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SkurrilDer Niederrhein beginnt in Mondorf – „das ist wirklich bekloppt“

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An der Siegmündung bei Mondorf beginnt der Niederrhein.

An der Siegmündung bei Mondorf beginnt der Niederrhein.

Niederkassel – „Wenn man das ernst nimmt, ist es schon ein Schlag ins Gesicht“, meint Christoph Brüske mit Blick auf das große Schild am Yachthafen Mondorf, wo wir uns treffen.

Hier steht es Weiß auf Grün: „Niederkassel-Mondorf – Der erste Ort am Niederrhein“. Denn bei Rheinkilometer 659,3 weitet sich die Landschaft und flacht ab, der Strom wird vom Mittelrhein zum Niederrhein. Dort mündet die Sieg in den großen Fluss. Und dort, auf einem dicken Baumstumpf, sitzt Brüske gern und lernt die Texte für seine Kabarettprogramme auswendig.

Bislang radelte der 52-Jährige achtlos an der Info-Tafel vorbei, auf der weiter zu lesen ist: „Bei manchem Mondorfer sträuben sich die Nackenhaare, wenn sein Lebensmittelpunkt dem Niederrhein zugeschlagen wird.“ Warum wohl? „Schauen Sie auf das Bild unten, da ist ja überdimensional ein Mondorfer Karnevalsorden abgebildet.“

Das wertet Brüske als Zeichen, dass man sich hier viel mehr der selbstbewussten Fröhlichkeit des Rheinländers als der Melancholie des Niederrheiners verbunden fühlt. „Dann müsste demnächst auch in jeder Kneipe in Mondorf nicht nur Kölsch, sondern auch Pils und Alt ausgeschenkt werden“, sinniert der Gastwirtssohn Brüske, der die Verkehrsschilder für den Mondorfer Niederrhein in deutscher und niederländischer Sprache beschriften lassen möchte.

„Es ist ein bisschen so, als wenn Sie erfahren, dass Ihr leiblicher Erzeuger nicht Ihr Vater ist, bei dem Sie aufgewachsen sind, sondern der nette Postbote von nebenan“, meint Brüske.

Solche Identitätsprobleme plagen den älteren Herrn offensichtlich nicht, der vorbeijoggt und eine kleine Pause einlegt, als er den bekannten Niederkasseler Kabarettisten auf der Bank sitzen sieht. „Wie isset?“, ruft ihm Brüske zu. Eine pikante Frage, die die Geister scheidet – wie Hanns Dieter Hüsch erklärt hat, der Chefideologe vom Niederrhein: Sagt der Rheinländer „Jut“, so fragt der Niederrheiner zurück „Wie sollet sein?“

„Keiner muss sich deshalb auch als Niederrheiner fühlen“

Unser Jogger verhält sich diplomatisch, antwortet weder das eine noch das andere. Denn – jetzt wird es verwirrend: Zwar beginnt in Mondorf der Niederrhein mit seinen Auen, Altarmen und Pappeln, doch leben hier keine Niederrheiner. Der Flussabschnitt Niederrhein wird anders abgegrenzt als die Region, die erst nördlich von Düsseldorf ihren Anfang nimmt. Und so beruhigt das Schild die Gemüter in Mondorf: „Keiner muss sich deshalb auch als Niederrheiner fühlen“.

Was wäre denn so schlimm daran? Für die Kölner könnte das sogar ein Gewinn sein, der die Selbsterkenntnis befördert, meint Christoph Brüske, der das Bonmot seines Kollegen Hüsch zitiert: „»Der Niederrheiner weiß nix, kann aber alles erklären.« Das würde einer Stadt wie Köln, die sich so selbstherrlich gibt, schon helfen.“

Am Niederrheiner schätzt Brüske – übrigens Moderator des Niederrheinischen Kabarettpreises „Das schwarze Schaf“– „dass er ein bisschen ruhiger ist. Wenn ich auftrete, merke ich: Der spart sich an Begeisterung immer noch was auf. In Köln passiert es dagegen, dass der Enthusiasmus so schnell auf dem Siedepunkt ist, dass sich die Leute vor dem Ende fast müde gelacht haben.“

Doch sieht er Gemeinsamkeiten zwischen Rheinländern und Niederrheinern: „Beide leben ihre Mentalität mit einer positiven Energie aus. Und beide kommen gern vom Hölzchen aufs Stöckchen.“ Das passiert jetzt auch, als Brüske meinen Kompromissvorschlag von der gemeinsamen Region „Unterrhein“ vehement ablehnt. „Nee, das klingt ja unterirdisch. Ich habe eine Zeit lang in der Unterstraße gewohnt. Jetzt bin ich froh, in die Oberstraße ziehen zu können.“

Brüske plädiert für den „Nordrhein“ als gemeinsamen Raum für echte und unechte Niederrheiner. Beide aber müssen es verschmerzen, dass dieser letzte Rheinabschnitt von Schriftstellern wie Heinrich Heine schnöde links liegen gelassen wurde. Friedrich Schlegel schrieb 1805 gar: „Bei dem freundlichen Bonn hört die eigentlich schöne Rheingegend auf.“ Klar, die Gegend mit Pappeln und Rheinauen werde schon langweiliger, aber die Menschen machten das durch ihr Gemüt wett, sagt Brüske.

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Der Reiz des Niederrheins, so hat es Kollege Hüsch formuliert, „dat is nich sone Angelegenheit, so wie man sacht, Gott ist die Frau schön. Das geht tiefer“. Denn „da gibbet keine kalkulierte Romantik, sondern eine Musik aus Vergessen und Erinnern“. Immerhin, Hanns Dieter Hüsch muss sich auch am südlichen Niederrhein wohlgefühlt haben, gibt Brüske zu bedenken. Verbrachte er seine letzten Lebensjahre doch im Rhein-Sieg-Kreis, wenn auch fern des Rheinufers in Windeck.

Brüske will jetzt das Niederrhein-Thema in sein neues Soloprogramm „In bekloppten Zeiten“ einbauen (Premiere am 20. Januar in der Realschule Niederkassel): „Denn das ist wirklich bekloppt, dass wir das erste Dorf am Niederrhein sind.“

Der Rhein

Südlich von Bonn geht der Mittelrhein, der nun durch das Norddeutsche Tiefland fließt, in den Niederrhein über: Die den Fluss flankierenden Gebirge treten weiter zurück, die Rheinauen verbreitern sich und bestimmen das Landschaftsbild. Ob der Niederrhein bei Rheinkilometer 644 oder genau bei der Siegmündung (km 659,3) beginnt, ist nicht eindeutig geklärt. Die Region Niederrhein, auch sie ist nicht klar abgegrenzt, beginnt nördlich von Düsseldorf und reicht bis zur niederländischen Grenze. Für manche liegt der Anfang des Niederrheins „erst unter der Rheinbrücke der A 40 an der Linie Moers-Duisburg“, so Bruno P. Kremer in dem Buch „Der Rhein“, Mercator-Verlag, Duisburg. Dort ist auch nachzulesen, dass der Niederrhein – im Gegensatz zu allen anderen Rheinabschnitten – einem einzigen Bundesland angehört, nämlich Nordrhein-Westfalen. Zwei Kilometer hinter der Staatsgrenze zu den Niederlanden ändert sich das Bild, und es beginnt die Verästelung in die verschiedenen Arme des Deltas. (as)

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