„Höhepunkt noch nicht erreicht“Rhein-Erft-Landrat Kreuzberg rät von Exit-Debatte ab

Lesezeit 6 Minuten
Im Video-Interview nimmt Landrat Michael Kreuzberg Stellung zur aktuellen Lage und mahnt dazu, auch Ostern die Einschränkungen zu akzeptieren.

Im Video-Interview nimmt Landrat Michael Kreuzberg Stellung zur aktuellen Lage und mahnt dazu, auch Ostern die Einschränkungen zu akzeptieren.

Rhein-Erft-Kreis – Der Landrat des Rhein-Erft-Kreises, Michael Kreuzberg, ist verantwortlich für den Corona-Krisenstab. In einem Video-Interview beantwortete er Fragen von Lesern und Redaktionsleiter Bernd Rupprecht zur aktuellen Lage, zur medizinischen Versorgung der Menschen und zum Umgang mit der Pandemie zu Ostern. Das Interview gibt es auch bei Facebook und auf unserer Internetseite.

Herr Kreuzberg, als Landrat sind Sie auch für den Krisenstab des Kreises verantwortlich. Geht das nur über Video-Konferenz und wie viele Personen gehören dazu?

Zum Leiter des Krisenstabes habe ich den Kreisordnungsdezernenten, Martin Gawrisch, berufen. Als Landrat bin ich auch für die Einsatzleitung der Rettungsdienste verantwortlich, die ich in Frechen eingerichtet habe. Entweder tagen wir unmittelbar vor Ort oder aber zugeschaltet als Videokonferenz. Das funktioniert sehr gut. Die Zusammensetzung des Krisenstabs variiert situationsbedingt. Neben den ständigen Mitgliedern nehmen bei Bedarf auch mit spezifischen Ereignissen betraute Mitglieder teil. Insgesamt reden wir da über zehn bis 15 Personen. Mit dabei sind der Kreisdirektor, der Gesundheitsdezernent, der Ärztliche Leiter des Rettungsdienstes, das Gesundheits- und Ordnungsamt, die Polizei, die Kassenärztliche Vereinigung, die Feuerwehr. Und es ist jemand dabei, der sich um die Informationen für die Bevölkerung und die Medien kümmert.

Können Sie eine Einschätzung geben zur aktuellen Lage im Kreis?

Eine Prognose bezogen auf einzelne Landkreise ist sehr schwierig. Die Infektionszahlen nehmen nicht mehr ganz so schnell zu wie vor einigen Tagen, dennoch gehe ich weiterhin davon aus, dass die pandemische Verbreitung des Virus ihren Höhepunkt noch nicht erreicht hat. Es gibt vorsichtige Prognosen, dass dies Mitte Mai der Fall sein könnte. Manche Experten gehen sogar noch von Juni aus. Mit Sicherheit weiß das aber niemand. Der Kreis bereitet sich jedenfalls darauf vor, die Versorgungskapazitäten maximal zu erhöhen. Wir versuchen, immer vor der Lage zu sein, so dass uns keine aktuelle Entwicklung in Zugzwang bringt. Das erleichtert die Arbeit insgesamt.

Müssen sich die Menschen noch auf andere Szenarien einstellen, in Süddeutschland wird eine Maskenpflicht für alle diskutiert.

Ob zu den bisherigen Einschränkungen auch mal ein Mundschutz zählt, das kann gut sein. Insbesondere dann, wenn Lockerungen in einzelnen Bereich erfolgen sollten. Das wird man dann nach Ostern voraussichtlich diskutieren.

Tausende Menschen sind in Kurzarbeit, die Wirtschaft ist nahezu komplett runtergefahren. Wie lange kann sich eine Gesellschaft das noch leisten?

Ich glaube, dass die Kontaktbeschränkungen richtig und ausreichend wirksam sind. Für viele Menschen und die Wirtschaft ist das zweifellos eine enorme Belastung, aber diese Maßnahmen retten Leben. Erweist sich der Zeitpunkt des Wiederhochfahrens als zu früh, droht eine zweite Infektionswelle, die uns in der Entwicklung zurückwirft und den Schaden drastisch erhöht. Ich bitte daher um Verständnis und hoffe, dass die Situation es schon sehr bald zulässt, dass die Einschränkungen stufenweise gelockert werden können, so, wie das die Vorsitzende des Europäischen Ethikrates, Christiane Woopen, angedeutet hat.

Gibt es im Rhein-Erft-Kreis zur Versorgung der Bevölkerung genug Intensivbetten?

Die Auslastung der Intensivstationen ist auch im Rhein-Erft-Kreis hoch. Bisher mussten die kurzfristig geschaffenen zusätzlichen Kapazitäten aber noch nicht in Anspruch genommen werden. Trotzdem rechnen wir mit einem steigenden Bedarf und arbeiten daher an einem Ausbau der Bettenkapazitäten. Wie ich hörte, wollen Bund und Land dabei unterstützen und Geräte zur Verfügung stellen.

In der Vergangenheit wurde immer wieder über den Abbau von Bettenkapazitäten im Gesundheitswesen gesprochen. Auch im Rhein-Erft-Kreis machten sich Krankenhäuser Sorgen über ihren Bestand. In Zeiten von Corona: Wie denken Sie darüber?

Unser Gesundheitssystem ist gut aufgestellt, aber auch das beste Gesundheitssystem kann in solchen Krisensituationen an seine Grenzen kommen. Ich halte es deswegen für geboten, diese Diskussion nicht in der aktuellen Krise zu führen. Gleichwohl müssen wir unsere Lehren daraus ziehen und darüber nachdenken, ob Anpassungen notwendig sind.

Ein Leser fragt: Warum wehren sich Frau Merkel, Herr Söder und andere Spitzenpolitiker gegen eine Diskussion um Exit-Pläne? Wann ist es an der Zeit, dass Kontakt-Einschränkungen aufgehoben werden können?

Fast ausnahmslos halten sich die Menschen an die Kontakt-Beschränkungen und tragen damit ihren Teil zur Eindämmung der Pandemie bei. Wenn zu früh eine öffentliche Debatte über Exit-Pläne geführt wird, könnte das den Anschein erwecken, dass sich die Lage entspannt habe und die Vorgaben nicht mehr ganz so ernst genommen werden müssten. Das wäre kontraproduktiv. Die Regierung hat unser Land bisher sehr verantwortungsvoll durch die Krise geführt. Das gilt neben der Bundesregierung im Übrigen auch für unsere Landesregierung. Alle sind sich einig, dass die Beschränkungen so kurz wie möglich, aber so lange wie nötig aufrechterhalten bleiben müssen. Intern wird sicherlich schon intensiv über die möglichen Szenarien zur Lockerung diskutiert, aber an einer breiten öffentlichen Debatte möchte ich mich aus den genannten Gründen nicht beteiligen. Es ist wichtig, dass die staatlichen Stellen in einem engen Austausch miteinander stehen. Ich habe beispielsweise regelmäßig Kontakt mit den Ministerien, der Kölner Regierungspräsidentin, meinen Landratskollegen, den Oberbürgermeistern im Regierungsbezirk und selbstverständlich unseren Bürgermeistern im Rhein-Erft-Kreis.

Eine andere Leserin will wissen: Werden mutmaßlich an Corona Verstorbene ausnahmslos obduziert?

Nein, Obduktionen werden nur in besonders begründeten Ausnahmefällen durchgeführt.

Ein weiterer Leser fragt: Wegen des schönen Wetters am vergangenen Wochenende waren Parkplätze am Brühler Birkhof, in Erftstadt an den Seen und an der Ville sehr voll. Wäre es nicht besser gewesen, die Parkplätze zu sperren und man hätte die Menschen gebeten, nach Hause zu fahren?

Auch im Rhein-Erft-Kreis haben viele Menschen leider keinen eigenen Garten oder eine eigene Möglichkeit im Grünen zu sein. Für den Aufenthalt an der frischen Luft sind daher gerade in der gegenwärtigen Situation öffentliche Grünanlagen wichtig. Da die meisten Menschen verantwortungsbewusst zu anderen Abstand halten oder spätestens bei Ansprache einsichtig sind, wäre eine pauschale Sperrung meiner Ansicht nach derzeit nicht gerechtfertigt.

Herr Kreuzberg, Ostern steht vor der Tür, es ist ein traditionelles christliches Fest der Begegnung, der Familien. Was sagen Sie den Menschen, wie sollen die Bürger ihre Zeit verbringen?

Das diesjährige Osterfest wird ein sehr ungewöhnliches, weil wir auch über die Feiertage den Kontakt zu anderen Menschen auf ein Minimum reduzieren müssen. Dazu zählen leider auch private Besuche im Familien- und Bekanntenkreis. Auch wenn es schwerfällt, ist dies zum Schutz unserer Mitmenschen ein notwendiger Schritt. Es geht nach wie vor entscheidend darum, die Verbreitung des Coronavirus zu verlangsamen und insbesondere Bevölkerungsgruppen mit einem erhöhten Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf zu schützen. Seine Zeit sollte man also möglichst im engeren Familienkreis verbringen. Es spricht dann auch nichts dagegen, wenn man sich draußen in der Natur aufhält, solange man Abstand zu anderen hält. Im Rhein-Erft-Kreis gibt es viele schöne Ecken, die bei dieser Gelegenheit mal erkundet werden können: Wege entlang der Erft, Parks, Ville-Seen, Tagebau-Aussichtspunkte.

Krankenschwester, Ärzte, Altenpfleger, Polizei und Feuerwehr, Verkäuferinnen und Verkäufer im Supermarkt und viele andere halten das Leben am Laufen: Muss die Wertschätzung ihnen gegenüber nicht viel größer werden?

Definitiv. Nicht nur in Krisenzeiten leisten diese Berufsgruppen einen großen und unverzichtbaren Dienst für unsere Gesellschaft. Auch persönlich wissen wir in meiner Familie, was die Menschen in der Pflege – insbesondere gerade auch bei Corona-Patienten – leisten, da wir selbst gerade einen Todesfall wegen des Virus in unserer Familie haben. Nach dem Überwinden der Krise müssen wir uns aber auch vergegenwärtigen, dass es nicht nur um Wertschätzung geht, sondern letztlich auch um höhere Gehälter.

Rundschau abonnieren