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TelemedizinSo wichtig sind Online-Sprechstunden für Ärzte und Apotheken in Rhein-Erft

Lesezeit 6 Minuten
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Johannes Friedhoff bietet Sprechstunden per Video an.

  • Auch Ärzte und Apotheker nutzen mittlerweile vermehrt die Möglichkeiten der Digitalisierung.
  • Sowohl Ärzte als auch Apotheker setzen auf Online-Sprechstunden, um Patienten und Kunden schneller und effektiver helfen zu können.
  • Wir haben in Bergheim bei einem Arzt und einem Apotheker gefragt, wie sie das Thema Telemedizin umsetzen.
  • Sie sprechen über Vor- und Nachteile. Und ein Ortsbürgermeister erklärt, warum die Telemedizin für Ahe die Zukunft ist.

Bergheim – Zunehmende Bürokratisierung, das Budget und eine schwache Infrastruktur – das sind laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) Gründe für den Ärztemangel auf dem Land: „Immer weniger Mediziner sind bereit, sich als Vertragsarzt vor allem in ländlichen Gebieten niederzulassen.“

Den Zahlen nach ist das Problem in Bergheim noch nicht groß. Von einer Unterversorgung mit Hausärzten könne in Bergheim wie im Rhein-Erft-Kreis keine Rede sein, schreibt die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (KVNO). Im sogenannten „Mittelbereich Bergheim“ gibt es laut KVNO zurzeit 40 hausärztlich besetzte Stellen, der Versorgungsgrad liegt bei knapp 110 Prozent. Von einer Unterversorgung spricht die KVNO bei 75 Prozent. Deshalb gibt es derzeit keine neuen Kassensitze für Hausärzte. Nur Praxisübernahmen seien möglich. Auch kreisweit gestalte sich die Versorgung derzeit als stabil. 260 Hausarztstellen seien besetzt, in Bedburg und Frechen sieben frei. „In allen weiteren Regionen des Kreises liegen die Versorgungsgrade jeweils bei über 100 Prozent“, teilt die KVNO mit.

Aber: Das Durchschnittsalter der Bergheimer Hausärzte liegt laut KVNO bei etwa 53 Jahren (Fachärzte 52 Jahre). Somit könnte sich die Lage verschlechtern, sollte der Nachwuchs ausbleiben. Und es gibt Stadtteile, in denen es keine Praxis gibt.

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Bergheimer Arzt: „Schneller und effektiver Leute behandeln“

Die KBV hat eine Nachwuchskampagne ins Leben gerufen („Lass dich nieder!“), unterstützt Praxisneugründungen und Übernahmen, finanziert Lehrstühle für Allgemeinmedizin und kooperiert mit Krankenhäusern bei der Weiterbildung.

Eine Alternative könnte die Telemedizin darstellen. In Bergheim gibt es laut KVNO sieben Ärztinnen und Ärzte sowie fünf Psychotherapeutinnen und -therapeuten, die eine Genehmigung für Videosprechstunden haben. Wie viele von ihnen das Angebot wie umsetzen, weiß die KVNO jedoch nicht.

Die Planung

Die Zahl der Hausarztstellen richtet sich nach der Bedarfsplanung, die die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Kassenärztliche Bundesvereinigung aufstellen. „Sie regelt, wie viele Ärzte es in einer Region gibt und wie sie verteilt sind“, erklärt die KBV. Damit soll die „flächendeckende, wohnortnahe, vertragsärztliche Versorgung der Bevölkerung“ gewährleistet werden. Der Versorgungsgrad einer Region richtet sich nach dem Vergleich des Status quo des tatsächlichen Einwohner-Arzt-Verhältnisses mit dem Soll-Niveau. Auch die Morbidität, demografische, sozioökonomische und räumliche Faktoren sowie infrastrukturelle Besonderheiten zählen. (nip)

Einer, der auf Digitalisierung setzt, ist Johannes Friedhoff. Der 41-jährige Allgemeinmediziner hat an der Hauptstraße eine Praxis mit drei Kolleginnen und Kollegen. Er und seine Schwester, eine Kollegin, bieten Sprechstunden per Video an.

Gerade bei Hauterkrankungen, psychischen Anliegen oder Krankmeldungen funktioniere das sehr gut, berichtet Friedhoff. „Ich kann schneller und effektiver Leute behandeln.“ Patientinnen und Patienten, die das Angebot wahrnähmen, bekämen per E-Mail einen Link, der sie auf eine Internetseite weiterleite, auf der die Videosprechstunde starte. Eine App dafür brauche man nicht. Das funktioniere auch mit dem Smartphone.

Bergheim: Deutlich mehr Online-Sprechstunden wegen Corona

„Das entlastet natürlich die Patientenströme“, sagt er. Und gerade die Corona-Zeit habe das Angebot „nach vorne katapultiert“. Bei jüngeren Patientinnen und Patienten seien die Hemmungen nicht hoch. Aber auch bei der Generation zwischen 50 und 70 Jahren komme das Angebot an, sagt Friedhoff. „Es funktioniert super“ und sei in der Kassenleistung enthalten.

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Natürlich könne die Online-Sprechstunde die Präsenztermine nicht komplett ersetzen. „Ein Husten muss natürlich abgehört werden“, sagt Friedhoff. Dennoch sei die Telemedizin sinnvoll. Ebenso die Idee, Fachkräfte zu Hausbesuchen zu schicken und mit ihnen über einen Videostream zu kommunizieren, „aber eins nach dem anderen“. Friedhoff beantwortet Patientenanliegen auch per E-Mail. „Das sollte man nicht unterschätzen“, sagt er über den Zuspruch dafür.

Marien-Apotheke in Bergheim setzt auf digitale Sprechstunden

Eine piefige, alte Apotheke solle seine nicht sein, sagt Marcel Burghardt. Deshalb setzt der Inhaber der Marien-Apotheke in der Bergheimer Innenstadt auf digitale Technik. Bei ihm wird es in Kürze möglich sein, Sprechstunden digital durchzuführen.

„Wenn wir uns nicht bewegen, haben wir keine Chance. Das Modell Apotheke ändert sich“, sagt der 47-Jährige. Die Digitalisierung werde auch in seiner Branche vorangetrieben. Die Herausforderung zähle zu seinen Hauptaufgaben, was die zukünftige Ausrichtung seiner Apotheke angeht.

Kundinnen und Kunden können bald bei ihm telefonisch einen Termin zur Online-Sprechstunde vereinbaren, dann bekommen sie einen Link geschickt, der sie auf die Homepage der Apotheke führt. Dort startet dann das Video. Den Antrag für die technische Umsetzung bei seinem Homepage-Anbieter habe er gestellt. Corona habe die Entwicklung hin zu mehr digitalen Angeboten drastisch beschleunigt. „Wenn ich die Fußgängerzone hinunter schaue, sehe ich: Die Leute bleiben zu Hause“, berichtet er.

Bergheimer Apotheker sieht auch Nachteile

„Wir haben einen eigenen E-Health-Arbeitsplatz eingerichtet“, sagt Burghardt. Das bedeutet, es gibt in der Marien-Apotheke einen Platz, an dem er und seine 17 Fachkräfte demnächst die digitalen Anliegen bearbeiten können. Nicht nur die Online-Sprechstunden, sondern auch die Bearbeitung der E-Rezepte, die im kommenden Jahr an den Start gehen sollen. „Wir stehen in den Startlöchern.“

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Die Digitalisierung seiner Branche sieht Burghardt nicht nur positiv. Kritisch merkt er an: „Vieles bleibt auf der Strecke.“ Damit meine er vor allem das Zwischenmenschliche. Man gehe vor dem Bildschirm anders miteinander um als beim Aufeinandertreffen. Marcel Burghardt glaubt allerdings, dass sich die Menschen schnell an die neuen Angebote gewöhnen würden, auch die älteren.

Ortsbürgermeister: „In Bergheim-Ahe gibt es keinen Arzt und keine Apotheke“

Eine Begegnung mit einer Seniorin, die im Rollstuhl sitzt und im Wohnpark Ahe wohnt, hat Winfried Kösters noch einmal ein Problem vor Augen geführt: „Die Frau kommt nicht zum Arzt“, sagt der Ortsbürgermeister, als er mit Tobias Gantner vor dem Healtcare-Makermobil auf dem Michaelsplatz steht.

Ortsbürgermeister Kösters und Gantner kennen sich von einer Veranstaltung der Krankenkasse AOK. Der 47-jährige Gantner, unter anderem Chirurg, gehört zu den „Healthcare-Futurists“, einer Gruppe, die für Kunden wie RWE und die Robert-Bosch-Stiftung Ideen und Geräte entwickelt, wie man Medizin und Digitalisierung zusammenbringen kann. Wenn es die pandemische Lage wieder zulässt, Kösters hofft im Mai oder Juni, soll Gantner mit seinem, wie er es nennt, „fahrbaren Abenteuerspielplatz“ noch einmal nach Ahe kommen.

Dann will Kösters Bürgerinnen und Bürger und interessierte medizinische Dienstleister zusammenbringen, um Interesse für eine digital gestützte medizinische Versorgung zu wecken.

Winfried Kösters: „Digitalisierung als Werkzeug für die Zukunft“

„In Ahe gibt es keinen Arzt und keine Apotheke“, sagt Kösters. Er kenne viele solche Regionen. Aber in Ahe gebe es Glasfaser. Kösters glaubt, Menschen müssten sich dran gewöhnen, dass der Arzt digital zu ihnen komme. Die „Digitalisierung als Werkzeug für die Zukunft“ nennt er das. Dafür müsse man bei den Bürgerinnen und Bürger werben, offen und transparent. Kösters und Gantner erhoffen sich von den geplanten Begegnungen, Hemmnisse abzubauen und Bevölkerungsgruppe zu erreichen, die sie sonst nicht erreichen würden.

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Und vielleicht entdecke der eine oder andere Dienstleister Ideen, mit denen er die digital gestützte medizinische Versorgung voranbringen könnte. Kösters hofft, auch „erlebte Kompetenzen“ mit in den Prozess der Ideenentwicklung einbeziehen zu können, zum Beispiel durch Beteiligung von Selbsthilfegruppen.

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