Früher in Freiheit wegen CoronaJVA Siegburg entlässt 67 Gefangene vorübergehend

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JVA Corona 1

Die Justizvollzugsanstalt Siegburg.

  • Die Corona-Krise stellt auch Justizvollzugsanstalten vor große Herausforderungen.
  • In Siegburg wurden nun 67 Gefangene vorübergehend aus der Haft entlassen.
  • Diejenigen, die weiterhin einsitzen, sind verstärkt isoliert, befinden sich 23 Stunden in der Einzelzelle.

Siegburg – Wer hinter Gittern sitzt, ist nicht automatisch sicher. Die Ansteckungsgefahr hat den Alltag in der Justizvollzugsanstalt Siegburg verändert, nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie gibt es keine Zweierzellen mehr. Um mehr Platz zu schaffen, durften 67 Gefangene vorzeitig in Freiheit, das teilte Daniela Siewert, die Vertreterin des Anstaltsleiters, auf Anfrage mit. Sie müssen allerdings zurückkehren, um ihre Reststrafen abzusitzen. Wann das sein wird, wisse derzeit niemand.

569 Plätze hat die JVA Siegburg, bislang gab es – anders als in Köln-Ossendorf – noch keinen nachgewiesenen Infektionsfall. Die Anstalt war laut Siewert schon vor Corona nicht voll belegt, derzeit sitzen um die 400 Männer auf dem Brückberg ein.

Fast 125 Jahre alt

569 Plätze hat die fast 125 Jahre alte JVA Siegburg.   In den 70er Jahren war die Anstalt mit bis zu 900 Strafgefangenen das größte Jugendgefängnis in Europa.  Schon seit Jahren werden die Gefangenen  vermehrt  in Einzelzellen untergebracht – nach dem  gewaltsamen Tod eines jungen Mannes. Er war  2006  von Mithäftlingen in der Zelle so schwer misshandelt worden, dass er starb. Seit 2013 sind in der JVA nur noch erwachsene Straftäter im geschlossenen Vollzug untergebracht.  Der größte Teil verbüßt Haftstrafen zwischen drei und 18 Monaten. Daneben gibt es eine sozialtherapeutische Abteilung mit 45 Plätzen für Gewalt- und Sexualtäter. Die nächste Haftanstalt, die offenen Vollzug ermöglicht, ist im linksrheinischen Rheinbach. Eine Haftunterbrechung ist in der Strafprozessordnung geregelt.  Involviert sind  die Staatsanwaltschaft und  der Sozialdienst der JVA. Eine Einwilligung des Gefangenen ist  dazu grundsätzlich nicht erforderlich, so  steht es in Paragraf 455a. (coh)

Die 67 wurden ausgesucht von der JVA-Leitung in Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft: Das Privileg galt nur für die Insassen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe absaßen (wenn eine Geldstrafe nicht bezahlt wurde) oder die bis Ende Juli ohnehin entlassen werden sollten. Ausnahme: Sexualstraftäter. Einige der 67 haben nur wenige Wochen, andere noch viereinhalb Monate offen.

Ins Ungewisse sei niemand geschickt worden, so Siewert. Die Männer mussten ein Dach über dem Kopf und genug zum Leben haben. Haftentlassene hätten Anspruch auf Sozialleistungen. Dass einzelne wieder anklopften und zurückwollten in ihre Zelle, wie kolportiert wurde, sei ihr nicht bekannt.

Das Angebot, vorzeitig dem Knast den Rücken zu kehren, hätten alle dankend angenommen, auch wenn die Freiheit nur vorübergehend sei, so Siewert: „Niemand hat sich gewehrt.“ Die Gefahr, dass der eine oder andere dauerhaft das Weite sucht, sei zwar da, doch das Problem, die Männer wieder in Haft zu bringen, hätten andere: „Wir sind die Vollzugsbehörde und nicht die Vollstreckungsbehörde.“

Diejenigen, die weiterhin einsitzen, sind verstärkt isoliert, befinden sich 23 Stunden in der Einzelzelle, zur Freistunde werde in kleinen Gruppen ausgerückt: „Der Hof ist groß.“ Und erlaube auch kontaktlosen Sport. Auch zum Duschen gehe es mit wenigen. Die Mahlzeiten würden wie zuvor in die Zelle gebracht, Masken müssten nur bei ärztlichen Untersuchungen getragen werden. Neuankömmlinge würden erstmal isoliert.

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Die größte Einschränkung sei das Besuchsverbot, nur Rechtsanwälte hätten Zugang zu den „recht großen Anwaltssprechräumen“, in denen ohne Plexiglas die Hygieneregeln eingehalten werden könnten, so Daniela Siewert. Seit Mitte März dürfen keine Angehörigen mehr in die Haftanstalt, betroffen seien auch Väter unter den Gefangenen, die seit Monaten schon ihre Kinder nicht mehr sehen können. Als Ersatz würden mehr Telefonate vom nicht frei zugänglichen Festnetztelefon ermöglicht, Handys sind in der JVA verboten. Man denke über weitere Kontaktverbesserungen nach: „Wir sind dabei, Videoanrufe per Skype umzusetzen.“

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