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Lebenswichtiges Vlies aus SieglarFirma Reifenhäuser stellt Produktion um

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Ein Mitarbeiter begutachtet das gewebte Material auf seine Dichtigkeit.

Ein Mitarbeiter begutachtet das gewebte Material auf seine Dichtigkeit.

Troisdorf – Ein Maschinenbauer rüstet um auf Vliesproduktion: Reifenhäuser liefert derzeit täglich Material für bis zu eine Million Atemschutzmasken. Dieser Schritt in der Coronakrise ist ungewöhnlich, aber durchaus naheliegend. Denn im Technikum am Firmensitz in Sieglar stehen bereits zwei riesig-hohe Versuchsanlagen - eigentlich für die Forschung und Entwicklung sowie Tests der Reifenhäuser-Kunden mit eigenen Rohstoffen. Nun entsteht rund um die Uhr mit der Technologie an sieben Tagen in der Woche aus Granulatkörnern der hygienisch-medizinische Vliesstoff.

Wie sehr dünne Spaghettifäden fließt der erhitzte Kunststoff aus unzähligen Düsen und wird zu langen, weißen Bahnen abgelegt. „Meltblown“ heißt dieser Kunststoffverarbeitungsprozess und ebenfalls das Material, das wie ein Gewebe wirkt, aber aus endlos langen, wirr abgelegten Kunststoffsträngen besteht. Meltblown bildet in Gesichtsmasken die entscheidende Filterfunktion und ist damit ein unverzichtbarer Bestandteil, um Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegepersonal vor einer Ansteckung zu schützen. Aufgewickelt auf einen Kern wirken die Ballen vom Weitem wie monströse Garnrollen.

Troisdorf: Unternehmen will Beitrag zur Bekämpfung der Krise leisten

Reifenhäuser Reicofil habe als seinen Beitrag in der Krise zunächst die Lieferzeiten für die Meltblown-Anlagen verkürzt, teilt der CEO Dr. Bernd Kunze mit. Doch bis die Kunden die fehlenden Kapazitäten aufgebaut hätten, springe der Troisdorfer Maschinenbauer mit ein. „Diese Kapazität jetzt nicht zu nutzen wäre aus unserer Sicht verantwortungslos.“ Der Versuchsbetrieb werde in dieser Zeit fast vollständig ausgesetzt, so Michael Maas, verantwortlich für die Anlage im Technikum: „Durch die Corona-Pandemie sind die eigentlich geplanten Kundenbesuche zunehmend abgesagt worden.“ Kein Problem für die Beschäftigten, vom Versuchsbetrieb auf die Produktion in vier Schichten umzustellen. Rund 850 Beschäftigte am Standort hat Reifenhäuser, zwölf Maschinenbediener sind derzeit an der Anlage im Vlies-Technikum tätig.

Abnehmer zu finden für das Meltblown-Material war offenbar nicht schwierig: Die Produktion der kommenden fünf Wochen ist nach Unternehmensangaben bereits ausverkauft. Es wird nach Vietnam geliefert. Dort hat ein großer Hersteller von Atemschutzmasken seinen Sitz. Mittelfristig müssten in Deutschland Kapazitäten aufgebaut werden, so Reifenhäuser, das sei eine Lehre aus der Krise. Das Unternehmen sei in engem Austausch mit Behörden Verbänden und anderen Unternehmen, darunter ein aussichtsreicher Interessent aus Deutschland. Ziel sei es, auch die lokale Versorgung in diesen Zeiten zu stärken. Denn die Vietnamesen liefern die Masken aus dem deutschen Vlies in die ganze Welt.

Nicht nur Meltblown, auch SMS-Vlies könne auf der zweiten Anlage im Technikum kurzfristig in höchster Qualität hergestellt werden, so die Troisdorfer Anlagenbauer. Ein Bestandteil für medizinische Schutzkleidung, erklärt Bernd Kunze: „Wir gehen davon aus, dass auch Anzüge und Hauben knapp werden.“ Mittelfristig sollten aber auch hierfür die Produktionskapazitäten in Deutschland und Europa durch neue Anlagen ausgebaut werden.

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