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WeingartsgasseIn drei Jahren wollen Hennefer eigenen Wein keltern – Verein gegründet

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Hennef Weinanbau

Die Vier am Erdbohrer: (von links) Jörg Schütz, Christian Gaida, Pit Raderschad und Tom Gaida bedienen das Gerät. Stefan Ostrowski (im neongelben Shirt) schaut zu.

Hennef – Die Männer haben keine Muße, die Aussicht zu genießen. Auf dem Steilhang hoch über der Sieg tropft ihnen der Schweiß von der Stirn, sie hantieren mit Zollstock und roter Sprühfarbe, rammen Metallpfähle in die Wiese, halten zu viert den rotierenden Erdbohrer. Immer mit einem fernen Ziel vor Augen: In Weingartsgasse sollen wieder Reben wachsen und gedeihen. „In drei Jahren wollen wir hier unseren ersten Wein keltern“, sagt Christian Gaida, der Vorsitzende der Wingfründe (Weinfreunde).

Eine Schnapsidee, vielleicht, geboren bei einem Kölsch in der Runde der Brutzelbrüder, einem Hennefer Männer-Kochclub. Beim gemeinsamen Essen darf ein guter Tropfen nicht fehlen. Und was liegt da näher, als eine historische Hennefer Tradition wiederzubeleben und sich dem Weinbau zu widmen? Elf Genießer gründeten den Verein im November, der nun, ein halbes Jahr später, schon auf 22 Mitglieder angewachsen ist. Büroleute, Bundeswehrsoldaten, Kaufmänner, Rentner und pensionierte Lehrer, Azubis und Schüler widmen sich dem bislang unbekannten Terrain, allesamt Hobbywinzer. Mutig.

„Vielleicht ist es ganz gut, nicht allzu viel Ahnung zu haben“, sagt Peter Karrenberg, der sich die Hände an der Jeans abwischt und zur Kamera greift, um die Fortschritte festzuhalten. Im Fokus hat er Wilfried Haverkamp, der auf der Leiter balancierend mit Wucht die Ramme runter reißt und so einen der 2,50 Meter langen Metallstab etwa 40 Zentimeter in die Erde treibt. 70 insgesamt werden mit Erdankern stabilisiert und sollen durch Drähte verbunden ein Spalier bilden, an dem die Gewächse ranken.

Früh reifende Reben gezüchtet

600 Quadratmeter groß ist der Weinberg, den der Verein mit vereinter Kraft beackern muss. Sieben Reihen Reben, insgesamt 250 Pflanzen, setzen die Männer an diesem sonnigen Wochenende. 125 Riesel, 100 Solaris – beide weiß – und zehn rote Cabaret Noir. Pilzwiderstandsfähige, früh reifende Sorten extra für Anbaugebiete nördlich des 50. Breitengrades und eigens für die Wingfründe in einer Rebschule in der Pfalz gezüchtet, erklärt Gaida.

Der Vorsitzende hat den Boden bereitet für das Projekt, in den vergangenen Monaten Winzer an Rhein und Mosel besucht, sich mit Bodengesundheit und Ökologie, mit Aufzucht, Beschnitt und Veredelung beschäftigt.

Durch die Kontakte des Immobilienmaklers kam der Verein ans Grundstück: Das gehört einem prominenten Hennefer, der es pachtfrei zur Verfügung stellt.

Der neue Weinberg grenzt an sein historisches Vorbild: Unterhalb wuchsen rund 1000 Jahre lang vom Mittelalter bis Anfang des 20. Jahrhunderts Trauben, umgeben vom Wald zwischen den Ortsteilen Weingartsgasse und Happerschoß. Spuren des „suuren Hungks“, des sauren Hundes, wie der vergorene, nicht sehr süffige Traubensaft einst spöttisch genannt wurde, finden sich noch heute: Der steile, mit hohen Gräsern bewachsene Hang ist terrassenförmig abgestuft. Unten glitzern die Sieg und das Blech der Fahrzeuge auf der Autobahn 560, rechter Hand ragen der Siegburger Michaelsberg samt Abtei und der Phrix-Turm heraus, und dazwischen tauchen im Dunst das Siebengebirge und der Bonner Posttower auf.

Am Abend vor dem ersten, harten Arbeitstag empfingen die Männer mit Hallo die Freiwillige Feuerwehr Happerschoß, die drei quadratische Tanks mit insgesamt 3000 Liter Wasser ankarrte. Sie wässerten die Wurzeln der 250 zwischenzeitlich gekühlten Reben, unscheinbare, mit grünem Wachs überzogene, am oberen Ende knospende Stecken, „um sie aufzuwecken“, wie Pit Raderschad schildert. Dann setzten sich die Wingfründe ins Gras, schauten auf die untergehende Sonne und stießen mit einem guten Tropfen an und gelobten: „2021 trinken wir unseren eigenen.“

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