Siegburger KlinikHelios-Mitarbeiter berichten von Personalmangel

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Von zahlreichen Beschwerden aus der Pflege berichtet der Betriebsrat des Siegburger Helios-Klinikums.

Von zahlreichen Beschwerden aus der Pflege berichtet der Betriebsrat des Siegburger Helios-Klinikums.

Siegburg – Keine Zeit für die Lebenden, keine Zeit für die Toten, so wird eine Pflegekraft am Helios-Klinikum eine Nachtschicht Ende Februar in Erinnerung behalten. In einem Info-Schreiben des Betriebsrats, das der Redaktion zugespielt wurde, schildert sie ihre Erlebnisse während einer Nachtschicht auf der internistischen Station 2B, die sie allein bewältigen musste – und für 29 Patienten zuständig war. Die Arbeit zur Versorgung der zum Teil schwer Pflegebedürftigen sei allein nicht zu schaffen gewesen, die ganze Nacht über habe es Klingelrufe gegeben. Patienten regelmäßig zu lagern oder Medikamente zeitnah zu verabreichen sei ebenso unmöglich gewesen, wie eine Pause zu machen.

Gegen 3 Uhr habe sie ein diensthabender Arzt angerufen und angewiesen, eine sterbende Patientin aus einem Einzelzimmer auf eine andere Station zu verlegen. „Trotz meiner erheblichen ethischen Bedenken gegenüber der sterbenden Patientin und meinen inneren Widerständen sah ich mich gezwungen, der Aufforderung nachzukommen“, berichtet die Pflegekraft.

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Obwohl die Station schon mehr als voll belegt gewesen sei, sollte sie anschließend eine weitere „präfinale Patientin“ aus der Ambulanz abholen und in einem Dreibettzimmer unterbringen. Angesichts der vielen Klingelrufe anderer Patienten sei es jedoch nicht möglich gewesen, die Station alleine zu lassen und in die Ambulanz zu gehen. Eine Stunde später sei dann die Nachricht gekommen, dass die Patientin in der Ambulanz verstorben sei. „Dennoch sollte ich die verstorbene Patientin abholen und irgendwo unterbringen, da die Kriminalpolizei wegen ungeklärter Todesursache noch kommen würde.“ Eine Kollegin von der Station 2A habe ihr dann geholfen, die Verstorbene aus der Ambulanz zu holen. Aus Platzmangel habe man sie in einen „Abstellraum“ gelegt.

Aufgewühlt und betroffen

„Am Morgen nach meinem Nachtdienst war ich noch für lange Zeit so aufgewühlt und betroffen, wie ich gezwungenermaßen mit sterbenden Patienten umgehen musste, dass ich nicht abschalten und schlafen konnte“, berichtet die Pflegekraft. Die erste Patientin, die sie mitten in der Nacht hatte verlegen müssen, sei sieben Stunden danach ebenfalls gestorben. „Wenn schon keine Sterbebegleitung mehr möglich ist, ist es denn dann wirklich notwendig, Patienten in ihrem Sterbeprozess hin und her zu schieben?“ Das fragte die Pflegekraft schließlich in ihrer Beschwerde.

Für den Umgang mit verstorbenen Patienten gebe es eine verbindliche Verfahrensanweisung, der Sterbeprozess müsse so angenehm wie möglich gestaltet werden, sagt dazu Kliniksprecherin Julia Colligs auf Anfrage dieser Zeitung in einer Stellungnahme. Die Einzelunterbringung in einem Patientenzimmer werde in der Regel ermöglicht. „Auch hier können Ausnahmesituationen dazu führen, dass eine andere Unterbringung erforderlich wird. Hierzu gehört zum Beispiel die Aufnahme eines infektiösen Patienten, der, um die Gefährdung anderer auszuschließen, alleine in einem Zimmer untergebracht werden muss“, so die Sprecherin. Dazu erfolge eine medizinische Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände. Bei dem Zimmer, in das die in der Nacht Verstorbene gelegt wurde, habe es sich jedoch keinesfalls um einen Abstellraum, sondern um ein Behandlungszimmer gehandelt.

Colligs spricht von einer „Ausnahmesituation“ in der fraglichen Nacht. So sei das Krankenhaus in der Zeit von einer Grippewelle betroffen gewesen, in der die Anzahl von Patienten gestiegen sei, während gleichzeitig Mitarbeiter krankheitsbedingt ausgefallen seien. Auf der Station 2B arbeite im Nachtdienst nach Plan eine examinierte Pflegekraft, die für maximal 27 Patienten zuständig sei, was die übliche Besetzung in Krankenhäusern sei. Die Pflegekraft werde durch eine Hilfskraft unterstützt, die bei Bedarf als Springer von mehreren Stationen hinzugezogen werden könne. In der fraglichen Nacht sei die Pflegekraft durch krankheitsbedingten Ausfall mehrerer Kollegen alleine auf der Station eingesetzt gewesen. Aufgrund des „enormen Krankenstandes“ habe man keinen Ersatz für die Hilfskraft finden können. In der Nacht sei das Klinikum sogar für die Notfallversorgung abgemeldet gewesen.

Dennoch wurden Notfallpatienten eingeliefert, die wegen ähnlicher Zustände nicht an andere Kliniken weiterverlegt werden konnten. Daher habe man wiederum innerhalb der Klinik Patienten auf andere Zimmer verlegen müssen. Der Betriebsrat des Siegburger Klinikums, der den Bericht abdruckte, weist im selben Info-Schreiben daraufhin, dass es viele Gefährdungsanzeigen von Kollegen aus der Pflege gebe, die die eigene Gesundheit oder die der Patienten beträfen. In fast allen Anzeigen sei auf unzureichende Schichtbesetzung und eine „gefährliche Pflege“ hingewiesen worden, das Nichtdurchführen von Prophylaxen und keine zeitnahen Medikamentengaben. Obwohl viele Kollegen offenbar resigniert hätten und die Missstände nicht anzeigten, gebe es immer noch eine hohe Anzahl von Gefährdungsanzeigen, die deutlich machten, „dass mit der personellen Besetzung der Pflege etwas nicht stimmen kann“, heißt es weiter.

Fachkräftemangel auch in Siegburg

„Wir arbeiten stetig daran, mehr Personal zu gewinnen und unsere Beschäftigten zu entlasten. Bis dahin werden wir zusätzlich weitere Honorarkräfte einstellen, die die Lücken in Zeiten von Krankheitswellen schließen“, sagt Klinik-Sprecherin Colligs. Auch in Siegburg mache sich allerdings der Fachkräftemangel bemerkbar. „Uns ist bewusst, dass es in diesen Ausnahmesituationen zu deutlichen Mehrbelastungen kommt. Wir sind unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern daher sehr dankbar für die herausragende Arbeit, die sie täglich für unsere Patienten erbringen.“

Zunehmende Arbeitsverdichtung

Die Gewerkschaft Verdi und der Betriebsrat am Siegburger Helios-Klinikum kritisieren seit langem die Arbeitsbedingungen in der Pflege. Noch Anfang vergangenen Jahres hatte der Betriebsratsvorsitzende Georg Rakel gemahnt, die Beschäftigten arbeiteten „am Limit und darüber hinaus“. Das Siegburger Krankenhaus mutiere zu einer „Gesundheitsfabrik“.

Pressesprecherin Julia Colligs erläuterte auf Anfrage, im Klinikum werde ständig daran gearbeitet, Beschäftigte von der „zunehmendem Arbeitsverdichtung“ zu entlasten. Ziel sei auch, dass Mitarbeiter Pausen ohne Störungen nehmen könnten. Täglich werde daran gearbeitet, Strukturen und Prozesse innerhalb der einzelnen Abteilungen und der Teams zu verbessern und somit Mehrarbeit, Überlastung und Überforderung zu vermeiden. Die Zahl der Vollzeitkräfte sei kontinuierlich gesteigert worden.

Die Helios-Kliniken-Gruppe ist eine Tochter des Fresenius-Konzerns und behandelte nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr 5,3 Millionen Patienten in 111 Häusern. In der Helios-Gruppe sind 70.000 Mitarbeiter beschäftigt. (ah)

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