Streit mit KasseSindorfer soll wichtiges Medikament nicht mehr bezahlt bekommen

Lesezeit 4 Minuten
Kunzes Streit mit der Kasse1

Detlef Kunze ist auf Medikamente angewiesen. 

Kerpen-Sindorf – Ohne Medikamente schläft Detlef Kunze 15 bis 20 Stunden am Tag. „Überall schlafe ich ein. Ich kann mich auf einen flachen Tisch legen und bin sofort weg“, erzählt der 54-jährige Sindorfer. Doch seit sieben Jahren gehe es mit ihm bergauf.

Das liege an einem Medikament namens Vigil, das für die Behandlung der Krankheit Narkolepsie zugelassen ist. Nur dadurch bleibe er wach. Inzwischen kann der begeisterte Fußballspieler und frühere Marathonläufer auch wieder als Trainer arbeiten.

Krankheit, für die es keine Therapie gibt

Doch nun will ihm die gesetzliche Krankenkasse Barmer das Medikament nicht mehr bezahlen. Schon vor Jahren habe ihm die Kasse mitgeteilt, dass es ihm eigentlich nicht zustehe. Trotzdem habe sein behandelnder Neurologe es ihm weiter verschrieben.

Alles zum Thema Sindorf

Der Sindorfer hat seinen Arzt, der namentlich nicht genannt werden möchte, von der Schweigepflicht entbunden. Im Gespräch mit dieser Zeitung sagte der Arzt: „Das ist eine schwierige Sache. Prinzipiell ist dieses Medikament nicht für einen solchen Fall zugelassen. Es ist ein Off-Label-Use.“ Also eine Anwendung, die von einem Arzt für eine Krankheit empfohlen wird, für die sie eigentlich nicht zugelassen ist.

Kunze leide nämlich wahrscheinlich nicht unter Narkolepsie, sondern unter Idiopathischer Hypersomnie, so der Mediziner: „Er schläft zu viel, braucht auch zu viel Schlaf. Das ist schwer abzugrenzen zur Narkolepsie.“ Weil die Idiopathische Hypersomnie aber so selten sei, stehe keine allgemein anerkannte Therapie zur Verfügung.

Empfehlung der Uniklinik Bonn half nicht

Auch die Uniklinik Bonn habe Kunzes Krankheit als Idiopathische Hypersomnie eingestuft: „Es gibt kein Medikament, das dafür zugelassen ist. Der Off-Label-Antrag auf Kostenübernahme ist aber leider trotz der Empfehlung der Uniklinik abgelehnt worden.“

Pro Tag nimmt Kunze zwei Tabletten Vigil ein. Das entspricht täglichen Kosten von 9,72 Euro, denn eine Hunderterpackung kostet nach Angaben des Neurologen 486 Euro. Barmer-Pressesprecher Thorsten Jakob sagt, die Kasse habe das Medikament Vigil jahrelang bezahlt, da Kunzes Arzt es als Medikament gegen Narkolepsie verschrieben habe.

Krankenkasse verweist auf den Arzt

Mittlerweile gebe es aber eine andere Diagnose, eben Idiopathische Hypersomnie, und Kunzes Arzt verordne Vigil nicht mehr. Darüber könne man sich als Krankenkasse nicht hinwegsetzen: „Es liegt auf der Hand, dass eine Krankenkasse hier nicht abhelfen und die Rolle der Ärzte einnehmen kann.“

Die Ärzte der Uniklinik Bonn empfehlen andere Medikamente: Venlafaxin und Elontril. „Herr Kunze möchte jedoch weiterhin mit Vigil behandelt werden.“ Das dürfe die Krankenkasse aber nicht unterstützen. Für Off-Label-Use gebe es genau definierte rechtliche Voraussetzungen: Es müsse sich um eine lebensbedrohliche oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung handeln. Auch dürfe keine andere Therapie verfügbar sein. Zudem müsse eine begründete Aussicht bestehen, mit dem betreffenden Präparat einen Behandlungserfolg zu erzielen.

Diese Bedingungen seien in Kunzes Fall aber nicht erfüllt, wie auch eine Expertise des Medizinischen Dienstes der Krankenkasse ergeben habe, so Jakob. Die Barmer stütze sich auf zwei Verfahren beim Sozialgericht Köln und beim Landessozialgericht NRW, die die Entscheidung der Versicherung bestätigt hätten.

Streit um Kostenübernahme kein Einzelfall

Kunze ist kein Einzelfall: Immer wieder gibt es im Gesundheitswesen Streit um die Kostenübernahme von Medikamenten, die zum Off-Label-Use verschrieben werden. Oft ist unklar, welche Krankheit als „schwerwiegend“ anzusehen ist oder ob wirklich keine anerkannte Therapie verfügbar ist. Manchmal werden für ganz seltene Krankheiten gar keine Medikamente entwickelt oder deren Zulassung wird nicht beantragt, weil sich das für Pharmafirmen nicht lohnt.

In solchen Fällen bleibt nur die Hoffnung auf eine positive Einzelfallentscheidung der Krankenkasse oder der Gang vor das Sozialgericht. Im Streit um solche Verschreibungen geht es aber nicht nur um wirtschaftliche Erwägungen, sondern auch um Patientensicherheit. Nach dem Contergan-Fall vor 50 Jahren ist das deutsche Arzneimittelgesetz verschärft worden, damit Medikamente nur die gewünschten Wirkungen und möglichst keine anderen, negativen Folgen haben. (rj)

Kunze bleibt aber dabei: „Die Medikamente Venlafaxin und Elontril habe ich schon ausprobiert. Sie haben mir nicht geholfen. Mit Vigil bin ich dagegen sieben Jahre lang gut klargekommen.“ Auch sein Arzt und die Ärzte der Uniklinik empföhlen Vigil. Sein Arzt wolle es ihm dennoch nicht mehr verschreiben, weil er fürchte, von der Krankenkasse in Regress genommen zu werden.

Dass dies durchaus passieren könnte, bestätigt Jakob. Er weist darauf hin, dass Medikamente im Off-Label-Use nur in Ausnahmefällen eine Leistung der Krankenkassen sein dürften. Für den Arzt bestehe ein „realistisches Regress-Risiko“, wenn die rechtlichen Grundlagen für die Anwendung nicht gegeben seien.

Kunze ist verzweifelt: Dank Vigil könne er wieder am Leben teilnehmen. Er leite dreimal die Woche Fußball-Arbeitsgemeinschaften in Kerpener Grundschulen und verdiene sich so etwas Geld. „Aber das kann ich alles nicht mehr tun, wenn man mir das Medikament nicht mehr verschreibt und die Reste aufgebraucht sind. Ich habe nur noch wenige Tabletten.“

Rundschau abonnieren