Strom der ZukunftObsthof in Grafschaft testet spezielle Photovoltaik-Anlagen

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Das Agri-Photovoltaik Projekt: Christian Nachtwey setzt viel Hoffnung in das System.

Das Agri-Photovoltaik Projekt: Christian Nachtwey setzt viel Hoffnung in das System.

Grafschaft – Christian Nachtwey geht an den Feldern seines Obsthofes entlang. Der Landwirt ist auf dem Weg zu einem Projekt, das ihn rund um die Uhr beschäftigt: „Mir fällt immer wieder etwas ein, was man noch besser machen könnte“, erzählt er. Hier in Grafschaft, auf dem Apfelhof der Nachtweys läuft gerade ein Versuch, der für die Stromgewinnung und die Landwirtschaft viel verändern könnte. „Das Projekt ist wegweisend“, sagt Nachtwey.

Photovoltaik wie ein Dach

Eine lichtdurchlässige Photovoltaik (PV) -Anlage ragt wie ein Dach über die Apfelbäume. Im ungewöhnlich kühlen Licht für diese Jahreszeit sieht sie aus, wie ein Gewächshaus aus der Zukunft: Über den jungen Apfelbäumen hängen Module aus Glas und Solarzellen. Unter der Anlage wirkt das Feld wie ein abgeschlossener Raum, doch es ist von allen Seiten offen. Hier treffen Technologie und Natur aufeinander – und scheinen gut miteinander klarzukommen. Die Anlage bietet Schutz für Pflanzen, Wildtiere und Insekten.

Lösung für mehrere Probleme

Auf einer Versuchsfläche von 9000 Quadratmetern soll getestet werden, ob Landwirtschaftliche Flächen doppelt genutzt werden können, 3500 davon nimmt die PV-Anlage ein. Das Konzept heißt Agri-Photovoltaik und löst, wenn es funktioniert, gleich drei Probleme auf einmal: Die Solaranlagen produzieren dringend gebrauchten Strom aus erneuerbaren Energien. Durch die doppelte Nutzung der Flächen wird der Landnutzungskonflikt abgeschwächt: „Flächen sind ein rares Gut“, sagt Nachtwey. Außerdem schützen die PV-Anlagen die Apfelbäume vor zu viel Sonne, Regen und Hagel.

So läuft das Projekt mit der Agri-PV-Anlage ab

Für das Projekt werden acht verschiedene Apfelsorten auf ihre Eignung für das System getestet. Alle Sorten haben Vor- und Nachteile: Einige könnten zu schlecht ausfärben, andere könnten frühreif werden oder Probleme mit Insekten bekommen. Da es noch kein vergleichbares Projekt gibt, kann schlecht eingeschätzt werden, wie die Ergebnisse aussehen werden.

Bevor die Anlage im Sommer 2021 als erste PV-Anlage über Apfelbäumen aufgebaut wurde, ist die Fläche komplett neu aufgearbeitet worden: Die alten Bäume wurden gerodet, neue gepflanzt und die Solaranlage an die Bewirtschaftung der Pflanzen angepasst, um so praxisnah forschen zu können wie möglich. Zwischen den Baumreihen ist ein Abstand von drei Metern und die Bäume in den Reihen stehen einen Meter voneinander entfernt. Es gibt noch einen Vorteil: Die PV-Anlage wird voraussichtlich Ende des Jahres in die Stromversorgung einspeisen und dann 50 bis 60 Haushalte in Gelsdorf mit Strom versorgen.

Das war eigentlich von Anfang an der Plan, aber wegen der Flutschäden konnte bisher noch kein Stromspeicher angeschlossen werden.Die Module sind jeweils zwei Quadratmeter groß und zu 50 Prozent mit Solarzellen belegt. So kommen trotzdem noch 70 Prozent des Lichtes bei den Pflanzen an. Die Ergebnisse werden zeigen, ob die Lichtreduktion durch die PV-Anlage genügend Sonnenschutz bietet und die Bäume trotzdem noch genügend Licht bekommen, um richtig zu wachsen.

Als Partner sind an dem Projekt das Fraunhofer-Institut für Energiesysteme (Forschung), Baywa r.e. (Bau der Anlage), Fendt (Traktor), Electric EWS (Vermarktung) und das Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum (DLR) Rheinland Pfalz (Forschung) beteiligt. (abr)

„Mittlerweile sind die Witterungsbedingungen in Deutschland so, dass wir ohne Schutz kein Obst mehr anbauen können“, erklärt der Landwirt. Durch zu viel Sonne bekommen die Äpfel Sonnenbrand– die Schale wird stellenweise braun und wirf Blasen. Hagel verursacht Druckstellen oder lässt die Schale aufplatzen. Der Weg zur PV-Anlage verläuft direkt auf der Grenze zwischen Nordrhein Westfalen und Rheinland Pfalz. Er ist gesäumt von Apfelbäumen, einige von ihnen tragen schon Früchte. Hier stehen auch Bäume, die nicht geschützt sind.

„Mit jedem Regen findet auch ein Pilzbefall statt“

Nachtwey nimmt einen Apfel in die Hand und zeigt die braunen Stellen, die der Hagel hinterlassen hat. „Diese Äpfel kommen nicht in den Einzelhandel, weil sie so nicht gekauft werden“, erzählt er. „Wir vergleichen die herkömmlichen Schutzmaßnahmen mit dem Schutz durch die Anlage.“ Daher sind die Bäume auf dem Rest der 9000 Quadratmeter durch Zelte und Hagelnetze abgedeckt. Außerdem sorgt die PV-Anlage dafür, dass die Blätter bei Regen trocken bleiben und sie das Wasser über den Boden aufnehmen können.

„Mit jedem Regen, der auf die Blätter fällt, findet auch ein Pilzbefall statt“, erklärt der Obstbauer. Diese Gefahr sei dadurch geringer und es müsse weniger Pflanzenschutzmittel verwendet werden. Die Idee für die Agri-PV-Anlagen auf dem Obsthof Nachtwey hatte Grünen Lokalpolitiker Wolfgang Schlagwein. Sie kam ihm 2017, als er an einem Forschungsprojekt beteiligt war, das sich mit der Energiewende in Ahrweiler beschäftigte.

In dem Zusammenhang wurden Agri-PV-Anlagen vorgestellt, die über Getreidefelder gebaut wurden. „Ich dachte, das bekommen wir auch in Ahrweiler über dem Obstbau hin“, erzählt Schlagwein. Also habe er sich an den Obsthof Nachtwey und ans Umweltministerium Rheinland-Pfalz gewandt. „Ich habe hauptsächlich die Kontakte geknüpft, danach lief es quasi von alleine“, sagt er.

Fokus liegt auf Schutz

Der Schutz der Apfelkulturen sei bei dem Konzept von Agri-PV essenziell. Man müsse schauen, wie viel man den Pflanzen zumuten kann. Schutz für die Apfelkultur und Stromproduktion bei bestmöglichen Bedingungen für diese müssten unter einen Hut gebracht werden. „Das schlimmste wäre, wenn man die Flächen nicht mehr für die Apfelkulturen nutzen könnte“, sagt er. Das Konzept müsse für die Pflanzen optimiert werden, sonst würden sich die Flächen nicht von üblichen Solarparks unterscheiden.

Die PV-Anlagen werden mit anderen Schutzmaßnahmen für die Plantage verglichen.

Die PV-Anlagen werden mit anderen Schutzmaßnahmen für die Plantage verglichen.

Mittlerweile ist er an am Versuchsfeld mit der Agri-Photovoltaik-Anlage angekommen. „Ich bin manchmal selbst erstaunt, wie adaptiv die Natur ist“, freut sich Nachtwey und zeigt auf drei Vogelnester an den Balken unter den Solarmodulen. Dort haben Vögel einen sicheren Platz zum Nisten. Für Insekten gibt es Wildblumen zwischen den Baumreihen und Bienenhotels. Mit einem Blick auf die Solarpanele erklärt er, dass zwei verschiedene Module verglichen werden.

„Zebra- und Block-Design“

„Wir haben einmal Zebra- und einmal Block-Design“, erklärt er. Die Designs unterscheiden sich in der Anordnung der Solarzellen auf den Modulen. Beim Zebra-Design sind die Zellen in Reihen angeordnet, zwischen denen lichtdurchlässige Flächen sind. Beim Block-Design befinden sich die Zellen in der Mitte des Moduls, sodass das Licht am Rand der Module durchscheint.

Das Projekt Agri-Photovoltaik läuft bereits seit 2017 und wurde größtenteils im Ackerbau umgesetzt. Jetzt wird es auf dem Obsthof Nachtwey das erste mal für den Apfelanbau getestet. „Daher haben wir noch keine Informationen, wie sich die Anlagen auf die Äpfel auswirken wird“, erzählt Nachtwey. Für erste Ergebnisse haben die Nachtweys nicht viel Zeit– das Projekt endet 2025. „Das ist viel zu kurz. Wir werden längst nicht alle Erkenntnisse gewinnen, die wir brauchen“, sagt er. Deshalb hoffe er auf eine Verlängerung.

Äpfel werden nicht verkauft

Einige Äpfel hängen schon an den Bäumen. Sie sind noch grün, aber schon groß und sehen so aus, als könnten sie bald gegessen werden. „Die werden nicht verkauft oder weiterverarbeitet. Die sind für die Forschung und werden im Fraunhofer-Institut untersucht“, erklärt Nachtwey.

Die Bewirtschaftung und eine Entschädigungspacht bekommt der Hof vom Bundeslandwirtschaftsministerium und dem Umweltministerium Rheinland-Pfalz gezahlt. „Und wir bekommen eine ganze Menge Erkenntnisse als erstes. Das schadet auch nicht“, scherzt Nachtwey. Die Akzeptanz und das Interesse an dem Projekt seien groß.

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