„Die Jugend ist hochpolitisch“Stadt Wiehl möchte junge Leute mehr einbeziehen

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Wiehl – Jens Schierling ist Mitarbeiter des Wiehler Jugendamts. Reiner Thies sprach mit ihm über seine Bemühungen, die jungen Leute für ihre Stadt zu begeistern und an politischen Entscheidungen zu beteiligen.

Sechs von zwölf Wiehler Jugendgruppen haben Sie schon besucht, um herauszufinden, was die jungen Leute bewegt. Was haben Sie bisher herausgefunden?

Es gibt eine große Bereitschaft, sich auf meine Fragen einzulassen. Die Jugendlichen begegnen mir mit persönlicher Offenheit. Ich bin überrascht, wie weit sie über ihren Tellerrand hinaus denken. Es zeigt sich, dass Jugendliche durchaus in der Lage sind, sich klar zu artikulieren. Wenn man sie nur auf die richtige Weise fragt, haben sie etwas zu erzählen. Die Gruppen, die ich besuche, sind natürlich nicht repräsentativ, aber die Bandbreite ist recht groß: Ich habe mit Gymnasiasten und Förderschülern gesprochen, mit engagierten Vereinsmitgliedern und mit sporadischen Besuchern der städtischen Jugendtreffs.

Wie weit muss der Prophet dem Berg entgegenkommen? Es gab ja in Oberberg durchaus schon aufwendige Versuche, die jungen Leute an der Politik zu beteiligen – wenn auch nicht mit dauerhaftem Erfolg: Das Jugendparlament in Bergneustadt ist eingegangen.

Ich war kürzlich auf einer Fachtagung in Bonn zum Thema „Partizipation“. Die große Frage dort lautete: Welches Format funktioniert? Es gibt Jugendparlamente, die brummen. Allerdings haben alle mit einer hohen Fluktuation zu kämpfen. Wenn die Schulzeit vorbei ist, sind die Leute weg. Das kann man in größeren Städten wie Remscheid leichter kompensieren als in kleineren wie Bergneustadt.

In den Jugendfragestunden des Wiehler Jugendhilfeausschusses taucht meist niemand auf.

Ich denke, die Fragestunde im Jugendhilfeausschuss hat ihre Berechtigung, vielleicht sollten wir dafür noch einmal intensiver in den Schulen werben. Jedoch muss man bedenken, dass es im Ausschuss oft um trockene Themen wie die Kindergartenbedarfsplanung geht, also um Themen, auf die Jugendliche nicht anspringen. Zudem tagt der Ausschuss in großen Abständen, die jungen Leute brauchen aber ein Gefühl der Selbstwirksamkeit, wollen also schnell Ergebnisse sehen. Schließlich geht es den Kindern hier in Wiehl nicht schlecht. Der Leidensdruck ist nicht so groß, weil viele Vereine zu einem breiten Freizeitangebot beitragen. Und wir haben drei Jugendzentren.

Also gibt es die Partizipation nur um ihrer selbst willen?

Als Jugendamt haben wir einen pädagogischen Anspruch. Die Jugendlichen sollen wach gemacht werden und lernen: Wo die Gesellschaft sich hinbewegt, hängt auch von meinen Füßen ab. Ich bin selbst auch schon 43 Jahre alt. Wenn in der Politik nur ehrwürdige Silberrücken entscheiden, kann man natürlich fragen, ob dabei immer gute Lösungen für die Jugend herauskommen. Ein gutes Gegenbeispiel ist die Umgestaltung des Bielsteiner Freizeitparks: Wir haben im Vorfeld ein paar örtliche Jugendliche zusammengetrommelt, deren Vorschläge in die Planung eingeflossen sind.

Was ist bei den Workshops bisher an konkreten Vorschlägen herausgekommen?

Natürlich tauchen immer wieder unrealistische Wünsche nach einem großstädtischen Konsumangebot mit McDonald’s und H&M auf. Aber es gibt auch berechtigte Forderungen, etwa nach einem verbesserten Nahverkehrsnetz. Oder danach, dass es keine Angsträume geben soll. Die jungen Leute haben solche „Unwohlfühlecken“, etwa im Wiehlpark, genau benannt. Am Ende der Workshops lade ich alle Teilnehmer ein, sich in eine Liste einzutragen. Ich möchte einen Expertenpool zusammenstellen, der zur Verfügung steht, wenn der Jugendhilfeausschuss oder die Verwaltung bei der Stadtentwicklung mal „sachkundige Bürger“ brauchen. Die Jugend ist hochpolitisch, nur interessiert sie sich nicht für die Arbeit der Parteien, sondern für ihr konkretes Lebensumfeld.

Mitmachen

Bei einer „Workshop-Tour“ durch die Jugendgruppen in Wiehl geht Jens Schierling (Bild) den Fragen nach,  welche Themen die Wiehler Jugendlichen   bewegen, wie sie ihren Sozialraum wahrnehmen und mit welchen Erwartungen und Sorgen sie in ihre Zukunft schauen. Seit Mai besucht er Jugendgruppen  in Einrichtungen, Kirchengemeinden und Vereinen, in denen sich Jugendliche ab einem Alter von zwölf Jahren in offenen Gruppen zusammenfinden. Die Teilnehmerzahl reichte bisher von einem einzelnen Mädchen bis zu 14 jungen Leuten.  Auf spielerische Weise sollen die  Jugendlichen ihre Themen  benennen und ihrer Sicht auf ihre Heimatstadt Ausdruck  verleihen. Zum einen tragen sie als Redaktion der fiktiven Boulevard-Zeitung „Brain“  Themen und Schlagzeilen zusammen. Zum anderen markieren sie die in der Wiehler Stadtkarte  jugendrelevante „Topps und Flopps“. (tie) www.junges-wiehl.de

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