VfL Gummersbach aus der Bundesliga?Wie ganz Gummersbach vor dem Abstieg zittert

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Vfl Gummersbach

Vor dem Abschied? Dem VfL Gummersbach droht der erste Abstieg aus der Handball-Bundesliga.

  • Vor dem Abschied? Dem VfL Gummersbach droht der erste Abstieg aus der Handball-Bundesliga seit 53 Jahren..
  • Nur ein Sieg in Bietigheim kann den Club am Pfingsstsonntag noch retten.
  • Was das für Gummersbach bedeutet und wie eine ganzen Stadt mitfiebert, lesen Sie hier.

Gummersbach – Wenn der VfL Gummersbach am Sonntag um 15 Uhr in der Arena in Bietigheim-Bissingen gegen den Abstieg aus der Handball-Bundesliga spielt, wird Gummersbachs Bürgermeister Frank Helmenstein mit Trikot bei den Fans stehen. So wie im vergangenen Jahr, als sich die Oberberger am vorletzten Spieltag mit einem Sieg im hessischen Hüttenberg den Klassenerhalt sicherten. Trotzdem schon ein Herzschlagfinale, erinnert sich Helmenstein: „Fünf Minuten vor Schluss lag der VfL mit zwei Toren zurück. Als es doch geschafft war, habe ich mir gesagt: Nie wieder!“

Von wegen: Zum dritten Mal in Folge kämpft der frühere Rekordmeister aus dem Oberbergischen gegen den Abstieg. Die Bundesliga-Geschichte des VfL und seiner Legenden nennt Bürgermeister Helmenstein den „Soundtrack unseres Lebens“. Für den 54-Jährigen passt das genau: Gerade mal ein Jahr war er alt, als die Oberberger als Meister 1966 in die Bundesliga starteten und den Titel verteidigten. 1976 sah der dann elfjährige Helmenstein in der gerade neu eröffneten Gummersbacher Halle sein erstes Spiel. Auch wenn er selbst nie Handball spielte, elektrisierten ihn die Erfolge der folgenden Jahrzehnte – mit einem Höhepunkt 1983: „Nach dem Triple wurde der VfL sogar bundesweit zur Mannschaft des Jahres gewählt.“

Was der Club für seine Heimatstadt wirklich bedeutet, merkte er aber erst als Bürgermeister. 2008 zum Beispiel: „Da erhielt ich einen Anruf aus dem Bundespräsidialamt. Horst Köhler, hieß es, wolle mal beim Training des VfL dabei sein.“ Köhler kam – „den Glanz in seinen Augen, als er selbst einen Siebenmeter verwandeln durfte, werde ich nie vergessen.“ Nur ein Beispiel für viele Begegnungen.

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Rasantes Tempo beim Stadtumbau

Damals, in den 2000ern, beschäftigte Gummersbach noch eine andere Krise, die nichts mit dem Handball zu tun hatte. L & C Steinmüller, eine Firma im Dampfkessel- und Anlagenbau sowie Umwelttechnik, war durch die Insolvenz von Babcock ins Aus geschlittert. Viele Arbeitsplätze gingen verloren. Das Firmengelände mitten in der City wäre fast zur Industriebrache geworden. Ein Schock: „Das hat der Stadt damals fast das Genick gebrochen“, sagt Helmenstein. „Wenn damals noch der VfL verschwunden wäre, hätten wir den Schlüssel umdrehen können.“

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Gummi, das Maskottchen des VfL Gummersbach

Sportlich war das noch kein Thema, aber die Kölner Arena lockte, der VfL trug dort immer mehr Spiele aus. Das böse Wort vom „VfL Köln“ machte die Runde. Am Ende kam der VfL zurück – auch wegen des Baus der Schwalbe-Arena auf genau jenem Steinmüllergelände. Dort spielen inzwischen nicht nur die Handballer, sondern auch Stars wie Mario Barth, Dieter Nuhr oder Carolin Kebekus. Helmenstein sitzt gerade auf einer Bank auf dem Steinmüllergelände, als er von der schwierigen Vergangenheit erzählt. Die Sonne scheint, Kinder spielen im Wasser vor der Halle 32 – Reste einer alten Produktionsstätte von Steinmüller im Industrie-Look, die heute als moderne Veranstaltungshalle genutzt wird. Und als VIP-Bereich bei den Bundesliga-Spielen – über eine Brücke verbunden mit der Schwalbe-Arena, der neuen Multifunktionshalle, in der der VfL seit 2013 seine Heimspiele austrägt.

Nur zwei Bausteine, wie aus der Industriebrache ein Vorzeigeprojekt wurde. Hier sitzt der Campus Gummersbach der TH Köln mit über 5000 Studenten, die demnächst auch in Sälen des neuen Kinos unterrichtet werden. Es gibt ein Einkaufszentrum mit rund 15.000 Quadratmetern Verkaufsfläche. Ab Herbst wird ein Hotel gebaut, im nächsten Jahr die Halle 51 – ein Bau, der alten Look mit spektakulärer Architektur verbinden soll. Auch Polizei und Amtsgericht sind umgezogen. Ein Stadtumbau, der Aufmerksamkeit erregt – „vor allem wegen des atemberaubenden Tempos“, sagt Helmenstein, der aber sofort ergänzt: „Ohne den VfL wäre alles anders. Das ist so, als wenn man den Diamanten aus der Krone reißt.“

Nicht die erhofften Zuschauerzahlen in Köln

Doch die Arena auf dem Steinmüllergelände war nicht der einzige Grund für die Rückkehr des VfL. In Köln gab es nicht die Zuschauerzahlen, die man sich erhofft hatte – mit erheblichen finanziellen Folgen. Daraus resultiert noch immer ein Teil der Altlasten, die den Club bis heute beschäftigen. „Aber eben nur ein Teil“, stellt VfL-Geschäftsführer Christoph Schindler fest. Den sportlichen Erfolg, den er als Spieler ab 2010 mit den beiden letzten der drei europäischen Titel in Folge feiern durfte, sieht er als Geschäftsführer angesichts der Kosten für den Kader kritisch: „Die letzten Titel wurden mit Geld erkauft, das man nicht hatte.“

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20.Mai 2011: Der VfL Gummersbach siegt beim Finalrückspiel im Pokal der Pokalsieger.

Schindler will es anders machen, nur Geld ausgeben, das da ist. Der Club habe im Vergleich zur Vorsaison eine halbe Million Euro beim Kader eingespart, im Winter auf Nachverpflichtungen verzichtet. Trotzdem habe die Mannschaft eigentlich Qualität. „Wir würden besser dastehen, wenn sich die Leistungsträger die ganze Saison über nicht unter Wert verkauft hätten.“ Mit 13 Punkten aus 33 Spielen den Nicht-Abstieg noch in der eigenen Hand zu haben, sei ein Privileg, sagt Schindler. Trotzdem setzt er darauf, dass die Einstellung stimmt. Die Unterstützung der Fans hat der VfL: 450 machen sich in acht Bussen auf den Weg nach Bietigheim – im Vorjahr in Hüttenberg waren es 100 bis 150. In einem der Busse sitzt der Bürgermeister. Der hofft, dass er auch in Bietigheim am Ende jubeln darf. Und danach? „Hoffentlich nie wieder so ein Abstiegskampf . . .“

Zwei Legenden, eine Reaktion

Wie immer, wenn es auf der Zielgerade eng wird um den VfL Gummersbach, geraten die Legenden des Clubs in den Fokus – vor allem Heiner Brand (66) und Hansi Schmidt (76). Brand, ehemaliger Spieler, Trainer nicht nur beim VfL, sondern in beiden Funktionen auch mit Deutschland Handball-Weltmeister, will sich mit dem Thema Abstieg am liebsten immer noch nicht beschäftigen. Er sei in den vergangenen Tagen von so vielen Menschen in der Stadt angesprochen worden, von denen er nie gedacht habe, dass die sich für Handball und den VfL interessierten. „Ein Abstieg des VfL wäre für die Stadt, die Region und Handball-Deutschland schlimm“, sagt der 66-Jährige. Aus sportlicher Sicht vermisst Brand die richtige Einstellung und den Kampf: „Ich kann nicht sehen, dass die Mannschaft die Bereitschaft hat, sich Tore zu erarbeiten.“

Heiner Brand

Heiner Brand

Hansi Schmidt gehört zu den prägenden Spielern des Teams, das 1966 den ersten deutschen Meistertitel nach Gummersbach geholt hat. „Selbst wenn die Mannschaft noch den Klassenerhalt schafft, sind nicht alle Probleme beseitigt“, sagt er. Er meint, dass beim VfL in den vergangenen Jahren einiges schief gelaufen sei, darunter auch falsche Entscheidungen im Management. Dabei ärgert es ihn vor allem, dass Kritik von außen von den Verantwortlichen nicht gerne gehört werde. Am kommenden Gegner Bietigheim schätzt Schmidt, dass die Mannschaft organisch gewachsen sei und sich mit der Stadt identifiziere. „Deren Herz schlägt für die Region.“ Eigenschaften, die er beim aktuellen Team des VfL vermisst.

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Hansi Schmidt

Christoph Schindler, früher selbst Spieler, seit zwei Jahren im Management und jetzt VfL-Geschäftsführer, hört solche Zitate mit gemischten Gefühlen: „Ein Club wie der VfL hat viele Legenden. Jeder Einzelne hat seine absolute Berechtigung, seine Meinung zur Entwicklung zu äußern.“ Um was es geht, wisse aber jeder Spieler. „Selbst wenn einige den Verein im Sommer verlassen: Keiner will sich von Gummersbach mit dem ersten Abstieg der Geschichte verabschieden.“

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Christoph Schindler

Mit Blick auf Heiner Brand, der beim VfL lange als sportlicher Berater im Beirat fungiert hat, sagt Schindler: „Da der ein oder andere an Entscheidungen in der Vergangenheit beteiligt war, irritieren mich einige Äußerungen schon.“ (ar/kmm)

Eine glorreiche Vergangenheit

53 Jahre lang spielt der VfL Gummersbach in der Bundesliga – das letzte Gründungsmitglied, das ununterbrochen dabei ist.

12 Mal wurde der VfL Deutscher Meister, zuletzt 1991, damals erster Gesamtdeutscher Meister. Erst im Jahr 2007 wurde er vom THW Kiel als Rekordmeister abgelöst. Fünfmal wurden die Oberberger Pokalsieger. 1982 und 1985 holten sie das Double.

1983 gelang dem VfL Gummersbach das Triple: Meister, Pokalsieger und Sieg im Europapokal der Landesmeister. Der Sieg in diesem Jahr war auch der letzte von fünf Titeln in dem höchsten Wettbewerb im europäischen Vereinshandball. Hinzu kommen auf internationaler Ebene sechs Erfolge – zuletzt von 2009 bis 2011 drei Siege – zunächst im EHF-Pokal und zweimal im Europapokal der Pokalsieger. (kmm)

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