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Serie „Babylon Köln“Wie eine goldene Uhr einem Gutsbesitzer zum Verhängnis wurde

Lesezeit 6 Minuten
Babylon.Zug sw

Symbolbild

  • Auch Köln war in den 20er Jahren geprägt von einer ausschweifenden Lust am Leben, aber auch von Kriminalität und Gewalt.
  • In unserer Serie „Babylon Köln“ schildern wir spektakuläre Fälle dieser Zeit. Heute: ein Toter im Zug.

Köln – Genau 23.53 Uhr Ortszeit war es, als die Dampfwolken des etwas verspäteten Personenzugs aus Krefeld am Tag vor Heilig Abend, Dienstag, 23. Dezember 1924, die kalte Luft des Kölner Hauptbahnhofs füllten. Endstation. Bahnbeamte kontrollierten die Wagen. In einem Abteil der Zweiten Klasse fanden sie einen älteren Mann in einer Blutlache auf dem Boden liegend. Ein Revolverschuss hatte seinen Hinterkopf zertrümmert. Die abgefeuerte Patrone fand sich auf einem Polster des Abteils. Kaliber 9 Millimeter.

Auch die Bank war mit Blut beschmiert. Die Papiere in den Taschen des Toten identifizierte diesen als den früheren Major und nunmehrigen Gutsbesitzer Carl Kröner aus Ennetach in Württemberg. Mitgeführte Briefe verrieten, dass er Verwandte in Krefeld besucht hatte und nun heim zu seiner Frau reiste.

Seiner Fahrkarte zufolge war er mit dem Zug um 22 Uhr Ortszeit von Krefeld losgefahren. Auf Höhe des Bahnhofs Neuss hatte der Eisenbahnschaffner Kröner noch gesprochen. Nicht nur in seinem Abteil sei er allein gewesen, im ganzen Wagen habe nur noch eine Dame gesessen. Weil die Deckenlampe des Nachbarabteils durch Zusammenbinden der Abblendungsklappe verdunkelt worden war, vermutete die Polizei, dass sich der Mörder erst hier versteckt habe und dann über das zwischen den beiden Abteilen liegende Klosett zu seinem Opfer gelangt sei.

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Die Direktion der Eisenbahn war in Sorge

Womöglich hatte er hier im Eifer des Gefechts jenen kleinen, schlichten Ehering aus Messing verloren, der sich auf dem Boden des Abteils gefunden hatte. Nach eingehender Untersuchung der Leiche entdeckte man an ungewöhnlicher Stelle der Kleidung versteckt Bargeld. Ansonsten waren im Abteil keinerlei Wertgegenstände. Nahe lag somit der Gedanke an einen Raubmord.

Schnell ermittelt werden konnte, was Kröner geraubt worden war: Eine goldene Herrenuhr aus der Schweizer Fabrik A. Lange, auf deren Sprungdeckel die Zeichen „C. K.“ eingraviert waren. Eine silberne Sportkette mit einem St. Georgstaler, einem Schutzamulett für Reiter und Soldaten, als Anhängsel. Eine längliche schmale Ringlederhandtasche mit einigen Toilettenartikeln. Und dann teure Weihnachtsgeschenke: Zwei Zinn-Terrinen aus der Krefelder Fabrik J.P. Kayser + Sohn, ein Brillantring und eine goldene Damenarmbanduhr.

Nicht nur Sigmund Maria Graf Adelmann von Adelmannsfelden, damals Regierungspräsident Kölns, und die Verwandten des Ermordeten lobten für die Ergreifung des Mörders umgehend eine Belohnung aus. Auch Franz von Guérard, der Eisenbahndirektionspräsident in Köln, steuerte aus Sorge, dass sich Bahnreisende nicht mehr sicher fühlen würden, bis der Täter gefasst wäre, Geld bei, so dass 3000 Mark zusammenkamen. Über fehlende Hinweise aus der Bevölkerung konnten sich die Ermittler dann auch nicht beschweren.

Schnell konzentrierte sich die Fahndung auf einen jungen Mann von etwa 25 Jahren, grau gekleidet bis hin zur Sportmütze. Verlottert habe er ausgesehen und sich auf dem Bahnsteig in Krefeld von einer Gruppe Ausländer losgelöst, um auf verdächtige Art am Zug entlang zu gehen und in die Abteile zu schauen. Der sei von so schmächtiger Gestalt gewesen, dass auf seinen Ringfinger gewiss der am Tatort gefundene kleine Messingring passen müsste. Tatsächlich konnte man einen auf diese Beschreibung passenden Menschen auch am 28. Dezember festnehmen. Untersuchungen ergaben aber, dass er mit der Angelegenheit nichts zu tun hatte. Trotzdem blieb er in Haft. Es stellte sich heraus, dass die Polizei schon längere Zeit wegen Einbruchs nach ihm gefahndet hatte.

Die Polizei überwachte die Strecke

Bald schon konnte die Polizei aber als erste heiße Spur bei einem Uhrmacher die geraubte goldene Damenarmbanduhr beschlagnahmen. Die hier gewonnen Erkenntnisse passten zu einem Hinweis aus der Bevölkerung, der den 24-jährigen Fuhrmann Anton Pesch aus Worringen schwer belastete. Schon oft habe dieser Reisende bestohlen, die allein im Abteil sitzend in den frühen Morgen- und späten Abendstunden vom Schlaf übermannt worden waren.

Wie aber Pesch finden, ohne dass er dabei gewarnt wurde und irgendwo in Deutschland untertauchte? Die elterliche Wohnung in Worringen mied er, weil er wegen eines länger zurückliegenden Einbruchs gesucht wurde. Da Pesch häufig in den Zügen zwischen Köln und Krefeld nach Beute Ausschau hielt, leitete die Polizei eine Überwachung der Züge dieser Strecke ein.

Ohne Ergebnis. Dann aber kam der Tipp, dass Pesch häufig die in einer Ziegelei in Fühlingen wohnende Familie vom 23-jährigen Arbeiter Wilhelm Meisen besuche. Ein mit zehn Kriminalbeamten besetztes Auto fuhr deshalb am Sonntagabend, 4. Januar 1925, nach Fühlingen. In der Dunkelheit legten sich die Männer auf die Lauer und warteten.

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Tags zuvor war Anton Pesch zusammen mit Meisen und dem 25jährigen Installateur Otto Grotefeudt in eine Villa in Dormagen eingebrochen. Die Beute, Bargeld, Zigarren, ein Fernglas, eine Aktentasche und anderes, hatten sie unter sich geteilt und den Rest auf dem Heumarkt verkauft. Nun kamen die Drei, alle trotz ihrer Jugend schon wiederholt vorbestraft, gegen Mitternacht laut singend die Landstraße bei Fühlingen entlang, ohne zu wissen, dass die Polizei sie bereits im Visier hatte. Ihnen entgegen fuhr das Polizeiauto, das zwischenzeitlich eine Erkundungsfahrt nach Worringen unternommen hatte.

Ein Geständnis in kleinen Häppchen

Als die drei Männer in den Lichtkegel der Scheinwerfer gerieten, war Anton Pesch eindeutig zu erkennen. Mit einem Ruck bremste das Auto ab. Von allen Seiten sprangen die Beamten aus ihren Verstecken. Pesch langte mit seiner Hand vorn in seinen Hosenbund, wurde aber überwältigt, bevor er seine mit neun scharfen Patronen geladene schussfertige Armeepistole ziehen konnte.

Im Auto ging es zum Verhör nach Köln. Mit einem Bild seines toten Opfers konfrontiert erklärte Pesch noch seelenruhig, diesen Mann niemals gesehen zu haben. Dann aber konfrontierte die Polizei ihn mit den zusammengetragenen Beweisen. Nach und nach gab er mehr zu, bis er schließlich doch ein umfassendes Geständnis ablegte. Vierter Klasse sei er am 23. Dezember nach Neuss gefahren. Dort habe er im Gegenzug einen Alleinreisenden in der Zweiten Klasse entdeckt. Am Bahnhof Nippes, als der Zug zum Weiterfahren anzog, sprang er von der verkehrten Seite in das angrenzende Abteil hinein. Nachdem er das Licht verdunkelt hatte, kam er leise über das Klosett ins Abteil seines Opfers. Mit Pistole in der rechten Hand befahl er, ihm sein Geld zu geben. Kröner sprang auf. Da habe er ihn in den Kopf geschossen. Nachdem sein Opfer auf das Polster zurückgesunken war, habe er ihm seine Wertsachen abgenommen und im Hauptbahnhof in Köln den Zug verlassen.

Zu spät habe er bemerkt, dass er seinen Ring aus der Westentasche verloren hatte. Und die Beute? Die habe er versetzt oder im Rhein versenkt.

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