Vor 20 JahrenRedakteure berichten, wie sie die Sprengung des Kaiserbaus erlebt haben

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Vor 20 Jahren wurde der Kaiserbau in Troisdorf gesprengt. (Archivbild) 

Troisdorf – Eigentlich hatte ich mich noch nie so gut auf einen Termin vorbereitet: Tage vorher wusste ich, dass ich als Volontär über die Sprengung berichten sollte, wusste bis ins Detail, wie Sprengmeister Uwe Jacob den 62,5 Meter hohen und 72,7 Meter langen Kaiserbau in 30.000 Kubikmeter Schutt verwandeln wollte. Er selbst hatte mir erklärt, wo und wie er die 4000 Sprengkapseln mit dem Industriesprengstoff Amongelit anbringen würde. „Entweder er kippt, oder er bleibt stehen“, hatte Jacob noch lapidar gesagt.

Die professionellen Fotografen waren an der Fallgrube für den Koloss im Einsatz oder auf dem TNT-Hochhaus. Ich musste mir also etwas einfallen lassen und verabredete mich mit Schrebergärtnern an er Uckendorfer Straße, die das große Ereignis von den Dächern ihrer Lauben verfolgen wollten. Lange vor 8 Uhr war ich dort, im Gepäck meine erste Digitalkamera, bei der man Adapter für Weitwinkel oder Telebrennweite umständlich aufschrauben musste.

Ein Motiv fand ich direkt hinter mir, vier Schrebergärtner, guter Laune in ihren Campingstühlen auf dem Dach ihrer Laube sitzend. Ein Fall für den Weitwinkel. Dann hörte ich einen scharfen Knall – nicht aber das Hornsignal, mit dem ich fest gerechnet hatte.

Ich sah nur noch, wie sich der gelbe Klotz nach links neigte, um in einer Staubwolke zu verschwinden, und konnte gerade noch abdrücken. Das Foto zeigt den kippenden Riesen winzig klein unter einem blauen Himmel, im Vordergrund der Rücken eines Mädchens mit gestreiftem Pulli. An das unfassbar bittere Gefühl, diesen unwiederbringlichen Moment verpasst zu haben, erinnere ich mich heute noch. Doch trotz oder gerade wegen der verrückten Perspektive: Das seltsamste Foto, das ich jemals gemacht habe, wurde gedruckt.

Andreas Helfer

Wie bei der Sonnenfinsternis

Als ich 1994 in den Rhein-Sieg-Kreis kam, stand an der Autobahn dieser Koloss: eindrucksvoll und mit dunklen Fensterhöhlen auch ein bisschen unheimlich. Welch großartige Verwandlung erlebte Jahre später die hässliche Bauruine unter den Händen von HA Schult und Elke Koska. Abgesehen davon, dass jede Begegnung mit den beiden ein Erlebnis war. So machte sich ihr Hund beim Pressetermin über die angelieferten Schnittchen her. Bis heute besitze ich ein gerahmtes Plakat des „Hotel Europa“, das mich seit mehr als 20 Jahren begleitet.

Die Erinnerung ist noch präsent an jenen Morgen im Mai 2001. Tags zuvor erst waren wir aus dem Urlaub zurückgekehrt, die Sprengung wollten wir nicht verpassen. Fast körperlich war die Anspannung unter den vielen Zuschauern zu spüren; ähnlich der Sonnenfinsternis, die im August 1999 die Menschen fasziniert hatte, die auf einen nur kurzen Moment hinfieberten. Und der im Fall des Kaiserbaus noch einmal erheblich kürzer war. Laut ertönte das warnende Horn des Sprengmeisters, noch lauter die Detonation.

Viel zu sehen war dann gar nicht mehr, denn sofort erhob sich die gewaltige Wolke aus Betonstaub, die auf die Besucher zurollte. Für einige Momente wurde es dunkel und kühl. Fast wie bei der Sonnenfinsternis.

Dieter Krantz

R.E.M. und das Ende der Welt

Elf Stunden vor dem Knall begann für mich eine – im Rückblick – wie geschaffene Einstimmung auf den Fall des „Hotel Europa“. Auf der Rückseite des Roncalli-Platzes in Köln gab eine Flucht den Blick frei auf die Terrasse des Dom-Hotels und die Balkone mit gut sortierter Prominenz. Die feierte die Alternativrocker von R.E.M., die ihr einziges Konzert auf dem europäischen Festland bei freiem Eintritt gaben, vor 70.000 Fans, weit verstreut. Sehen konnte ich die Bühne nicht, ab 21 Uhr aber Sänger Michael Stipe und seine Kollegen hören – 95 Minuten lang. „It’s the end of the world as we know it“ war die letzte Zugabe.

Mit dem Zug fuhr ich zurück nach Siegburg, wo um 4.30 Uhr noch ein altes Reihenhaus gleich um die Ecke in der Ludwigstraße abbrannte. Viel Zeit für Schlaf blieb nicht mehr, für 8 Uhr war beim Logistik-Unternehmen TNT-Express an der Flughafenautobahn in Troisdorf der Frühstückstisch gedeckt für akkreditierte Medienleute und Geschäftspartner – auf der Dachterrasse mit Blick auf das abgeranzte „Hotel Europa“, aus dem die letzten Pop-up-Porträts prominenter Gäste längst ausgezogen waren und todkrank blickende Fensterhöhlen die Morgenluft durchziehen ließen.

Stative wurden aufgebaut, Kameras ausgepackt. Fast besinnlich ruhig war es, mit einer Ahnung von Endlichkeit aufgeladen, als die Wassersprinkler angeworfen wurden, damit der Staub nicht allzu große Kreise ziehen möge. Gab es einen für alle hörbaren Countdown, oder war es der eigene Pulsschlag, der zu vernehmen war, als niemand mehr sprach und alle in eine Richtung blickten? Ein dumpfer Knall, in Zeitlupe fiel die Bauruine in sich zusammen. Und jeder war still mit sich selbst beschäftigt. Auch draußen, als meine Augen schon wieder müde wurden, blieb es überraschend ruhig. Das „Hotel Europa“ war Geschichte, viele Zeugen seiner letzten Stunden und Minuten immer noch sprachlos.

Reinhard Bernardini

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