeiterin ist über drei Wochen in Urlaub. Lisa beantragt Hilfe zum Lebensunterhalt (Hartz IV) und die „Inobhutnahme“ durch das Jugendamt. Ein Familienstreit wird nun bürokratisch abgearbeitet. Die Sache wird zwischen Jobcenter und Jugendamt hin- und hergeschoben, aber es passiert nichts. Am Ende wird der Antrag auf Hartz IV abgelehnt. Auch wird Lisa nicht – wie sie es beantragt hat – in die Obhut des Jugendamts genommen. Das Paar argumentiert mit einem Gerichtsurteil, wonach allein Lisas „subjektives Schutzbedürfnis“ ausreiche, um den Eltern das Sorgerecht zu entziehen.

Lisa und ihr Freund ziehen viele Register und wenden sich sogar an Bürgermeister Marcus Mombauer, um beim Jugendamt ihre Ziele zu erreichen. Aber das Amt hält sich zurück. Schriftlich wird Lisa mitgeteilt: „Es steht Ihnen frei, als Jugendliche selbst einen Antrag beim Familiengericht zu stellen.“

Unterhalt beantragt

Tatsächlich gehen Lisa und Hendrik diesen Weg allein: Bei dem für Familiensachen zuständigen Amtsgericht Bergisch Gladbach beantragt Lisa Unterhalt ihrer Eltern und den Entzug des Sorgerechts, das Gericht bestellt für sie einen Verfahrensbeistand – einen Anwalt habe sie sich nicht leisten können, erklären Hendrik und Lisa. Bei der Gerichtsverhandlung Ende November schlägt der Richter einen Vergleich vor: Die Eltern sollen ab Dezember 2018 Unterhalt zahlen und Lisas Aufenthalt außerhalb des Elternhauses zustimmen. Die Eltern nehmen den Vergleich an – ihr Anwalt empfiehlt ihnen das. Auch Lisa stimmt zu. Aber weitere juristische Auseinandersetzungen sind abzusehen. Lisa und Hendrik fordern auch Unterhalt für August bis November 2018, außerdem ist laut Hendrik der ab Dezember gezahlte Betrag niedriger als „die Summe, die ihr rechtlich zusteht“.

Lisa ist entschlossen, die volle Summe einzuklagen, sobald sie im Juni volljährig wird. Ihre Erfahrungen mit Behörden findet Hendrik „schockierend“. Durch deren Nicht-Handeln würden Probleme „auf dem Rücken der Allerschwächsten“ ausgetragen. „Wenn das alles ist, was das Jugendamt tun kann, sollte man es zumachen.“

Mombauer will sich aber aus dem „totalen Familienzerwürfnis“ heraushalten. Die Verwaltung müsse „sachlich-fachlich“ reagieren. Er betont, dass Lisa durch Hendriks Familie nicht obdachlos und unversorgt war – in diesem Fall wäre die Stadt eingesprungen. Die rechtlichen Fragen seien eine andere Sache: „Ob das rechtlich anders gehandhabt hätte werden müssen, vermag ich nicht zu sagen.“ Für die Idee einer Ombudsstelle, die Kindern und Jugendlichen beim Durchsetzen ihrer Rechtsansprüche hilft, ist Mombauer aufgeschlossen.

Ombudsstelle für Kinder und Jugendliche wird geprüft – „Es geht um Machtsymmetrie“

Die Idee einer Ombudsstelle für Kinder und Jugendliche prüft die Rösrather Stadtverwaltung. Nach einem Beschluss im Jugendhilfeausschuss klärt sie, ob in Rösrath Bedarf dafür besteht. Sollte sich das bestätigen, soll eine „Konzeptgruppe“ für die nötigen praktischen Schritte sorgen. Dieses Vorgehen folgt einem Vorschlag von SPD-Ratsherr Gerhard Kupich. Dieser machte auch auf das Beratungsangebot der „Ombudschaft Jugendhilfe NRW“, einer unabhängigen Beschwerdestelle, aufmerksam.

Ombudsstellen in der Jugendhilfe sollen Kinder und Jugendliche dabei unterstützen, ihre Rechte durchzusetzen. Nach Angaben der „Ombudschaft Jugendhilfe NRW“ geht es in den meisten Fällen um Leistungen eines Jugendamts oder eines Trägers der freien Jugendhilfe. Sie stellt eine „Machtasymmetrie“ zwischen jungen Menschen und diesen Institutionen fest. „Ombudschaftliches Engagement und professionelles Handeln zielt darauf ab, diese Asymmetrie mit den zur Verfügung stehenden fachlichen – und notfalls auch juristischen – Beratungsmöglichkeiten auszugleichen“, heißt es auf der Internetseite der Ombudschaft. (tr)

www.ombudschaft-nrw.de

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