Getöteter Säugling in KerpenMutter muss drei Jahre und neun Monate in Haft

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KerpenGericht

Das Urteil ist gesprochen: Im Fall eines getötetn Säuglings muss die angeklagte Mutter drei Jahre und neun Monate ins Gefängnis.

Kerpen/Köln – Im Prozess um ein getötetes Neugeborenes hat das Kölner Landgericht gegen die 22-jährige Angeklagte aus Kerpen wegen Totschlags eine Haftstrafe von drei Jahren und neun Monaten verhängt. Die junge Mutter hatte im April dieses Jahres in ihrem Elternhaus heimlich eine Tochter zur Welt gebracht, dem Baby eine Plastiktüte über den Kopf gestülpt und ein Handykabel zweifach um den Hals geschlungen, dann zugezogen. Weil das Kind wimmerte, hatte sie dem Neugeborenen zuvor mehrfach mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Die wuchtigen Faustschläge seien jedoch nicht lebensbedrohlich gewesen, hatte eine Rechtsmedizinerin ausgeführt.

Die Staatsanwaltschaft hatte wegen der „besonders brutalen Vorgehensweise“ und einem „erschreckenden Vernichtungswillen“ eine Haftstrafe von acht Jahren und neun Monaten gefordert. Bei guter Führung könnte die junge Frau unter Einbeziehung der Zweidrittel-Regelung im Herbst 2023 aus dem Gefängnis entlassen werden. Ob das Urteil allerdings Bestand haben wird, ist fraglich. Die Anklagebehörde hat bereits angekündigt, gegen die Entscheidung einzulegen. Zur Begründung des deutlich milderen Urteils nannte die Vorsitzende Richterin Sarah Weirich die Annahme eines „minderschweren Falles“, so, wie es die Verteidigung gefordert hatte. Danach ist ein Strafrahmen von einem bis zu zehn Jahren vorgesehen. Die angeklagte Clara S. (Name geändert) habe sich zur Tat in einem „psychischen Ausnahmezustand sowie einer besonderen Belastungssituation befunden“, sagte die Vorsitzende, sie habe zudem eine „sehr kindliche Persönlichkeit“ mit einer von Gutachtern bescheinigten Reifeverzögerung. Eine Minderung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit hatten allerdings gleich zwei psychiatrische Sachverständige verneint, zumal die Angeklagte mit einem IQ von 100 Punkten über eine „gute, durchschnittliche Intelligenz“ verfüge.

„Sie wollte die Schwangerschaft nicht wahrhaben“

Die Kammer hat das umfassende Geständnis – allerdings bei erdrückender Beweislast – erheblich strafmildernd berücksichtigt. Clara S. habe bereits im sehr frühen Stadium der Schwangerschaft über ihren Zustand Bescheid gewusst. Dies bestätigen entsprechende Suchverläufe im Internet, wo sie sich über „Babybauch, Abtreibungspille“, aber auch über „Babyklappen und anonyme Geburt“ informiert hatte. „Sie wollte die Schwangerschaft nicht wahrhaben, die Wahrheit nicht hören“, hieß es in der Urteilsbegründung. Zwar habe Clara S. ihren Zustand „verdeckt und verheimlicht, nicht aber verdrängt“. Die Schwangerschaft sei ihr zu jedem Zeitpunkt bewusst gewesen. Clara S. sei bei der Tat „weder in der Steuerungs- noch Einsichtsfähigkeit“ eingeschränkt gewesen, sie habe den Tod des Babys „billigend in Kauf genommen“. Als Motiv hatte Clara S. Angst vor der Reaktion ihres Vaters angeführt, obwohl sie zu beiden Eltern eine nachweislich „gute und enge Beziehung habe“. Die Angst sei „objektiv unbegründet“, sagte Weirich. Die Eltern hatten an jedem Verhandlungstag im Saal gesessen und damit gezeigt, wie sehr sie zu ihrer Tochter stehen.

Nach Überzeugung der Kammer habe „eine ganze Reihe von strafmildernden Punkten hohes Gewicht“. Nicht nur das Geständnis, auch ihre bisher strafrechtlich einwandfreie Lebensführung, die psychische Ausnahmesituation, die Tatsache, dass sie die Geburt „ganz allein und mit großen Schmerzen“ erlebt habe, sei eine „elementare Belastungssituation“ für sie gewesen.

Urteilsbegründung dauert eine Stunde

Ungewöhnlich kritisch ging die Vorsitzende in ihrer rund einstündigen Urteilsbegründung auf das Plädoyer der Staatsanwältin ein. Deren Ausführungen seien teilweise „irrelevant und berühren das eigentliche Tatgeschehen nicht“. Auch gebe es „keine objektiven Anhaltspunkte“ für die von der Anklage angenommene Selbstsucht von Clara S. Dass die Angeklagte das Kind als Störfaktor betrachtet habe, sei falsch: „Das ist eine Vermutung ins Blaue hinein.“ Zudem sei die Tat spontan erfolgt: „Es gab keinen Hinweis für einen Tatplan“. Deshalb habe die Kammer nicht feststellen können, dass „ihr Wille auf den Tod des Kindes gerichtet war.“ Die Tatsache, dass Clara S. während der Schwangerschaft Party machte, rauchte und trank, dabei wechselnde Sexualpartner hatte, sei zwar „ein leichtfertiger Umgang, aber keineswegs eine verwerfliche Einstellung.“ Ausdrücklich zog Weirich in diesem Zusammenhang höchstrichterliche Rechtssprechung zur Hilfe. Danach haben „moralisierende Bewertungen bei Strafbemessungsgründen nichts zu suchen.“

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Strafschärfend wertete die Kammer allerdings das „Vortat-Verhalten“ der Angeklagten. Clara S. habe die Situation selbst verschuldet, sich sorgfaltswidrig verhalten und es versäumt, entsprechende Hilfe bei Ämtern und Behörden einzuholen, so wie sie es von ihrem ersten Schwangerschaftsabbruch vor vier Jahren gemacht hatte. Die von der Anklage „rohe und besonders brutale Tatausführung“ verneinte die Kammer jedoch mit dem Argument: „Eine über die bloße Tötung hinausgehende Gewalt ist nicht feststellbar.“ Für Clara S. habe die Tat „ein Leben lang Folgen“. Die von ihr gezeigte Reue sei „glaubhaft und von tiefer Betroffenheit“ gekennzeichnet. Weirich sprach abschließend von „beträchtlichen Milderungsgründen.“ Das Urteil sei „erforderlich und ausreichend, um dem Unrecht gerecht zu werden.“

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