Diskussion in Siegburg„Die Stadt soll sich ändern – aber nicht in meinem Hinterhof!“

Lesezeit 3 Minuten
Vorplatz_Rhein-Sieg-Halle

Beispiel für Stadtgestaltung: Am neuen Rhein-Sieg-Forum in Siegburg entsteht ein Platz.

Siegburg – „Wem gehört die Stadt?“ Die Frage war und ist in der Pandemie nicht ganz einfach zu beantworten. Kulturveranstaltungen fehlen, die Gastronomie kommt nur bei Bewirtung im Freien langsam wieder in Schwung, auch Geschäfte öffnen nur unter Einschränkungen.

Online mit einer Videokonferenz, aber unabhängig vom leidigen C-Thema wurde die Frage im Katholisch-Sozialen Institut (KSI) in einen großen Zusammenhang gebracht: Beim Akademieabend in der Reihe „Ethik aktuell“ ging es um Kommerzialisierung, Gentrifizierung und Privatisierung städtischen Raums.

In welcher Art von Stadt wollen wir leben?

Der Berliner Jungprofessor für Theologische Ethik, Benedikt Schmidt, der mit dem pädagogischen Referenten André Schröder moderierte, steckte den Rahmen ab: Immerhin gehe es um Fragen wie soziale Gerechtigkeit, Partizipation, Funktionalität und Ästhetik, noch dazu vor dem aktuellen Hintergrund der Gerichtsentscheidung zum Mietendeckel in Berlin. „In welcher Art von Stadt wollen wir in Zukunft leben?“ , fragte er, und: „Wer entscheidet über die Gestaltung?“

Robert Kaltenbrunner, Architekt, Stadtplaner und Leiter der Abteilung Bau- und Wohnungswesen am Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) in Bonn, konstatierte, dass es in den Städten an bezahlbarem Wohnraum fehle, Konkurrenzsituationen und Gentrifizierung seien die Folge.

Das könnte Sie auch interessieren:

Er beschrieb das Spannungsfeld, in dem Lösungen gesucht werden müssten: Bürgerbeteiligung müsse „buchstabiert und gelebt werden“, Protest komme aber all zu oft von „Wutbürgern“, wie im Fall Stuttgart 21. Gleichzeitig werde den Behörden bei Beteiligungsverfahren mangelnde Ernsthaftigkeit unterstellt, während Investoren über die Kosten klagen.

Nach der Devise „Not in my own backyard“ sollen Änderungen oft möglichst andernorts stattfinden. „Stadtentwicklung ist eine mühevolle, aber immens wichtige Detailarbeit“, so Kaltenbrunner. Und: „Nicht alles, was machbar ist, ist auch wünschenswert.“

Leitbauwerke können Identifikation befördern

Christian Illies, Professor für Philosophie an der Universität Bamberg, ging auf den Beitrag ein, den die Philosophie leisten könne, indem sie auf die Frage eingehe, was den Menschen ausmache. Der finde durch Narrative, das Erzählen, zueinander, auch bei der Stadtplanung ein wichtiger Aspekt. Plätze und Kirchen etwa seien wichtig, weil der Austausch zum Menschen gehöre.

„Leitbauwerke sind wichtig für ästhetische Erfahrungen“, das habe etwa die Hamburger Elbphilharmonie gezeigt, die anfänglich nur wegen der Kosten im Gespräch gewesen sei. Jetzt aber löse sie Begeisterung aus, und die Hamburger seien stolz darauf. Die Elbphilharmonie sei ein „Identifikationsangebot“.

Mary Dellenbaugh-Losse, Stadtforscherin, Autorin, Beraterin und Gründungsmitglied der Urban Research Group am Georg Simmel Zentrum für Metropolenforschung Berlin, schilderte die Folgen der Digitalisierung: Flanieren finde zunehmend auf Instagram statt, die Städte würden zur Kulisse, „in der der Mensch inszeniert wird, aber nicht mehr teilnimmt“. Tatsächlich brauche es aber „drei Säulen der Nachhaltigkeit“ für die Städte – ökonomischer, ökologischer und sozialer Art.

Statt Plätzen, auf denen durch Privatisierung ein Konsumzwang herrsche, brauche es „authentische dritte Projekte wie Gemeinschaftsgärten, Freifunk oder Wohnprojekte, Netzwerke also, auf die die Bürger zurückgreifen könnten“.

Rundschau abonnieren