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Berufskolleg SiegburgJunge Leute erzählen von Flucht, Vertreibung und Hoffnung

Lesezeit 4 Minuten
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Die Schüler der internationalen Förderklassen des Berufskollegs lassen in einer Ausstellung die Betrachter an ihrem Leben teilhaben.

Siegburg – Wie viel Schicksal passt auf eine Stellwand? Sehr viel, wie eine bemerkenswerte Ausstellung im Berufskolleg zum Weltflüchtlingstag am Montag zeigte: Gut drei Dutzend Schülerinnen und Schüler aus den internationalen Förderklassen haben ihre Fluchtgeschichten dokumentiert. Sie kommen aus Syrien und Afghanistan, aus Bangladesh oder dem Iran. Sie haben den Irak verlassen, ihre Heimat in Afrika oder Aserbaidschan aufgegeben. Sie sind drei Dutzend von über 68 Millionen Menschen, die im Jahr 2017 weltweit auf der Flucht waren. Sie alle vermissen die Heimat, die alten Freunde, Verwandte. Sie trauern um Geschwister oder Eltern. Fünf Geschichten erzählen wir hier.

Paiman

Die 18-Jährige kam vor zwei Jahren aus dem Irak, wo sie mit den Eltern und sechs Geschwistern lebte. Der Vater hatte einen Supermarkt. Sie ging in die zehnte Klasse, bis im August 2014 der Krieg in ihre Stadt kam. Vor den Kämpfern des IS brachte der Vater die Familie, jesidische Kurden, in Sicherheit. „Das war eine sehr gefährliche Flucht, weil der IS schon rings herum auf unsere Stadt schoss“, erfahren die Leser ihres Berichts. 18 Monate in einem Flüchtlingslager hat Paiman hinter sich, „es war kalt und ohne Strom“. Zu Fuß, mit dem Boot und dem Zug kam die Familie nach Deutschland. Bis sie sich für einen Beruf entscheidet, will Paiman zunächst die Handelsschule fortsetzen.

Alma

Die Jugendliche hat ihre kroatische Heimat und ihre Schwester aus „familiären Gründen“ verlassen. Mit der Stiefmutter lebt sie seit elf Monaten in Deutschland, der Vater wird am Jahresende nachkommen. Die 17-Jährige freut sich über eine Ausbildungsstelle zur Hotelfachfrau.

Zohra

Die 17-Jährige kam vor drei Jahren aus dem Iran nach Deutschland. „Wir waren auch dort Ausländer“, sagt sie. „Das Leben war nicht einfach.“ Die Familie – Eltern und zwei Brüder – gehört zur Volksgruppe der Afghanen. Zu Fuß flüchteten sie und ihre Familie über die Berge, von Schleppern im Stich verlassen, ohne Proviant und Wasser. Viel zu viele Menschen pferchten andere Schlepper in ein Boot, doch erst in Deutschland kam die Familie ein wenig zur Ruhe. Die schwierige Flucht hat sie nicht bereut. Sie räumt aber ein: „Ich wusste nicht , dass das Leben in Deutschland auch nicht so einfach ist.“ Sie hat sich zum Besuch der Handelsschule angemeldet, hofft aber auf einen Ausbildungsplatz zur Zahnarzthelferin.

Saber

Allein hat sich der 19-Jährige nach Deutschland durchgeschlagen. „Mein Bruder ist gestorben, meine Eltern leben noch in Afghanistan“, berichtet er. Die beiden Schwestern sind inzwischen im benachbarten Pakistan verheiratet, wo sie beim Onkel Zuflucht fanden. In der Grenzstadt Kunar lebte er bis 2015, wo der Streit innerhalb der paschtunischen Volksgruppe ebenso Konflikte und Angst verbreitete wie die Taliban. „Es gibt bei uns keine Schule“, erklärt Saber. Lediglich die Koranschule konnte der junge Mann zwei Jahre besuchen. Am 1. Augustin beginnt er eine Ausbildung in einem Mobilfunkgeschäft in Siegburg.

Batoul

Ihre Mutter hat Batoul in Syrien durch eine Bombe verloren. „Danach sind wir ausgewandert“, sagt sie. Doch nur der Vater und sie erreichten Deutschland. „Meine Geschwister sind in anderen Städten und in der Türkei gelandet.“ Inzwischen kehrte der Vater zurück, weil die Geschwister nicht nach Deutschland folgen konnten. „Ich vermisse meine Familie sehr“, sagt die 18-Jährige, die eines Tages nach Syrien zurückkehren möchte. Sie würde gern eine Ausbildung zur Optikerin absolvieren.

Angekommen

24 Monate, ein Ziel:  Zwei Jahre haben die jungen Leute in Siegburg und Neunkirchen die Schulbank gedrückt. „Fast alle haben einen Abschluss erreicht“,  berichtet SV-Lehrerin Jeannine Gebauer. Einige machen auf der Schule weiter, andere haben einen Ausbildungsplatz gefunden. „Sie sind in Deutschland angekommen“, sagt sie über die Schüler.

Über ihre Fluchterfahrungen hätten sie lange nicht sprechen wollen. „Das tut zu weh“, sei  ein oft gehörter Satz gewesen. Ihre Haltung hätten sie erst vor kurzem geändert, um Verständnis zu wecken und weil es auch gut tut. „Das war ungeheuer emotional“, erinnert sich Gebauer an die Gespräche der Jugendlichen untereinander. (dk)

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