Afghanen im Rhein-Sieg-KreisDie Angst um Verwandte bestimmt den Alltag

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Alltag in Afghanistan: Einkaufen in Kabul unter den Augen der Taliban.

Rhein-Sieg-Kreis – Immer dann, wenn die Gedanken übermächtig werden, steigt er aufs Fahrrad. Egal, ob es am Mittag ist oder mitten in der Nacht. Denn nur dann kann Hamza Amin Hamza, der nicht so heißt und sein Bild nicht in der Zeitung zeigen möchte, die Angst um seine Familie in Afghanistan ein bisschen auf Abstand halten. „Aber es kommt“, sagt der durchtrainierte Mann mit den sanften Augen. „Man kann die Familie nicht vergessen.“

Auch die Familie von Gitta und Rafi – „ein Musterbeispiel für Integration“, sagt Brahim Elhajoui von der Migrationsberatung der Diakonie – ist mit den Gedanken fast pausenlos bei Angehörigen, die in Afghanistan leben. „Helft mir“, fleht die Schwägerin am Telefon; „sie ist nur am Weinen“, berichtet Gitta.

Vor 20 Jahren schon war sie mit den Eltern vor den Taliban nach Deutschland geflüchtet, der Vater ins Fadenkreuz geraten und kurzzeitig auch schon inhaftiert worden. Später sind sie jährlich zu Besuchen bei Verwandten gereist, seit 2018 hat sich Gitta aber geweigert: An Weihnachten hatten Taliban die Schwester und den Bruder ihres Mannes erschossen.

Bruder und Schwester wurden ermordet 

Die bekannte Frauenrechtsaktivistin Freshta Kohistani war, so berichtet die Familie, mit ihrem Bruder auf dem Weg, Lebensmittel an Bedürftige zu verteilen, als die beiden von einem fahrenden Motorrad herab erschossen wurden. Auch Raketenbeschuss haben Eltern und Kinder erlebt, Todesangst und nächtliche Alpträume auch noch Wochen nach der Rückkehr nach Sankt Augustin.

In Deutschland leben inzwischen auch Schwestern der 35-Jährigen; eine weitere Schwester ist in den Iran geflüchtet. Rafis Eltern gelang es nach der Einnahme Kabuls, nach Katar und schließlich in die USA ausgeflogen zu werden, begleitet vom zwölfjährigen Sohn der Ermordeten. Zurück blieb seine Schwester mit ihren vier Kindern.

Taliban suchen nach Verwandter

„Als Schwester von Freshta Kohistani wird sie auch bedroht“, sagt Diana, die Cousine, die in Deutschland geboren wurde und in Bonn lebt. Gezielt werde nach ihr gesucht, täglich schlafe sie mit ihren Kindern an einem anderen Ort. Ein Schicksal, das sie mit anderen Aktivisten, aber auch Journalistinnen und Journalisten teile. „Sie werden entführt, man weiß nicht, was aus ihnen geworden ist.“

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Angehörige in Sankt Augustin sorgen sich um ihre Verwandten in Afghanistan, die von den Taliban verfolgt werden. 

Und auch nach Deutschland greift die Hand der Häscher: Es gab Anrufe bei Rafi mit Fragen nach der Schwester. „Sie geben Mitleid vor und wollen uns ausforschen“, sagt seine Frau. Das sanfte Gesicht der Taliban nach der erneuten Machtübernahme der Gotteskrieger hat sie ohnehin nie als echt akzeptiert. „Die lügen nur“, sind sich Gitta und Cousine Diana einig.

Als Bodyguard schützte er zwei Präsidenten

Als er vor drei Jahren das Land verließ, hat Hamza Amin Hamza nur seine Eltern eingeweiht. „Unsere Arbeit war immer gefährlich“, erzählt er. Als Bodyguard für den Präsidenten Hamid Karzai und dessen Nachfolger Aschraf Ghani war er ohnehin stets im Schussfeld. „Aber dann kamen sie zu uns nach Hause.“

Nach mehreren Angriffen machte er sich auf den Weg, flog zunächst mit einem Visum in den Iran und schlug sich von dort aus nach Deutschland durch. Drei Monate war er unterwegs, „komplett illegal“. Insgesamt 23 000 Euro haben Schleuser kassiert – Geld, das die Familie, aber auch Freunde und Kollegen des Vaters aufgebracht haben. Dabei könnten sie es selbst so nötig brauchen: Geflüchtet ins Haus der Großmutter, leben dort drei Familien, Alte ebenso wie Kinder, in einem Raum.

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Die Männer verlassen das Haus nicht, zum Einkaufen gehen die Schwestern und die Kinder. „Lebensmittel sind auch teuer“, berichtet der 34-Jährige, zugleich kann niemand arbeiten und Geld verdienen. Ab und an schickt der Bruder aus Paris finanzielle Hilfe, „aber das reicht nicht für drei Personen“. Er selbst kommt mit Geld vom Jobcenter gerade so hin, abgeben kann er davon nichts.

„Ich weine im Herzen“

Einmal in der Woche telefoniert er mit der Familie, öfter wäre zu teuer. „Ich bin alt, für mich ist es egal“, sagt dann die Mutter, während die Schwestern um Hilfe für ihre Männer bitten. Dabei leidet die Mutter an Diabetes und Herzproblemen, die benötigten Medikamente aber kommen nicht ins Land. Wie lange der Vorrat noch reicht, hat Hamza unlängst seine Schwester gefragt. „Für ein paar Wochen noch“, war die Antwort. Weinen könne er nicht, sagt Hamza leise. „Ich weine im Herzen.“

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