Interview mit Niederkasseler Sterne-Koch„Das Feedback des Gastes motiviert“

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Thomas Gilles an seinem Arbeitsplatz: Für seine Küche hat der 31-Jährige einen Michelin-Stern erhalten.

Thomas Gilles an seinem Arbeitsplatz: Für seine Küche hat der 31-Jährige einen Michelin-Stern erhalten.

  • Das Restaurant Clostermanns hat einen Michelin-Stern erhalten und ist damit das einzige im Rhein-Sieg-Kreis.
  • Der 31-jähriger Kölner Koch Thomas Gilles ist erst seit sieben Monaten Küchenchef.
  • Im Interview spricht er über die Auszeichnung, rheinische Küche und Banana Split.

Niederkassel – Nach langer Zeit glänzt mal wieder ein Michelin-Stern über dem Rhein-Sieg-Kreis. Erkocht hat ihn sich Thomas Gilles vom Restaurant Clostermanns „Le Gourmet“ in Niederkassel. Hier traf Annette Schroeder den 31-Jährigen zum Gespräch.

Herr Gilles, haben Sie heute schon gefrühstückt?

Gilles: Ich trinke zu Hause in Köln immer einen Espresso, und dann fahre ich zur Arbeit nach Niederkassel. Im Hotel esse ich dann ein Brötchen, mit Fleischsalat oder Käse.

Wie haben Sie auf die Nachricht von der Auszeichnung reagiert?

Unfassbar – ich konnte es zunächst gar nicht glauben! Ich bin ja erst seit sieben Monaten Küchenchef im Clostermannshof, meine erste Stelle als Küchenchef überhaupt. Ich brauchte ein paar Tage, um das zu begreifen.

Macht sich der Stern für das „Le Gourmet“ schon bezahlt?

Auf jeden Fall. Seit der Besternung sind wir am Wochenende immer ausgebucht. Ich rate daher Gästen, etwa eine Woche vorher anzurufen.

Das „Le Gourmet“ ist aktuell das einzige Restaurant im Rhein-Sieg-Kreis mit Stern. Ist die Region eine kulinarische Einöde?

Das würde ich so nicht sagen. Aber es gibt hier im Rheinland nicht solch eine kulinarische Tradition, wie sie etwa im Schwarzwald über Generationen gewachsen ist. Hier sind die Leute vielleicht auch abgeschreckt von einer hochpreisigen Spitzengastronomie mit steifer Förmlichkeit.

Im Gespräch mit Annette Schroeder schildert Thomas Gilles anschaulich, wie ihm Ideen für neue Gerichte kommen.

Im Gespräch mit Annette Schroeder schildert Thomas Gilles anschaulich, wie ihm Ideen für neue Gerichte kommen.

Ist der klassische Gourmet-Tempel ein Auslaufmodell?

In der Sternegastronomie ist immer noch zu viel Heiligkeit in der Bude. Wir versuchen, einen herzlichen Service zu machen, auf Augenhöhe mit dem Gast, für den die Devise lautet: Genuss ohne Führerschein. Dazu gehört auch, dass der Gast sein Menü selbst definiert. Aus acht Gerichten kann er sich vier bis sechs Gänge zusammenstellen. Wer als Dessert zweimal Banana Split essen will, kann das gern tun.

Was ist nicht mehr angesagt?

Der Service mit Gloches ist vorbei. Manche lassen auch die Tischdecken weg. Oder man verzichtet auf den Käsewagen. Im „Le Gourmet“ zum Beispiel backen wir ein Brot, das noch warm zum Gast kommt, statt einen ganzen Brotwagen repräsentierend durch den Raum zu rollen. Weniger ist manchmal mehr.

Für einen Tisch muss man lange im Voraus reservieren.

Für einen Tisch muss man lange im Voraus reservieren.

Auf welche Kreationen sind Sie besonders stolz?

Auf unsere Kombinationsküche allgemein. Vier, fünf Komponenten, verschiedene Texturen und Aromen sollen ein rundes Geschmacksbild ergeben. Natürlich glänzen wir auch mit Produktqualität. Aber entscheidend sind die Aromen: etwa beim Kalbstatar das vom Topinambur, von der Pflaume und der Estragonmayonnaise. Gerade die vegetarische Küche ist in puncto Aromen noch unterschätzt. Kopfsalat kennt jeder, aber unsere Version mit gerösteten Sonnenblumenkernen, Granatapfel und Croutons haut auch passionierte Fleischesser um.

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Merken Sie, wenn sich Restaurant-Tester anmelden?

Nein. Wenn jemand eine Schlüsselfrage zu den Gerichten stellt, die ich am Tisch annonciere, habe ich manchmal einen Verdacht. Aber den trag ich nicht ins Team. Das würde die Konzentration stören, schließlich soll jeder Gast die gleiche Qualität auf dem Teller haben.

Wie entsteht ein neues Gericht?

Da gehen bis zu zwei Wochen ins Land. Wir bilden eine Sechserrunde, in der auch Souschef, Sommelier und unser Mentor und Investor Dr. Emil Seidel sitzen, und verkosten jedes Gericht, immer mit der passenden Weinbegleitung, die ja auch gefunden werden muss. Wichtig ist, dass das ganze Team mit Herzblut dahinter steht. Stimmt der Zusammenhalt, kann man Kritik auch besser wegstecken.

Aus dem Angebot der Karte können die Gäste sich ihr Menü aus vier bis sechs Gängen selbst zusammenstellen.

Aus dem Angebot der Karte können die Gäste sich ihr Menü aus vier bis sechs Gängen selbst zusammenstellen.

Was inspiriert Sie?

Oft ist es ein bestimmtes Produkt, das ich verarbeiten möchte. Wie der Verjus aus dem Kaiserstuhl: einem Essig ähnlich, aber mit viel weniger Säure und einer tollen Frische. Da musste ein Fisch her, der eine gewisse Eleganz hat. Das ist der Polarsaibling. Mit der Karotte kam Farbe hinein, mit der Kamille Tiefe und den Sultaninen Süße.

Wie haben Sie Ihre Liebe zum Kochen entdeckt?

In unserer Familie hat keiner richtig gekocht. Meine Mutter und mein Vater waren beruflich immer sehr eingespannt, sie sind beide Biochemiker. Mit zwölf Jahren habe ich den Herd entdeckt, ab da habe ich jeden Tag gekocht. Meine Eltern leben noch (lacht).

Was mochten Sie als Kind besonders gern?

Rinderrouladen. Also ganz traditionell. Und diese Klassik bildet ja auch das Fundament unserer Küche im Clostermannshof.

Der Beruf des Kochs gilt als hart. Wie sind Ihre Arbeitszeiten?

Ich habe noch nie in meinem Leben gearbeitet und bin sicher verrückt im positiven Sinne. Was motiviert, ist auch das direkte Feedback des Gastes. Kochen und Essen bescheren einfach Glücksmomente.

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