Rhein-ErftSeit einem Jahr gibt es Cannabis aus der Apotheke

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Die Kerpener Apothekerin Nadine Freialdenhoven verwendet nur Cannabis-Blüten der Sorte Bedrocan, sie haben den höchsten Anteil des Wirkstoffes THC. Gelagert werden die Blüten in einem Tresor.

Die Kerpener Apothekerin Nadine Freialdenhoven verwendet nur Cannabis-Blüten der Sorte Bedrocan, sie haben den höchsten Anteil des Wirkstoffes THC. Gelagert werden die Blüten in einem Tresor.

Kerpen/Rhein-Erft-Kreis – Solange Herbert V. (Name geändert) sich bewegt und abgelenkt ist, bemerkt er seine Leiden nicht so sehr, doch wenn der 77-jährige Kerpener sich abends hinsetzt und ausruht, dann fangen seine Beine an zu zittern und zu schmerzen. Er leidet unter dem „Restless Legs Syndrom“, was wörtlich übersetzt „Unruhige-Beine-Syndrom“ bedeutet.

Hinzu kommen Hautkrebs sowie andere Leiden und aus alledem resultierend auch jahrelange Depressionen: „Wenn man das menschliche Befinden auf einer Skala von minus fünf bis plus fünf einteilen würde, dann geht es mir meistens so zwischen minus 3 und minus 4.“

Seit einigen Jahren jedoch konsumiert der 77-Jährige Cannabis – und das hilft ihm. Neuerdings bekommt er das Betäubungsmittel sogar auf Rezept.

Ansprechbarer und entspannter

Seit einem Jahr ist das möglich. Darauf weist die Apothekerkammer Nordrhein hin. Einer dieser Patienten ist der 77-Jährige Kerpener: „Durch das Cannabis hat sich mein Zustand in der Skala auf 0 oder plus 1 verbessert. Ich empfinde keine Euphorie, aber ich fühle mich lockerer, gelöster, bin ansprechbar und entspannter.“

Bevor es Cannabis auf Rezept gab, habe er sich Haschisch aus den Niederlanden besorgt. Allerdings sei der Verkauf an Ausländer dort verboten worden, sodass er sich Cannabis in Deutschland illegal besorgen musste. Der 77-Jährige ist froh, dass er nun aus der Illegalität heraus ist. Seinen Namen möchte er aber trotzdem nicht nennen, denn: „Der Gebrauch von Cannabis hat immer noch das Stigma, dass man als Kiffer dargestellt wird. Ich bin aber kein Kiffer.“

Er nimmt das Mittel mit Hilfe eines speziell dafür geeigneten Verdampfers am Nachmittag oder Abend ein, denn dann verschwindet das Zittern in seinen Beinen nach etwa zehn Minuten.

Neues Gesetz

Seit dem 10. März 2017 ist das Cannabis-Gesetz in Kraft. Seitdem können Schwerkranke sich medizinisches Cannabis beim Arzt verschreiben lassen, etwa für Schmerztherapien. Bis dahin wurde medizinisches Cannabis in Deutschland nur mit Ausnahmegenehmigung verschrieben.

Im ersten Jahr seien bereits 44 000 Einheiten an Cannabis-Blüten auf Kosten der Krankenkassen abgegeben worden, so die Apothekerkammer Nordrhein. Bei einer Genehmigung der Krankenkasse falle nur noch die Zuzahlung an, maximal 10 Euro pro Medikament. (rj)

Apothekerin Nadine Freialdenhoven sorgt in der Kerpener Struwwelpeter-Apotheke dafür, dass der 77-jährige Patient sein Cannabis in gleichbleibend hoher Qualität und genau portionierbaren Tagesdosen zu sich nehmen kann.

Jede Lieferung wird analysiert

Dazu wird jede Lieferung der laut Freialdenhoven besonders Tetrahydrocannabinol-haltigen (THC) Sorte Bedrocan zunächst mit einer Dünnschicht-Chromatographie analysiert. Dazu tauch sie ein Testblatt in ein Lösungsmittel. Anhand der Streifen, die entstehen, kann sie die chemische Zusammensetzung der Cannabisblüten überprüfen.

Auch ein Jahr nach der Freigabe von Cannabis auf Rezept würden die Blüten noch aus den Niederlanden oder Kanada importiert. In einer Betäubungsmittelkartei wird penibel verzeichnet, von wem das Produkt stammt, welcher Arzt es in welcher Menge verschrieben hat und für wen es ist. Dann werden sie in Tagesdosen kindersicher verpackt. Der Patient bekommt zudem einen Vaporisator, einen Verdampfer, in dem die Blüten ihre Wirkstoffe bei einer Temperatur von 180 bis 220 Grad abgeben. Die Einnahme über die Atemschleimhäute sei präzise dosierbar und wirksam, erklärt die Kerpener Apothekerin.

Freialdenhoven erläutert, Cannabis werde bei Schmerzen, Spastiken, Multipler Sklerose, schwerem Asthma, Depressionen oder auch der Parkinson-Krankheit verschrieben. Auch für stark abgemagerte Patienten komme es in Frage, denn eine Appetitsteigerung gehöre zu den Wirkungen, sodass diese Patienten wieder zunähmen: „Gerade bei Schwerkranken ist jede Minderung des Schmerzes und anderer Symptome doch eine Verbesserung der Lebensqualität.“

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