Tanne statt WanneWaldbaden in Pulheim – Ein Selbstversuch

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Das Umarmen eines Baumes gehört zum Waldbaden, sagt Petra Hölters.

Das Umarmen eines Baumes gehört zum Waldbaden, sagt Petra Hölters.

  • Shinrin Yoku – „Baden in der Atmosphäre des Waldes“ heißt die Bewegung, die in den 80er-Jahren in Japan entstand.
  • Inzwischen kann man auch in Deutschland Waldbaden, sogar in Pulheim.
  • Aber was bewirkt der Gesundheits-Trend wirklich? – Ein Selbstversuch

Pulheim – Tanne statt Wanne? Jawohl, heute geht’s mal zum Baden in den Wald. Den Badeanzug kann ich dabei getrost zu Hause lassen, was mich angesichts der frischen Temperaturen etwas tröstet. Also, was nimmt man dann mit zum Waldbaden? Festes Schuhwerk und ein Sitzkissen, erklärt mir Waldbademeisterin Petra Hölters.

Die 51-jährige Pulheimerin ist eigentlich gelernte Naturerlebnis-Pädagogin, die ihre Leidenschaft für den Wald zum Beruf gemacht hat, wie sie mir strahlend versichert. Wir treffen uns auf dem Parkplatz Chorbusch, vor einem riesigen Wald mit uralten Bäumen zwischen Pulheim, Köln und Dormagen. Tanja und Joanna, zwei neugierige Naturmädels aus Pulheim sind auch schon da und freuen sich auf einen entspannten Waldbade-Tag. Beide haben das noch nie gemacht, ein Experiment also für uns alle drei.

Waldbaden ist Entschleunigung statt Esoterik

Soll ich da wirklich mitmachen? Mein Sinn für Esoterik ist verschwindend gering, die Natur interessiert mich wesentlich mehr. Also, los geht’s. Um Esoterik geht es beim Waldbaden auch gar nicht, erklärt die Natur-Erlebnispädagogin. Viel mehr um Achtsamkeit, Entschleunigung und Gesundheit.

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Und ein Waldspaziergang, wie ich ihn von langweiligen Sonntagnachmittagen meiner Kindheit kenne, ist das auch nicht. Hier wird nicht Strecke gemacht, sondern der Wald mit allen Sinnen erlebt. Das geht am besten querfeldein. Wir verlassen die ausgetretenen Wege, tauchen tief in den Wald ein. Das Laub vom letzten Herbst raschelt unter meinen Wanderstiefeln.

Als erstes legen wir Steinchen auf einen Baumstamm, jedes Steinchen für eine Sorge, die wir hier zurücklassen. Ab jetzt zählt nur noch der Augenblick. Auf einer Lichtung wird geatmet. Mal schnell, mal langsam, immer im Rhythmus unserer Schritte. Ich rieche die würzige Waldluft.

„Die Bäume geben ihre biochemischen Stoffe, die Terpene, an die Waldluft ab“, erklärt Petra Hölters. „Beim Einatmen können Killerzellen aktiviert werden, die stärken unsere Abwehrkräfte. Außerdem hilft die Waldluft gegen Stress.“ Wir schlagen uns weiter in die Büsche, treffen auf Wildschwein-Spuren, einen Salzleckstein für Rehe und essbare Kräuter. Tatsächlich, wenn man Brennnesseln vorher fest drückt, kann man sie essen, ganz ohne Verletzungen.

Bäume muss man beim Waldbaden nicht umarmen

Dann heißt es, 20 Minuten den Wald zu spüren. So lange? Ich setze mich an einen Baum, schließe die Augen. Bevor ich mich anfange zu langweilen, höre ich einen Specht hämmern. Ich höre ihm aufmerksam zu. Plötzlich kommen Sonnenstrahlen durch die Bäume und ein wohliges Gefühl der Ruhe setzt ein. Die Vögel singen im Chor und erst als eine Eichel lärmend in den Waldboden neben mir fällt, wache ich auf. Nicht schlecht, lange nicht mehr im Wald geschlafen.

Die Bewegung

Shinrin Yoku – „Baden in der Atmosphäre des Waldes“ heißt die Bewegung, die in den 80er-Jahren in Japan entstand. Aufbauend auf fernöstliche Traditionen erforschte der japanische Umwelt-Immunologe Quing Li von der Nippon Medical School in Tokio die heilende Wirkung der Terpene. Das sind spezielle Pflanzenstoffe, die von den Blättern und Nadeln der Bäume freigesetzt werden und die den typisch harzigen Waldgeruch hervorrufen. Nimmt der Körper im Wald über Lunge und Haut die bioaktiven Substanzen auf, können Abwehrkräfte gestärkt, Blutdruck normalisiert, Diabetes bekämpft und Stresshormone abgebaut werden.

Inzwischen bieten auch japanische Universitäten die fachärztliche Spezialisierung „Waldmedizin“ an. Rund fünf Millionen Japaner nutzen jährlich zum Waldbaden den riesigen Nationalen Erholungswald von Akasawa. Shinrin Yoku wird als Therapie von den japanischen Krankenkassen bezahlt.

Tanja und Joanna sind ebenfalls beeindruckt. „Eine Hummel hat mich begrüßt“, meint Tanja und Joanna stellt fest: „Bäume sind mir lieber als Insekten.“ Warum dann nicht mal einen Baum umarmen? Muss man nicht machen, kann man aber.

Und überhaupt, ist dieses Waldbaden wirklich eine Erfindung der Japaner? „Es gibt eine Kraft aus der Ewigkeit, und diese Kraft ist grün“, schrieb bereits im Mittelalter die Äbtissin und Gelehrte Hildegard von Bingen. Dem schließe ich mich an. Als wir nach knapp drei Stunden wieder aus dem Wald auftauchen, fühle ich mich wie nach einem Tag am Meer. Ich könnte Bäume ausreißen. Oder vielleicht umarmen.

Weitere Infos unter www.waldwiese.info.

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