Austritte im Rhein-Erft-Kreis nehmen zu„Die Kirche verliert ihre aktive Basis"

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Woelki 210621 dpa

Kardinal Rainer Woelki 

Rhein-Erft-Kreis – Die Zahlen, die die Amtsgerichte Bergheim, Brühl und Kerpen auf Anfrage an die Redaktion geben, überraschen nicht. Die Kirchenaustritte nehmen auch im Rhein-Erft-Kreis zu. Schon die Austrittszahlen in den ersten drei Quartalen sind höher als die jeweiligen Gesamtzahlen der vergangenen fünf Jahre.

„Jeder Austritt aus der Kirche, egal welcher Konfession, ist ein trauriger Schritt“, sagt dazu Bernhard Seiger, Stadtsuperintendent des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region. Vermutlich hätten einige der ausgetretenen Menschen eine geringe Identifikation mit ihrer Kirche gehabt.

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Der Brühler Pfarrer Jochen Thull, stellvertretender Kreisdechant der katholischen Kirche Rhein-Erft, sagt hingegen, dass zumindest auf katholischer Seite inzwischen viele Menschen austreten, die in der Kirche engagiert waren. „Die Kirche verliert ihre aktive Basis“, mahnt Thull. „Austritte kommen immer wieder, aber jetzt sind es dezidiert ältere, aktive Menschen.“

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Und für ihn ist auch klar, woran das liegt: „An den Wirren in Köln und dem Führungsstil“, sagt er deutlich. Auch das „Pingpongspiel“ aus Rom rund um die Beurteilung der Rolle des Kölner Kardinals Woelki im Zuge der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals lasse die Zahlen rasant anschwellen. Und er glaubt nicht, dass sich das schnell ändere. Denn im Grunde befinde man sich in Sachen Woelki nach der Entscheidung des Papstes, dem Kardinal eine mehrmonatige Auszeit aufzuerlegen, in der Warteschleife.

Kritik an Rolle der Frau und Sexualmoral

Die Themen, die Kritiker der katholischen Kirchen immer wieder vorwerfen – zum Beispiel die Rolle der Frau oder die Sexualmoral –, seien dagegen schon seit Jahrzehnten präsent, sagt Thull. „Das ist kein Zeitgeist.“ Möglicherweise würden manche Menschen sagen, sie blieben in der Kirche, wenn sich bestimmte Strukturen ändern. Thull führt dazu den Synodalen Weg an, die Reaktion der katholischen Kirche auf den Missbrauchsskandal. Dass dieser Weg zu schnellen Strukturänderungen führt, glaubt Thull aber nicht. „Kirche anders sehen, Kirche anders denken“, fordert der Pfarrer von seiner Institution, ohne dabei alles an Traditionen zu vergessen.

Austritte der vergangenen Jahre

Die Austrittszahlen, die die Amtsgerichte Bergheim, Brühl und Kerpen herausgegeben haben, sind nicht nach Konfessionen aufgeschlüsselt. Bernhard Seiger teilt jedoch mit, dass in den evangelischen Kirchengemeinden des Kreises die Zahlen vom ersten zum zweiten Quartal 2021 um etwa zehn Prozent gestiegen seien. Das Amtsgericht Bergheim vermeldet für die ersten drei Quartale 2021 bereits 1072 Austritte: 2016 waren es insgesamt 599 Austritte. 2017 traten 673 Menschen aus der Kirche aus, 2018 748. Den vorläufigen Höhepunkt mit 1029 Austritten erreichten die Welle 2019.

In Brühl sind 2021 1502 Menschen ausgetreten, 2019 waren es 1160, 2019 1479, 2018 1196, 2017 865 und 2016 854 Austritte. 869 Austritte verzeichnet das Kerpener Amtsgericht für das laufende Jahr. 2020 waren es noch 638. 788 Menschen waren 2019 ausgetreten, 662 2018, 526 2017 und 578 im Jahr 2016. (nip)

Bernhard Seiger muss sich freilich nicht mit solchen Problemen beschäftigen wie Jochen Thull. Trotzdem bedauere auch er jeden einzelnen Austritt. Durch Aufmerksamkeit und Initiativen wolle die evangelische Kirche zeigen, dass sie für die Menschen da sei – und zudem offen sei für die großen Fragen im Leben. „Einige Menschen haben nicht präsent, dass sie durch ihre Mitgliedschaft in der Kirche auch einen Beitrag zum Zusammenhalt der Gesellschaft leisten“, sagt Seiger.

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Die evangelische und auch die katholische Kirche hätten die Menschen gerade in der Zeit nach der Hochwasserkatastrophe vor Ort begleitet. „Hier war die ökumenische Seelsorge ein wichtiger Beitrag“, sagt Seiger. Grundsätzlich würden die Kirchengemeinden sich neu ausrichteten, so Seiger.

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Sie schüfen neue Angebote wie zuletzt digitale Kommunikation, vorangetrieben auch durch die Pandemie. In der Pandemie hätten sich viele Menschen zurückgezogen, nun würden Feiern wie Hochzeiten und Taufen nachgeholt. Seiger sieht die gesellschaftliche Bedeutung der Kirche weiterhin als hoch an: „Als Kirche leisten wir viele Beiträge in der Gesellschaft.“

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