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Museumsführung für Demenzkranke„Man kann so vieles in Bildern sehen“

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Kunsterlebnis für Demenzkranke: Kulturgeraroge Jochen Schmauck-Langer (r.) erläuterte bei der Führung Bewohnern des Kölner Seniorenzentrums Arnold-Overzier-Haus einige der Werke im Museum Ludwig. (Foto: Hermans)

Kunsterlebnis für Demenzkranke: Kulturgeraroge Jochen Schmauck-Langer (r.) erläuterte bei der Führung Bewohnern des Kölner Seniorenzentrums Arnold-Overzier-Haus einige der Werke im Museum Ludwig. (Foto: Hermans)

Köln – Die Besucher aus dem Seniorenzentrum Arnold-Overzier-Haus gehen einmal um die Holzskulptur herum, betrachten „Die Schlafenden“ von Hermann Scherer im zweiten Stock des Museums Ludwig gründlich von allen Seiten. Drei Rollstuhlfahrer sind dabei, sie werden von ihren Betreuern geschoben. „Was sehen Sie da?“, fragt der Leiter der Führung, Jochen Schmauck-Langer. „Adam und Eva?“, rät eine der Damen im Rollstuhl angesichts des nackten Paars. „Und was haben die gemacht, bevor sie eingeschlafen sind?“, fragt Schmauck-Langer nach. „Die haben bestimmt Liebe gemacht“, meint eine andere Dame.

Allgemeines Kichern setzt ein: „Na sowas“, sagt eine Frau kopfschüttelnd mit schelmischem Lächeln, eine andere wendet sich an Schmauck-Langer: „Ich glaube, ich muss bei Ihnen bleiben, das ist spannend.“ Die Stimmung ist gelöst, im Gespräch geht es bald um Zärtlichkeit und Vertrauen – und ob die beiden da wirklich zueinander passen. Dazu haben auch die fünf demenzkranken Bewohner des Seniorenzentrums eine Menge zu sagen. „Es ist wichtig, dass man im Zusammenhang mit den Kunstwerken an Themen anknüpft, die auch im Leben der erkrankten Menschen eine Rolle gespielt haben“, sagt Jochen Schmauck-Langer. Als ausgebildeter Kulturgeragoge führt er im Rahmen der Reihe „Mit Demenz ins Museum“ ältere, durch die Krankheit beeinträchtigte Menschen an Kunst heran.

Im Arnold-Overzier-Haus wird das Angebot gerne angenommen: „Unter unseren 180 Bewohnern sind einige, die sich für Kunst interessieren, aber so ein Museumsbesuch ist nicht ganz billig. Meist fahren wir am Köln-Tag hin, weil es sonst einige Teilnehmer finanziell überfordern würde“, erklärt Wolfgang Fiedler, der im Seniorenzentrum für den Sozialdienst zuständig ist. Und eine Führung wie „Mit Demenz ins Museum“ leistet sich das Haus nur selten. Die kostet nämlich 75 Euro, mitmachen können maximal acht Bewohner mit jeweils einem Betreuer.

„Das deckt die Kosten natürlich nicht, den Rest steuert der museumspädagogische Dienst bei“, erklärt Schmauck-Langer, der die Führungen seit 2012 anbietet. Das Interesse sei groß, sagt der Geragoge, 50 bis 60 Führungen leite er jährlich - im Museum Ludwig, im Wallraf-Richartz-Museum, im Kölner Stadtmuseum, im Museum für Angewandte Kunst oder in der Kolumba. Deshalb sei die Spende der Rundschau-Altenhilfe an den museumspädagogischen Dienst sehr willkommen.

Zur Scherer-Skulptur hat Jochen Schmauck-Langer ein Lied mitgebracht „Kann denn Liebe Sünde sein?“ tönt es vom Abspielgerät. „Ach, Zarah Leander“, erkennt eine Teilnehmerin sofort. „Musik bietet oft den direktesten emotionalen Zugang zur Vergangenheit, das ist gerade für Demenzkranke von großer Bedeutung“, erklärt der Museumsführer.

Lange Diskussionen vor den Kunstwerken

Es geht weiter zu Paul Klees „Hauptweg und Nebenwege“, in dem die älteren Herrschaften auf Schmauck-Langers Nachfragen hin eine Landschaft mit Feldern erkennen. Dann möchte der Geragoge zu einem Picasso im nächsten Raum, doch da hat er die Rechnung ohne die Besucher gemacht: Die wollen zunächst über Henri Laurens„ Skulptur „Abschied“ mit ihren seltsam ineinander verschlungenen Leibern reden: „Die ist mitten im Raum platziert, vermutlich hat das die Neugier geweckt“, meint Jennifer Boley, Koordinatorin der Tagesgestaltung im Arnold-Overzier-Haus.

Der „liegende Akt mit Taube“, ein Spätwerk von Picasso, ist trotzdem eindrucksvoll, anmutig trotz der „verdrehten“ Gliedmaßen, und die Senioren erkennen an den geschminkten Lippen und dem frisierten Langhaar, dass es sich um eine Frau handelt: „Man kann so vieles in Bildern sehen“, schwärmt eine der Damen. Mehr als eine Stunde ist nun schon vergangen, doch als Schmauck-Langer fragt: „Haben Sie denn überhaupt noch Lust auf mehr Kunst?“, lautet die einhellige Antwort: „Ja, auf viel mehr.“ Also geht es zu einer gelblichen Büste von Otto Freundlich, vor der lange diskutiert wird, ob es sich um einen Männer- oder Frauenkopf handelt. „Das ist Adenauer“, behauptet der einzige männliche Teilnehmer mit Nachdruck.

Eher unwahrscheinlich, weil Freundlich sein Werk „Frauenbüste“ genannt hatte, wie ein Schildchen verrät. Muss aber nicht verraten werden, stattdessen geht es nun weiter in die Werkstatt des Museums, wo die Besucher ein Blatt mit den Umrissen der Büste erhalten, das sie farblich gestalten sollen. „Das ist natürlich nicht einfach, das wird bestimmt nicht perfekt“, warnt eine Seniorin schon vorab. Eine andere malt ganz nach ihren Vorstellungen: „Ein richtiger Mann hat blaue Augen.“

Eifrig arbeiten die älteren Herrschaften an ihren Blättern, hin und wieder unterstützt von den Betreuern, die erstaunt sind, dass ihre Schützlinge nach fast zwei Stunden noch diese Konzentration aufbringen. Über die anregenden und schönen Erlebnisse im Museum hinaus wollen die Veranstalter mit Hilfe dieser kreativen Arbeit Nachhaltigkeitseffekte erzielen: „Das Blatt sollen die Teilnehmer möglichst in ihren Zimmern aufhängen“, erklärt Schmauck-Langer. „Dann werden sie von Angehörigen oder Bekannten darauf angesprochen, und das kann die Erinnerung an diesen Tag wecken.“ Mit Blick durchs Museumsfenster auf den Dom spielt Schmauck-Langer dann noch „Ich mööch zo Fooß noh Kölle jonn“ vor. Heimatgefühle machen sich bemerkbar, nur eine der Damen protestiert etwas irritiert: „Ich bin doch in Bonn geboren.“

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