Siegburger Unterkunft für ObdachloseSelters statt Sekt um Mitternacht im Don Bosco

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Der Siegburger Bahnhof als Nachtlager: Morgens packen die Obdachlosen ihre Siebensachen.

Der Siegburger Bahnhof als Nachtlager: Morgens packen die Obdachlosen ihre Siebensachen.

Siegburg – In der Not heißt es zusammenrücken, statt fünf Schlafplätzen pro Zimmer gibt es seit Kurzem zehn – und alle Doppelstockbetten im Don-Bosco-Haus sind über den Jahreswechsel voll belegt. Markus, 34, konnte hier ein Obdach finden und hegt viele Hoffnungen fürs neue Jahr. Schlechter kann es kaum noch werden für den jungen Mann mit dem alten Gesicht und für all die anderen, die hier gestrandet sind: den Job verloren, von der Frau verlassen, aus der Wohnung geflogen wegen Mietschulden, den Frust im Alkohol ertränkt. Die Geschichten ähneln sich. Nun stoßen sie an um Mitternacht mit Fanta und Cola und Sprudel.

„Alkohol ist bei uns verboten“, sagt Sozialarbeiterin Kirsten Arendt. Auch wer Randale macht, sich partout nicht ins Gemeinschaftsleben einfügt, muss gehen. Die Liste derer, die hier Hausverbot haben, weil sie immer wieder gegen die Regeln verstießen, ist lang. Gut, dass der Winter mild ist, bei bitterer Kälte werden auch Flure und Aufenthaltsraum zu Übernachtungsstätten. Dennoch gibt es Menschen, die „Platte machen“, auch bei Minustemperaturen im Freien übernachten, weiß die 50-Jährige, die seit 22 Jahren im Don-Bosco-Haus arbeitet. Ein Grund: „Viele haben Tiere, die dürfen sie zu uns nicht mitbringen.“

Die Mildtätigkeit hat Grenzen, weggeschickt werden auch Armutsflüchtlinge aus Südosteuropa, die immer häufiger anklopfen. „Menschen aus Bulgarien und Rumänien können wir nicht dauerhaft unterbringen, weil das der Kostenträger nicht mitmacht“, sagt die Arendt.

Auszug schwieriger

Aus dem Don-Bosco-Heim in eine eigene Wohnung zu ziehen, das sei für die Klientel erheblich schwieriger geworden, sagt Einrichtungsleiter Dr. Werner Christmann. Grund sei die Lage auf dem Wohnungsmarkt: „Sozialwohnungen gibt es kaum noch.“

Bewerber müssten ein Nettoeinkommen über 1000 Euro haben, ein geregeltes Einkommen für die vergangenen drei Monate nachweisen, außerdem müsse die Schufa-Auskunft sauber sein. Die Resozialisierung werde extrem erschwert. (coh)

Das Heim in Trägerschaft des katholischen Sozialdienstes SKM mit 24 Schlafplätzen, darunter drei für Frauen, erhält öffentliche Mittel. Wer keinen Anspruch auf Sozialhilfe hat, fällt durchs Netz, so bitter das für die Betroffenen sei. Wer nicht unterkriechen kann bei Bekannten oder nicht ins Herkunftsland zurückwolle, lebe dann auf der Straße. Etliche zieht’s nach Köln und Bonn, einige treffen sich am Siegburger Bahnhof oder schlagen ihr Lager in der Tiefgarage am Rathaus auf.

Nachreifen mit Pflichtprogramm

Die Kurve zu kriegen, diesen festen Vorsatz fürs neue Jahr hat auch die andere große Gruppe im Don-Bosco-Haus, die Haftentlassenen, sagt Einrichtungsleiter Dr. Werner Christmann. Doch manchmal wirkten andere Kräfte stärker, zum Beispiel Suchtprobleme. 17 Männer von 18 bis 25 Jahren haben ein kleines Einzelzimmer in der Resozialisierung gefunden, was allein schon ein großes Glück ist, „die Nachfrage ist sehr viel höher“, so der Sozialarbeiter.

Fast alle befinden sich derzeit in einem Ausbildungsverhältnis, dürfen deshalb länger als die 18 Monate bleiben, die der Landschaftsverband Rheinland normalerweise genehmigt und bezahlt. Doch gut die Hälfte, die mit großen Zielen ins Jahr 2017 gestartet waren, scheiterte. Sie sammelten so viele Minuspunkte, ignorierten die Pflichten wie Putzen, Arbeitstherapie, Gruppengespräche, dass sie vor Ablauf eines halben Jahres ihre Siebensachen packen mussten. „Sie kommen alle aus zerrütteten Verhältnissen, haben nichts mit auf den Weg bekommen“, erklärt Christmann, der auch Theologie, Philosophie und Soziologie studiert hat. Da fehlten „Werte und Tugenden“, schlicht „Reife“. Sein Ansatz ist ein erzieherischer: Regeln, Sanktionen und die Spiegelung des Verhaltens sind „Nachreifungs-Methoden“ für diejenigen, die nie Grenzen erfahren hätten, so seine Theorie, die der Wissenschaftler durch Publikationen und Vorträge in ganz Deutschland vertritt. Mehr Sozialarbeiter, mehr Betreuung, sagt Christmann, würden allein nichts bringen.

Mit seiner Forschung rettete sich Christmann auch selbst. Bevor der 60-Jährige im Jahr 2007 promovierte, sah er seine Arbeit zunehmend kritisch und mit Distanz. Er wollte den Menschen am Rande den Weg weisen, doch der Großteil kam wieder davon ab, die Rückfallquote war frustrierend.

Nun sieht er Erfolge. Erlebt, dass es bei einigen doch Klick macht, auch wenn es manchmal dauert. Er sieht Beziehungen wachsen, ist selbst mittendrin: „Don Bosco, das ist mein zweites Zuhause.“

Werner Christmann ist erreichbar für die Ex-Häftlinge, auch wenn er mit daheim mit seiner Frau und seiner Tochter aufs neue Jahr anstößt. „Wir haben eine WhatsApp-Gruppe, und wenn es brennt, bin ich da.“

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