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Per QR-CodeOrte jüdischen Lebens in Rhein-Sieg werden auf dem Smartphone erlebbar

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Eine Schulklasse mit Lehrer Salomon Seelig. 

Rhein-Sieg-Kreis – Wenn Kreisarchivarin Dr. Claudia Arndt Besuchergruppen auf den Spuren jüdischer Mitbürger durch Siegburg führt, dann hört sie manchmal diesen Satz: „Man sieht ja gar nichts mehr davon.“ „Eben“, sagt sie dann. So vieles vom reichen jüdischen Leben im heutigen Rhein-Sieg-Kreis, dessen Geschichte bis in das Mittelalter zurückreicht, ist ausgelöscht. Mit einem Digital-Projekt wird jüdisches Leben nun wieder sichtbar gemacht.

Mit der Evangelischen Kirche an Sieg und Rhein hat der Förderverein der Gedenkstätte Landjuden an der Sieg Orte jüdischen Lebens und deren Geschichte für das Smartphone erlebbar gemacht. „Spuren. Jüdische Erinnerungsorte an Sieg und Rhein“ ist der Titel des mit 8800 Euro vom Bundesinnenministerium geförderten Projekts, weitere 1000 Euro dafür wurden von Privatleuten beigesteuert.

Sechs solcher Erinnerungsorte in Siegburg hat das neunköpfige Projektteam erschlossen, mehr sollen folgen, auch in den anderen Kommunen. Eine Acryltafel mit einem kurzen Text und einem Foto erinnert an die mit dem Ort verknüpfte Geschichte, vor allem aber hat sie einen QR-Code. Wird dieser eingescannt, öffnet sich eine Seite mit einem kurzen Text, mit Fotos, einem Audioguide.

Über die QR-Codes erfährt man etwas vom Leben der Menschen

Wer tiefer eintauchen will in die Geschichte, kann den Verlinkungen im Text folgen und in der Lebens- und Ortsgeschichte blättern sowie Hintergrundwissen zur jüdischen Geschichte bekommen.

Sechs Erinnerungsorte

Stadtmuseum

Isaac Bürger wurde als erster Jude 1846 in den Siegburger Gemeinderat gewählt. Er war Stadtverordneter und bekleidete dieses Amt bis 1862. Beigesetzt ist Bürger, ein Cousin des Dichters Heinrich Heine, auf dem jüdischen Friedhof.  

Jüdischer Friedhof

Der größte im Rheinland. Auf einer Fläche von 6294 Quadratmetern befinden sich mehr als 364 Grabsteine. Auf dem heute unter Denkmalschutz stehenden Friedhof wurde seit Mitte des 14. Jahrhunderts bestattet. Der älteste erhaltene Grabstein stammt von 1696. 1997 fand dort die vorerst letzte Bestattung statt. 

Jüdische Schule

In der Holzgasse wurde im 18. Jahrhundert die jüdische Religionsschule eröffnet. Im April 1900 wurde sie öffentliche Volksschule. Am 10. November 1938 wurde das Schulgebäude im Zuge der Novemberpogrome beschädigt, am 30. Juni 1942 endgültig geschlossen. Der Lehrer Salomon Seelig, der von 1895 bis 1932 dort unterrichtete, wurde 1942 mit seiner Frau Julie ins Vernichtungslager Treblinka deportiert, wo beide starben. 

Mikwe/Holzgasse 27

Im Keller befinden sich die Überreste der Mikwe der jüdischen Gemeinde Siegburg aus dem 15. Jahrhundert. 1993 veranlasste die Obere Denkmalbehörde des Kreises die Freilegung des rituellen, jüdischen Tauchbads. Für die Öffentlichkeit ist die unter Denkmalschutz stehende Mikwe nicht zugänglich.

Kronprinzenstraße

Im Haus Nummer 9 wohnte Ignaz Rochmann mit seiner Frau Johanna und den Kindern Cilly und Kurt. Er war als reisender Händler in der Region unterwegs, sie verkaufte im Geschäft in der Hausnummer 14 Wäsche, Herrenhemden und Tischdecken. Ignaz Rochmann wurde 1939 ins KZ Buchenwald deportiert und starb dort, seine Familie wurde im Juni 1941 ins Reichsarbeitsdienstlager Much eingewiesen und knapp ein Jahr später deportiert. Vermutlich im Vernichtungslager Lublin-Majdanek wurden Johanna Rochmann und die Kinder ermordet. (seb)

Anders als bei den Stolpersteinen erfahre man durch die Tafeln mit dem QR-Code nicht nur die Namen und das Schicksal der Menschen im Holocaust, man erfahre etwas über das Leben. „Es gab eine unglaubliche Vielfalt an Geschäften und Privathäusern“, betont Arndt, „wir zeigen auch das kulturelle Leben“.

Die „Selbstverständlichkeit des Zusammenlebens darzustellen“ und auf eine andere Art erlebbar zu machen, das leiste dieses neue Projekt, sagte Elisabeth Winkelmeier-Becker als erste Vorsitzende des Fördervereins der Gedenkstätte. Sie lobt, wie mit einem Scan des QR-Codes Geschichte lebendig werde: „Ich bin ganz begeistert davon, wie neue Technik eingesetzt werden kann.“

Besonders den Jüngeren helfe diese Art der Digitalisierung, sich an jüdische Leben in Siegburg und Deutschland besser zu erinnern, sagte der Siegburger Bürgermeister Stefan Rosemann.

Auch Thomas Wagner, Kultur- und Archivdezernent des Rhein-Sieg-Kreises, betonte die Wichtigkeit des Erinnerns: „Unser Anspruch ist es, jüdisches Leben sichtbar und erlebbar zu machen. Was vor unserer Haustür geschehen ist, verstehen die jungen Leute ganz anders, da ist die Betroffenheit und die Empathie eine andere.“

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Mit der digitalen Reise an sechs Erinnerungsorten sei „ein erster Meilenstein geschafft“, fand Sebastian Schmidt, Synodalbeauftragter für den christlich-jüdischen Dialog im Evangelischen Kirchenkreis an Sieg und Rhein. Perspektivisch sollen neben den sechs jetzt bereits digitalisierten Orten weitere folgen, zunächst im rechtsrheinischen Rhein-Sieg-Kreis, wo es etliche Orte gebe, die der Öffentlichkeit weniger bekannt seien.

Führung über den jüdischen Friedhof

Führung über den jüdischen Friedhof

Kreisarchivarin Dr. Claudia Maria Arndt bietet Interessierten eine Führung über den jüdischen Friedhof in Siegburg an. Während des Rundganges wird sie einiges über die Geschichte der jüdischen Gemeinde und einzelne Grabstätten erzählen. Auch wird sie jüdische Bestattungsriten im Allgemeinen vorstellen.

Am Sonntag, 5. September, wird es zwei Führungen geben. Sie beginnen um 14.30 Uhr und um 15.45 Uhr. Treffpunkt ist vor dem Eingang des Friedhofs an der Heinrichstraße. Die Teilnahme ist kostenfrei, die Anzahl der Teilnehmenden begrenzt. Die männlichen Teilnehmer werden gebeten, eine Kopfbedeckung (Mütze, Kappe, Hut) zu tragen.

Eine namentliche Anmeldung beim Kreisarchiv unter der Telefonnummer 02241-13-2928, per E-Mail oder unter der Postanschrift Kaiser-Wilhelm-Platz 1 in 53721 Siegburg ist erforderlich.

Mehr zum aktuellen Programm der Gedenkstätte finden Sie auf der Homepage des Rhein-Sieg-Kreises. (hen)

Aber auch im Linksrheinischen gebe es viele Spuren jüdischen Lebens, die im Projekt erfasst werden könnten.

Nicht nur über die Gedenktafeln vor Ort, auch auf einer Landkarte auf der Webseite könnte so die Reise durch die Geschichte angetreten werden, berichtet Schmidt: Das jüdische Leben soll sichtbar gemacht werden.“

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