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Wesseling in TrümmernAls 1945 die Amerikaner kamen

Lesezeit 5 Minuten
Das Foto zeigt Aufräumarbeiten auf der Keldenicher Straße in Wesseling nach einem Bombenangriff. In dem Haus kamen fünf Menschen ums Leben.

Das Foto zeigt Aufräumarbeiten auf der Keldenicher Straße in Wesseling nach einem Bombenangriff. In dem Haus kamen fünf Menschen ums Leben.

  • Im März 1945 begann die Nachkriegszeit in Wesseling.
  • Die 88-jährige Adele Fohrn war mittendrin und berichtet von ihren Erfahrungen und Empfindungen.

Brühl/Wesseling – „Mit dem 8. März 1945 begann in Wesseling die Nachkriegszeit“, schreibt der Heimatforscher und Autor Wolfgang Drösser in seinem Geschichtsbuch über die Stadt. Adele Fohrn hat diesen Tag erlebt. Die heute 88-Jährige ist in Wesseling, im Haus ihrer Großeltern, geboren und in der Unterdorfstraße in Keldenich aufgewachsen.

Wie oft sie wegen bevorstehender Luftangriffe als Kind aus der Schule nach Hause gerannt ist, weiß sie nicht mehr. „Luftgefahr 15“ lautete das Stichwort, das den Kindern in der Volksschule über Lautsprecher durchgesagt wurde. „Das hieß, dass wir genau 15 Minuten Zeit hatten, zum Bunker zu laufen und unsere Eltern zu informieren“, erklärt sie. „Oma, Luftgefahr 15“, habe sie oft schon von weitem gerufen. Oma holte dann das Köfferchen, und gemeinsam mit den Geschwistern und der Mutter seien sie alle in den Bunker gerannt.

Panzersperre längst geräumt

Am 8. März 1945 sollte dieses Grauen ein Ende haben. Auch deshalb wird Adele Fohrn diesen Tag im März vor 75 Jahren nie vergessen. Damals war sie 13 Jahre alt. „Es war der Tag vor dem Namenstag meiner Schwester Franziska“, berichtet sie. In Panzern seien die amerikanischen Truppen aus Richtung Sechtem und dem Vorgebirge auf Keldenich vorgerückt. „Wir hatten schon Tage zuvor damit gerechnet.“ Auch die Panzersperre des „Volkssturms“ am Heiligenhäuschen an der Sechtemer Straße/Ecke Schulstraße war am 8. März 1945 längst geräumt, die Schranke weit geöffnet, und am Mast flatterte die weiße Fahne.

Als gegen 16 Uhr die Amerikaner in Wesseling-Keldenich einzogen, stand die junge Adele am Straßenrand. In der Hand hielt auch sie eine weiße Fahne. „Ich sehe die Panzerkolonne bis heute noch vor mir.“ Überall an den Häusern hätten weiße Laken gehangen, und mit weißen Tüchern in den Händen hätten die Menschen den fremden Soldaten vom Straßenrand aus zugewinkt. Natürlich habe auch sie damals Angst gehabt. „Aber die Amerikaner waren sehr friedlich“, sagt sie.

Häuser durchsucht und besetzt

In Keldenich hätten sich zu diesem Zeitpunkt auch zwei deutsche Soldaten versteckt. „Die haben sich dann aber doch gestellt und kamen noch in amerikanische Gefangenschaft“, erinnert sie sich. Mehrere Häuser in Wesseling und Keldenich seien noch am Abend und in der Nacht von den Amerikanern durchsucht und teils auch besetzt worden. „Wir hatten damals eine Wohnung in der Unterdorfstraße“, berichtet die Seniorin. Im gleichen Haus hätten sich dann etwa 15 Amerikaner einquartiert. „Und schräg gegenüber haben sie auf dem Hof unserer Nachbarn ihre Quartiersküche eingerichtet“, erzählt die Seniorin. Jeden Tag sei dort gut gekocht worden.

Der Friede in Gefahr

Oft werde vergessen, dass zig Millionen Menschen in den vergangenen siebeneinhalb Jahrzehnten in Frieden lebten, sagt Hans Grugel, ehemaliger Oberstudienrat des St. Ursula-Gymnasiums in Brühl. 75 Jahre lang sei man hierzulande von Krieg verschont geblieben. „Doch dieser Friede und das, was mit so großen Mühen in Deutschland und Europa aufgebaut wurde, droht jetzt auseinanderzubrechen, und alle schauen zu.“ Die Entwicklung erschrecke ihn doch sehr.

Hans Grugel war vier Jahre alt, als die Amerikaner Anfang März des Jahres 1945 im Vorgebirge einmarschierten und der Zweite Weltkrieg samt der Bomben und des Terrors auch für ihn endlich zu Ende war. Doch immer mehr habe er inzwischen das Gefühl, dass die alte Lebensweisheit „wehret den Anfängen“ nicht mehr beherzigt werde. „Die Anfänge sind doch längst überschritten, und von sich wehren ist wenig zu spüren“, beklagt der ehemalige Oberstudienrat. (mkl)

Insbesondere die Kinder hätten immer dort zu essen bekommen. „Die haben uns Kinder richtig verwöhnt“, sagt Adele Fohrn und ergänzt: „Von den Amerikanern habe ich auch die erste Apfelsine meines Lebens bekommen.“

Unvergessen bleibt ihr auch der Duft des frisch aufgebrühten Bohnenkaffees, den sie in der amerikanischen Quartiersküche das erste Mal in ihrem Leben bewusst gerochen hat. „Den Kaffeesatz haben die weggeworfen“, berichtet die heute 88-Jährige. Sie habe ihn dann aufgesammelt und ihrer Mutter nach Hause gebracht. „Mutter hat den Kaffeesatz dann im Backofen getrocknet und konnte so noch mindestens dreimal Kaffee darauf kochen.“

Kein Ende in Sicht

Doch trotz der amerikanischen Besatzung war der Krieg noch nicht zu Ende. Jetzt jedoch war es die deutsche Wehrmacht, die, auch laut Drössers Recherchen, von der anderen Rheinseite aus auf Wesseling schoss. „Bis zum 19. März 1945 blieben deswegen die Häuser entlang des Rheins geräumt“, sagt er.

Intensiv hat sich der 79-Jährige mit der Geschichte der Städte Wesseling und Brühl beschäftigt. Bei seinen Forschungen zum Kriegsende im Frühjahr 1945 hat er unter anderem die Aufzeichnungen aus den Pfarrarchiven in Ortschaften von Wesseling und Brühl durchforstet.

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„Schon am 7. März 1945 wurde Brühl von den Amerikanern besetzt, der Krieg war für die Bevölkerung aber auch dort noch nicht vorbei.“ Denn auch in Brühl wollte die deutsche Artillerie nicht kapitulieren. Noch bis zum 14. März 1945 schossen die Deutschen auf ihre eigene Stadt.

Brennende Keller

Drösser selbst hat das Kriegsende in Schwerin erlebt. Vier Jahre war er damals alt. Noch heute hört er die Luftabwehrgeschütze und hat die sieben brennenden Keller vor Augen, durch die er im April nach schwerer Bombardierung mit seiner Mutter und seiner Schwester gelaufen ist. In Schwerin war der Krieg erst am 2. Mai 1945 zu Ende, als US-amerikanische Truppen die Stadt befreiten. Sechs Tage später folgte dann die bedingungslose Kapitulation des nationalsozialistischen Deutschlands.

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