Nach über 40 Jahren ist SchlussDie letzte Fahrt vom Eitorfer Bäcker Baust

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„Ewig schon“ kaufen sie am Bäckerwagen: Die Alzenbacher Nachbarn machen Späßchen an der Verkaufstheke.

„Ewig schon“ kaufen sie am Bäckerwagen: Die Alzenbacher Nachbarn machen Späßchen an der Verkaufstheke.

Eitorf – „Zwei Brote, zwei Brötchen – ein normales, eins mit Körnern – ein Obstteilchen und eins mit Pudding.“ Hanna Klondr hält die rote Einkaufstasche auf, und Josef Baust packt die Backwaren hinein. „14,60 Euro. Und Sie wissen ja, ich bin das letzte Mal da.“

Den Satz wird der 64-Jährige heute oft sagen. Und genauso oft wird er hören: „Ach nein, wie schade!“ „Alles, alles Gute“ werden seine Kunden ihm wünschen, „Gesundheit – das ist das Wichtigste“ und einen erfüllten Ruhestand. Und so manch einer wird listig anbieten: „Wenn du dich ja bald schon langweilst, dann komm doch wieder mit deinem Wagen. Ich kauf dir was ab!“ Baust wird dann lachen und abwinken.

Langweilen, da ist sich der Konditormeister ganz sicher, wird er sich nicht, wenn er Anfang dieser Woche dann offiziell Rentner ist, der große Ofen in der Backstube kalt bleibt und der zum Verkaufswagen umgebaute Renault zum Verkauf steht. Argentinischen Tango will Josef Baust dann mit seiner Frau Eva tanzen – und ausschlafen.

„Um 4.30 Uhr beginnt mein Tag“, erzählt er. Da haben seine beiden Angestellten schon vorgearbeitet. Beide haben schnell einen neuen Arbeitsplatz gefunden, sagt der Eitorfer Bäcker, „gute Handwerksleute sind gefragt“.

Bis an den Kuhstall von Bauer Reinhold Münke fährt Baust, der Brötchen bis an die Haustür bringt und die Tüte von Hanna Klondr füllt.

Bis an den Kuhstall von Bauer Reinhold Münke fährt Baust, der Brötchen bis an die Haustür bringt und die Tüte von Hanna Klondr füllt.

Es ist Samstag, 8 Uhr, und Baust startet zu seiner letzten Fahrt. Wie jeden Morgen hat er die Regale im schmalen Inneren des Bäckereiwagens beladen: Körnerbrote, Dinkellaibe, Baguette. Körbe mit Brötchen, Laugenstangen und Croissants, Tabletts mit Teilchen, Törtchen im Kühlschrank. „Ich hoffe immer, dass ich gut geplant habe“, sagt er. Denn obwohl er seit mehr als 40 Jahren über die Dörfer fährt und Stammkunden beliefert, weiß er nie: „Kauft einer jetzt zwei Brötchen oder zehn?“

Baust öffnet die Tür, steigt in den weiß-gelben Wagen, in dem es verführerisch nach frisch Gebackenem duftet, setzt sich auf den mit Schaffell bezogenen Sitz und startet. Mühleip, Alzenbach und Rodder steuert er an. Bis nach Obereip, Merten, nach Windeck-Lüttershausen, Röcklingen und Herchen führen seine Touren, jeden Tag eine andere, fünf Tage die Woche. „Etwa 65 Kilometer fahre ich am Tag“, erzählt er. „Das ist nicht viel, aber es dauert sehr lange.“ Bis 17 Uhr ist er allemal unterwegs, „deswegen macht das auch keiner mehr“.

Bis an den Kuhstall von Bauer Reinhold Münke fährt Baust, der Brötchen bis an die Haustür bringt und die Tüte von Hanna Klondr füllt.

Bis an den Kuhstall von Bauer Reinhold Münke fährt Baust, der Brötchen bis an die Haustür bringt und die Tüte von Hanna Klondr füllt.

Er selber wollte den fahrenden Backladen auch nicht übernehmen, „ich wollte lieber Schreiner werden“. Doch dann kam der Anruf: „Der Vater ist die Treppe runtergefallen und hat sich das Bein gebrochen. Du musst die Ware ausfahren.“ Und dann, irgendwie, irgendwann, hat es ihm doch Spaß gemacht. Viele Kunden hat er vom Vater „geerbt“, die meisten kaufen Rosinenplatz. „Den esse ich schon seit 63 Jahren“, erzählt Karl Heinz Fischer, dessen Autowerkstatt im Gewerbegebiet Im Auel seit vielen Jahren zur Stammkundschaft gehört. Und auch Manfred Vogt, der schlecht zu Fuß ist und dem Baust die Stofftasche mit den Bestellungen aus dem Autofenster reicht, schwärmt: „Im ganzen Siegkreis finden Sie keinen schöneren Blatz als den von Baust.“

Der Renault rattert und schnauft durch die schmalen Straßen. Schotter knirscht unter seinen Reifen, draußen dampft ein Misthaufen. Baust drückt auf die Hupe. Licht an, Klappe auf. Bauer Dieter nimmt die Brottüten entgegen und reicht einen Sack über die Theke. „Kartoffeln“, sagt er. „Laura und Belana, aus eigenem Saatgut selbst gezogen.“ Geld will er nicht, „ist ein Geschenk“. Obst und Kartoffeln, Leberwurst und Blutwurst: Das habe er schon mal bekommen, wenn er altes Brot für die Tiere daließ. Klappe zu, Motor an, weiter geht’s. Nussecken und ein Graubrot. „Wie geht’s der Frau?“ Berliner, Croissants. „Was macht das Bein?“ Hier legt er die Tüte in den Hauseingang, da bringt er sie zur Kundin, die kaum noch laufen kann. Er weiß, wer Schwarzbrot will und wer keine Rosinen mag, wer seine Ware in der Plastiktüte statt in Papier möchte. Er kennt Krankheits- und Familiengeschichten, er ließ anschreiben, nahm Verrechnungsschecks in Zahlung und gab in barer Münze heraus, „weil die Leute doch nicht zur Bank kommen“.

Bis an den Kuhstall von Bauer Reinhold Münke fährt Baust, der Brötchen bis an die Haustür bringt und die Tüte von Hanna Klondr füllt.

Bis an den Kuhstall von Bauer Reinhold Münke fährt Baust, der Brötchen bis an die Haustür bringt und die Tüte von Hanna Klondr füllt.

Seine Kunden kommen aus der Küche und dem Kuhstall, in Gummistiefeln und Arbeitshose, in Unterhemd und im Schlafanzug. Luzi Fismer, die schon bei Bausts Vater am Wagen kaufte, sagt wehmütig: „Er gehört doch zum Inventar.“

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