Siegburg in der NazizeitErster Nazi-Bürgermeister landete im Zuchthaus

Lesezeit 4 Minuten
Neuer Inhalt

Ein NSDAP-Mitglied sitzt Mitte der 30er Jahre in der Parteiuniform im Strandbad an der Sieg. 

Siegburg – „Der Parteienstaat ist tot“, an seine Stelle könne „die großartige Verwirklichung der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft“ treten, und die kenne nur „einen Führer, einen Vater, und das ist Adolf Hitler“. Wilhelm Ley, NSDAP-Ortsvorsitzender und kommissarischer Bürgermeister in Siegburg, sparte im Mai 1933 nicht mit großen Worten.

Daran konnte er allerdings schon ein Jahr später später gemessen werden: Der Demagoge beging Unfallflucht und landete im Gefängnis. Stadtarchivar Jan Gerull hat sich eingehend mit dem Nationalsozialisten beschäftigt, in dessen Biografie Anspruch und Wirklichkeit auffällig auseinanderklaffen. Der Hetzer taugte wohl auch wenig als Verwaltungschef.

Nazi-Bürgermeister blieb nur ein Jahr im Amt

Gerulls Beitrag „Aufstieg und Fall des Wilhelm Ley – Siegburgs erster NSDAP-Bürgermeister“ erschien in dem neuen Sammelband „Indoktrination, Unterwerfung, Verfolgung“, der sich eingehend mit dem Nationalsozialismus in der Region auseinandersetzt. Wilhelm Ley, 1893 in Hodgeroth bei Ruppichteroth geboren, ist nach Gerulls Nachforschungen nicht mit Robert Ley, dem Reichsführer der Deutschen Arbeitsfront (DAF) verwandt, dürfte ihm aber oft begegnet sein, weil dieser nach 1933 oft in Siegburg aufgetreten sei.

Wilhelm_Ley

Siegburgs erster Nazi-Bürgermeister Wilhelm Ley war nur ein Jahr im Amt.

Wilhelm Ley hatte sich nach dem Ersten Weltkrieg in Siegburg als Kaufmann niedergelassen und sei „ein Nationalsozialist der ersten Stunde“ gewesen. Er habe als Ortsgruppenleiter im Mittelpunkt der Bewegung gestanden. Im „Westdeutschen Beobachter“ fand Gerull aus dem Juli 1932 die Forderung Leys „Schafft Munition herbei!“, ein Indiz für seine kriegerische Haltung im Straßenkampf.

Straßenkampf zwischen Sozialdemokraten und Nazis

Dieser wurde nach der Machtergreifung in Siegburg hart ausgefochten: Vom 14. auf den 15. Februar kam es vor dem Volkshaus an der Kaiserstraße, der Parteizentrale der SPD, zu einem Scharmützel zwischen Sozialdemokraten und Nationalsozialisten. Als SS-Mann Franz Müller eine Kugel tödlich am Kopf traf, machten ihn die Nazis zum Märtyrer und organisierten einen „propagandistischen Trauermarsch über die Kaiserstraße“. Sechs SPD-Leute wurden wegen „gemeinschaftlichen Totschlags“ zu Zuchthausstrafen zwischen acht und zwölf Jahren verurteilt.

Dabei konnte Gerull noch für die Reichstagswahl am 5. März belegen, dass die Nazis in Siegburg keineswegs mehrheitsfähig waren: Das Zentrum habe sie mit 5524 zu 3691 Wählern deutlich hinter sich gelassen. Ley, so stellte Gerull fest, bezog damals Wohlfahrtsunterstützung, wurde aber Bürgermeister Robert Becker beigeordnet, dann kommissarischer und im November regulärer Bürgermeister.

Nazi_Trauermarsch_Siegburg

Nachdem eines ihrer Mitglieder im Februar 1933 bei einem Straßenkampf erschossen worden war, zogen die Nationalsozialisten mit Trauerkränzen durch die Kaiserstraße.

Öffentlich habe er sich als „allzeit handlungsfähiger, die Übel an der Wurzel packender Macher“ präsentiert, so Gerull. Die Eröffnung des Strandbads habe er als seinen Verdienst gefeiert. Dabei stammte die Planung noch vom Vorgänger-Stadtrat und Bürgermeister Becker. In der Verwaltung ordnete Ley einen Sparkurs an: So sollten die Mitarbeiter eigenes Schreibmaterial von zu Hause mitbringen, für Bürolampen wurden Lichtstärken festgelegt.

Leys Amtsführung war chaotisch

Gleichzeitig wurden Verwaltungsinterna „an die Presse durchgestochen“, Dienstwege und Termine nicht eingehalten. Dienstanweisungen zeigten eine „eher chaotische als straffe Amtsführung“.

Antisemitismus sieht Gerull als eine der stärksten Antriebsfedern Leys. Im März 1933 ließ er den „Rheinischen Laden“ der Familie Lewinski an der Bahnhofstraße stürmen und rief zum Boykott jüdischer Geschäfte auf. Große Mühe verwendete er drauf, jüdischen Familien nachzustellen und ihnen zu schaden, selbst der schon nach Paris geflohenen Familie Heymann oder Michael Fröhlich, der an der Kaiserstraße ein Hutgeschäft führte.

Doch der war von 1914 bis 1918 Frontkämpfer gewesen und „zunächst nicht angreifbar“. Die vorgesetzte Behörde habe Ley in die Schranken gewiesen.

Nach Unfallflucht reicht Ley auf Druck von oben Rücktritt ein

Im Mai 1934 machte in der Stadt die Nachricht die Runde, Ley habe einen Autounfall mit Todesfolge verursacht und sei geflohen. Am 15. Juni reichte er seinen Rücktritt ein. „Wohl auf massiven Druck der Partei-Instanzen hin“, so Gerull. Die Ermittler stießen auf viele Ungereimtheiten, einen verschwundenen Pfändungsbeschluss gegen Ley, einen ominösen Auftrag für ein aus Edelhölzern getischlertes Esszimmer und 263 Reichsmark, die von „staatsfeindlichen Organisationen“ beschlagnahmt und an den Bürgermeister und einen Polizeikommissar übergeben worden waren.

In der Regierungshauptkasse kamen sie nie an. Am 22. Dezember 1934 wurde Ley zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, wegen fahrlässiger Körperverletzung, Fahrerflucht, Verleitung eines Untergebenen zur strafbaren Handlung und wegen der Vernichtung von Urkunden. Noch während der Haft wurde er zu weiteren 15 Monaten verurteilt wegen Meineids im Volkshausprozess: Auf Anweisung Leys hatten SS-Mitglieder vor Gericht gelogen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Die Nationalsozialisten waren nicht angegriffen worden, sondern die Täter. Ley selbst hatte dem tödlich verletzten Franz Müller eine Pistole aus der Tasche genommen. Wer den tödlichen Schuss abgegeben hatte, konnte nicht geklärt werden. Gerull: „Lange wurde gemutmaßt, die eigenen Leute hätten im Eifer des Gefechts den SS-Mann getroffen.“

Der „gescheiterte Faschist im Rathaus“, so Gerull, wurde bereits am 15. Mai 1936 wegen guter Führung entlassen und eröffnete eine Maschinenfabrik, in der er zeitweise 53 Zwangsarbeiter beschäftigte. Am 6. März 1945 wurde die Fabrik durch Bomben zerstört. Ley kam für zwei Jahre in eine Internierungslager, dort zog er sich ein Lungenleiden zu. Er starb am 6. April 1966.

„Indoktrination, Unterwerfung, Verfolgung – Aspekte des Nationalsozialismus im Oberbergischen, Rheinisch-Bergischen und Rhein-Sieg-Kreis“, Herausgeber Frederik Grundmeier, Michael Kamp, Robert Wagner, 360 Seiten, 29,80 Euro, ist im LVR-Freilichtmuseum Lindlar und im Buchhandel erhältlich.

Rundschau abonnieren