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„Wir sind kein Freiwild“Kölner Schiedsrichter sagen kompletten Spieltag ab

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Rückkehr zum Alltag: Auf der Anlage von Blau-Weiß Köln wurde beim Spiel gegen Germania Ossendorf ein Schiedsrichter heftig attackiert. Gestern spielte dort das Frauenteam gegen SV Aachen-Hörn. 

Köln – Die Botschaft der Schiedsrichter ist eindeutig: „Es reicht.“ Und weil eine kurzfristige Absage jeden Amateurfußballer so richtig schmerzt, gaben die Unparteiischen im Fußballkreis Köln ihren Streik erst am Sonntagmittag bekannt. Zu einem Zeitpunkt also, als viele schon unterwegs waren zu den Sportanlagen oder sogar schon in der Kabine. 76 Spiele der Kreisliga waren von der Aktion betroffen.

Mit dem Streik reagierten die „Schiris“ auf eine Reihe von schweren, laut Mitteilung der Kreisschiedsrichter „gänzlich inakzeptablen Angriffen“ auf Schiedsrichter. So wurde erst Anfang November beim Spiel Blau Weiß Köln V gegen Germania Ossendorf (Kreisliga D) regelrecht Jagd auf den Unparteiischen gemacht (die Rundschau berichtete).

Zeichen gegen Verrohung

Der WDR zeigte ein Amateurvideo, in dem zu sehen ist, wie Spieler versuchen, dem Mann die Beine wegzutreten, eine Flasche wird nach ihm geworfen. Sie verfehlt ihn nur knapp. Der Unparteiische wird durch einen Angriff leicht verletzt, er kann einige Tage nicht arbeiten. Vermutlich haben besonnene Akteure auf beiden Seiten sogar noch Schlimmeres verhindert. „Wir sind fassungslos über den Angriff“, sagen die Schiedsrichter. „Wir sind kein Freiwild.“

Mit dem Ausstand wollen sie ein deutliches Zeichen gegen die Verrohung setzen. „Wir beobachten diese Entwicklung seit längerem mit großer Sorge“, heißt es in der gestern veröffentlichten Erklärung. In der vergangenen Saison sei es in den Kreisligen A bis D zu zehn tätlichen Angriffen gegen Schiedsrichter gekommen. In einem Spiel in der Kreisliga D wurde der Unparteiische von Spielern und Zuschauern der Gastmannschaft zusammengeschlagen.

Selbst als er schon am Boden lag, habe man auf ihn eingetreten. Er musste mit gravierenden Verletzungen ins Krankenhaus gebracht werden. Ein Schiedsrichter sei als „Nigger“ beleidigt worden, nachdem er einem Spieler die gelb-rote Karte gezeigt hatte. Ein anderes Mal würgte ein Torwart den Referee. In einem anderen Spiel, Kreisliga B, spuckte ein Spieler dem Schiedsrichter ins Gesicht. Er hatte die rote Karte bekommen.

Zehn tätliche Angriffe in der Vorsaison

Neben den zehn tätlichen Angriffen registrierte der Verband 56 Vorfälle, in denen der Unparteiische während des Spiels oder nach dem Schlusspfiff beleidigt oder bedroht wurde. „Und das sind nur die Zahlen, die wir auf der Grundlage der Spielberichte für den Seniorenbereich ermittelt haben“, heißt es weiter. „Wir sind nicht mehr bereit, diese Vorfälle als unvermeidliche Geschehnisse zu betrachten, die zum Fußball dazugehören.“

Tatsächlich ist die Gewalt gerade auf Amateurplätzen weit verbreitet. Kaum ein Wochenende vergeht, an dem nicht irgendwo im Land ein „Schiri“ angegriffen oder bedroht und über den Platz gejagt wird. Manchmal bis in die Kabine.

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) verweist gerne darauf, dass solche Verfehlungen die Ausnahme seien, der allergrößte Teil der Spiele bleibe friedlich. In der vergangenen Saison gab es laut DFB bundesweit 2906 Angriffe auf Schiedsrichter. „Sie haben für die Betroffenen oft schlimme, manchmal auch langfristige Folgen“, sagen die Kölner Schiedsrichter.

Streiks auch im Saarland und Berlin

Tatsächlich hatten in den vergangenen Wochen auch Schiedsrichter im Saarland und in Berlin Konsequenzen gezogen und Spieltage abgesagt. In Köln ist es die erste Komplettabsage seit über zehn Jahren. Der Streik traf insbesondere die Kreisliga A. In den Kreisligen B bis D können auch Betreuer die Spiele leiten, sie mussten gestern kurzfristig einspringen.

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„Die Entwicklung ist alarmierend“, sagt auch der Vize-Vorsitzende des Kreisschiedsrichter-Ausschusses, Kabil Azizi. Mit verschiedenen Aktionen habe man immer wieder versucht, die Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken. Die Maßnahmen seien aber letztlich alle erfolglos geblieben.

Der Schiedsrichter, der vor zwei Wochen über die Anlage von Blau-Weiß nahe dem Decksteiner Weiher gejagt worden ist, wollte übrigens unbedingt wieder zur Pfeife greifen. Möglichst schnell sogar, damit er sich nicht zu viele Gedanken machen kann. Er stand schon am Sonntag bei einem Spiel der Frauen-Kreisliga wieder auf dem Platz. Die Frauen-Teams waren nicht vom Streik betroffen. Bei ihnen geht es meist deutlich gesitteter zu.

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