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„Das Cholerische liegt mir nicht“Interview mit dem neuen Verdi-Chef Frank Werneke

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Am Dienstag wählt der Verdi-Bundeskongress in Leipzig den Ostwestfalen Frank Werneke zum neuen Bundesvorsitzenden.

  • Am Dienstag wählt der Verdi-Bundeskongress in Leipzig den Ostwestfalen Frank Werneke zum neuen Bundesvorsitzenden.
  • Ein Gespräch über Stinkefinger, Juso-Wohngemeinschaften und Schlangengruben.
  • Hat Verdi intern ein AfD-Problem?

Leipzig – Ihr langjähriger Verhandlungspartner Kajo Döhring hat mal über Sie gesagt: „Wenn es in der Situation angemessen ist, dann kann der Frank auch Emotion, dann gibt er die Rampensau und reißt ein größeres Publikum mit.“ Wie viel Rampensau steckt in Ihnen?

Werneke (lacht) Diesen Begriff mache ich mir nicht zu Eigen. Ich finde es schon seltsam, wie sich die Wahrnehmung meiner Person gerade ändert. Oft werde ich ja als der nüchterne, technokratische Finanzer von Verdi dargestellt. Ich hatte jüngst aber ein paar Auftritte bei Demonstrationen, bei denen auch Pressevertreter dabei waren. Die haben dann ein anderes Bild von mir gezeichnet.

Also doch Rampensau?

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Werneke In der Funktion als Vize einer Gewerkschaft muss man sich in verschiedenen Rollen bewähren. Ich bin seit Jahren auch der Finanzchef von Verdi. Natürlich ist meine Tonlage beim Vortragen von Haushaltsdaten eine andere als bei einer Rede zum 1. Mai.

Mussten Sie das erst lernen?

Werneke Mit einer jugendlichen Unbekümmertheit bin ich schon mit 19 Jahren als Delegierter auf Gewerkschaftstagen ans Podium getreten und habe gesprochen. Vor großen Menschenmengen zu reden, war nie ein Problem. Das ging damals ganz ohne Lampenfieber. In solchen Situationen wäre ich heute ein wenig aufgeregter.

Kommen Sie aus einer klassischen Gewerkschafterfamilie?

Werneke Meine Mutter hat in einem Zeitungsbetrieb in der Weiterverarbeitung Nachtschichten gemacht, mein Vater arbeitete für einen Mineralbrunnen im Außendiens t. Beide waren in der Gewerkschaft, aber nicht aktiv. Ich hab mich selbst politisiert. In Schloss Holte-Stukenbrock gab es eine Friedensinitiative, bei der ich mitgemacht habe. Und es gab so eine Art Juso-WG, wo ich häufig war. Das war das Umfeld. Da lag es nahe, auch in die Gewerkschaft einzutreten.

Ihr Vorgänger Frank Bsirske hat auf einer Veranstaltung mal den Doppelstinkefinger gezeigt. Könnte Ihnen das auch passieren?

Werneke Ich kann nicht ausschließen, dass es in einer aufgeregten politischen Situation zu einer Gestik kommt, die nur bedingt fotogen ist. Geplant würde ich das aber nicht machen.

Stören Sie die ewigen Bsirske-Vergleiche?

Werneke Das sie angestellt werden, ist nicht überraschend. Nach einer solch langen Ära wird geschaut, was den bisherigen Vorsitzenden ausgemacht hat, und was vom Kandidaten zu erwarten ist.

Wie würden Sie Ihr Verhältnis heute beschreiben?

Werneke Kollegial. Wir fahren zwar nicht gemeinsam in den Urlaub oder verbringen die Wochenenden miteinander. Aber es ist mehr als nur ein professionelles Verhältnis. Dafür haben wir einfach zu viel miteinander erlebt.

Gibt es einen Rat, den er Ihnen für Ihr neues Amt gegeben hat?

Werneke Ja.

Welchen?

Werneke Keinen, den ich Ihnen verrate.

Bsirske hat eine Reihe einflussreicher Aufsichtsratsmandate. Ist schon klar, welche Sie davon übernehmen?

Werneke Die Aufsichtsratsmandate bei der Deutschen Bank und bei RWE wird er weiter ausfüllen . Das ist mir auch sehr Recht. Bis auf den ZDF-Fernsehrat werde ich meine bisherigen Mandate in den kommenden Monaten zur Verfügung stellen. Was dann zukünftig hinzukommt, werden wir nach dem Bundeskongress entscheiden.

Was ist die größere Schlangengrube: der ZDF-Fernsehrat, der Aufsichtsrat der Ruhrfestspiele oder der Verdi-Bundesvorstand?

Werneke Alles drei sind keine Schlangengruben, aber ich sage mal: Politisch am bewegtesten und auch mal mit dem Versuch, über die Bande zu spielen, ist der Fernsehrat. Aber der Versuch der parteipolitischen Einflussnahme spielt dort heute eine sehr viel geringere Rolle als noch vor ein paar Jahren. Das ist gut so.

Zufrieden mit dem Höcke-Interview des ZDF?

Werneke Eine gute Interviewleistung der Redakteure. Einen AfDler einerseits inhaltlich zu stellen, aber nicht durch einen zu harten Fragestil eine Solidarisierungswelle bei Teilen der Zuschauerschaft auszulösen, ist eine Gratwanderung. Das war gut gelöst. Das Auftreten von Höcke spricht für sich Bände.

Hat Verdi intern ein AfD-Problem?

Werneke Ich bin realistisch: Es gibt auch in unserer Mitgliedschaft einen Teil von Menschen, der die AfD wählt. Aber als erkennbare AfD-Sympathisanten treten sie bei uns nicht in aller Regel nicht auf. Ich komme wirklich viel rum, erinnere mich jedoch nur an zwei Situationen, in denen sich Mitglieder als AfD-Wähler zu erkennen gaben und erklärten, ich repräsentierte sie mit meinem Kurs nicht. Das war dann die Grundlage für eine Diskussion – auch wenn wir uns am Ende nicht einig waren.

Beschreiben Sie mal Ihre präferierte Konfliktlösungsstrategie?

Werneke Kommt auf die Situation an. Ich bin ein ganz guter Zuhörer und kann auch erst einmal abwartend die Lage sondieren. In Tarifverhandlungen gibt es manchmal aufgepeitschte Momente, in denen es auch laut wird. Ich bin dann immer ganz gut damit gefahren, mir das in Ruhe a nzuschauen, zu überlegen und dann zu reagieren.

Können Sie gar nicht laut werden?

Werneke Ich kann mir auch ohne Mikrofon in einem Saal Gehör verschaffen, aber das Cholerische liegt mir nicht. Wenn notwendig, kann ich aber sehr deutlich werden.

Verdi mit den 13 Fachbereichen ist ein irrer Tanker. Überwiegen die Vorteile dieser Riesenorganisation die Nachteile?

Werneke Das Grundkonzept von Verdi passt. Bei der Gründung vor 18 Jahren mussten Kompromisse gefunden werden – nicht alle waren klug. Es gab also auch Konstruktionsmängel. Aber das habe wir in den letzten Jahren bereits in Angriff genommen. Jetzt steht an, die Arbeit in den Berufen und Branchen in insgesamt fünf Bereichen zu konzentrieren.

Fachliche Arbeit in den unterschiedlichen Branchen oder Berufsgruppen bleibt davon unberührt, schließlich sind die Belange einer Verkäuferin andere als die eines Journalisten, einer Flugbegleiterin oder eines Arbeiters aus der Verpackungsindustrie. Andererseits könnten diese Berufsgruppen für sich genommen nie größere übergreifende politische Projekte stemmen. Das geht nur gemeinsam.

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In Ihren Branchen wird die Digitalisierung viele Jobs überflüssig machen. Wie groß ist die Alarmstimmung?

Werneke Die Herausforderungen sind ohne Zweifel immens. Insbesondere der Einsatz von Künstlicher Intelligenz birgt erhebliches Rationalisierungspotenzial. Bereits jetzt stellen wir in einigen Bereichen einen Wegfall von Arbeitsplätzen fest, zum Beispiel bei der Telekom oder bei Versicherungen. Auch im Handel gibt es solche Risiken durch den Einsatz von Selbstbezahlsystemen. Deshalb müssen Antworten für die Beschäftigten gefunden werden.

Wie?

Werneke Unser Anspruch ist es, betriebsbedingte Kündigungen durch den Einsatz neuer Technologien auf jeden Fall auszuschließen. Und dafür auch tarifvertragliche Lösungen zu finden. Das schließt Arbeitszeitverkürzung als Instrument, Beschäftigung zu sichern, ausdrücklich mit ein. Beispiel Häfen: Containerkräne können von vollautomatisierten Systemen gelöscht werden, die sich problemlos auch von Singapur aus steuern lassen. Wir haben jetzt im Interesse der Beschäftigten ausgehandelt, dass diese Tätigkeit auch weiterhin vom deutschen Standort aus erfolgen muss.

Gefragt sind dagegen zunehmend Dienstleistungen nah am Menschen. Stichwort Erzieher oder Pflegekräfte.

Werneke Das stimmt. Bis zum Jahr 2025 müssen im Sozial- und Erziehungsdienst 600.000 neue Stellen besetzt werden. Auch bei den IT-Diensten und in der Pflege fehlen Kräfte.

Das alles klingt danach, dass die Mitgliederwerbung für Verdi deutlich schwieriger wird.

Werneke Wenn in einer Branche die Dinge unter Druck und Arbeitsplatzabbau droht, erleben wir – zumindest in einigen Bereichen – ein gesteigertes Interesse an gewerkschaftlicher Organisierung, etwas bei Bankangestellten. Richtig ist: Das Halten von Mitgliedern ist schwieriger geworden. Ganz generell lässt die Bereitschaft nach, sich längerfristig an eine Organisation zu binden. Das spüren auch wir als Verdi. Schaue ich aktuell auf die Zuwächse in unserer Mitgliedschaft, dann haben wir die in durchaus unterschiedlichen Bereichen. Zum Beispiel in den Gesundheitsberufen, den Rettungsdiensten und bei den Feuerwehren. Aber auch bei Banken, im Einzelhandel oder beim Rundfunk

Werden Sie Ihren Führungsanspruch bei den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst anmelden?

Werneke Immer vorausgesetzt, wir finden die Unterstützung der Delegierten unseres Bundeskongresses in Leipzig, werde ich zu sammen mit Christine Behle die Verhandlungen führen. Im Oktober beginnen die Vorbereitungen für die Tarifrunde der Öffentlichen Dienstes 2020. Wir werden dann auch erstmals über unsere Umfrageergebnisse zum Stichwort Arbeitszeit berichten.

Mit dem Ergebnis, dass Sie mehr Arbeitszeit-Souveränität fordern werden?

Werneke Auf jeden Fall muss die in Ostdeutschland immer noch längere Arbeitszeit fallen. Ob wir eine Wahlmöglichkeit – Geld gegen Zeit – fordern, wird die Diskussion ergeben. Aber ich halte das nicht für ausgeschlossen.

Eine Dauerfehde liefern Sie sich mit Amazon. So richtig vorangekommen, sind Sie nicht.

Werneke Das stimmt nicht. Die Streiks haben bewirkt, dass Amazon überhaupt Lohnerhöhungen vornimmt und inzwischen die Gehaltssteigerungen des Einzelhandels übernommen hat. Damit es nicht noch mehr Krach gibt, zahlt Amazon auch ein Weihnachtsgeld. Und es gibt flächendeckende Betriebsratsarbeit. Außerdem wurde die Gängelung der Mitarbeiter durch digitale Überwachungssysteme zurückgefahren.

Dennoch haben Sie ihr Ursprungsziel, einen Tarifvertrag auf dem Niveau des Einzelhandels, verfehlt.

Werneke Wir werden da nicht nachlassen. Amazon ist ein harter Brocken. Die wollen aus ideologischen Gründen keinen Tarifvertrag. Der Konzern hat Angst vor weltweiten Forderungen nach Tarifverträgen, durch die ihre Beschäftigten abgesichert wären.

Deutschland diskutiert derzeit heftig über die Wohnraumproblematik. Wo sehen Sie Lösungsansätze?

Werneke Erst einmal würde ich Spekulationen mit unbebautem Land durch eine effektivere Besteuerung unattraktiver machen. Es kann doch nicht sein, dass in den Metropolen Bauland dreimal hin- und herverkauft wird, sich Investoren die Taschen voll m achen und der Staat schulterzuckend zuschaut.

Brauchen wir deutschlandweit einen Mietendeckel wie in Berlin?

Werneke Zumindest da, wo die Mietpreisentwicklung aus dem Ruder läuft. Wichtigster Schritt ist jetzt deutlich mehr Wohnraum zu schaffen. Und zwar genossenschaftlichen oder öffentlichen, auch um die Marktmacht der privaten Wohnungskonzerne zu begrenzen.

Sollte man auch die Wohnungskonzerne enteignen, wie es die Grünen fordern?

Werneke Das will ich nicht ausschließen, ist aber nicht der erste und wesentliche Schritt. Das wäre vermutlich ziemlich teuer und würde erstmal auch keinen neuen Wohnraum schaffen. Aber die Marktmacht der Konzerne ist schon eine bedenkliche Fehlentwicklung.

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