Projekt für mehr Vielfalt auch in KölnWo sind all die Blumen hin?

Lesezeit 6 Minuten
Gelber Hahnenfuß und Kuckucks-Lichtnelke sind schöne Farbtupfer in ihrer Hauptblütezeit von Mai bis Juli.

Gelber Hahnenfuß und Kuckucks-Lichtnelke sind schöne Farbtupfer in ihrer Hauptblütezeit von Mai bis Juli.

Köln – Wann haben Sie zuletzt leuchtend gelbe Butterblumentupfen auf einer Wiese gesehen? Oder blaue Kornblumen? Die wachsen doch überall, mögen Sie jetzt vielleicht denken. Und das stimmt auch. Theoretisch gedeihen diese anspruchslosen Pflänzchen überall dort, wo sie Licht und mageren Boden finden. Vor 20 Jahren bevölkerten sie fast alle Wiesen und Felder. Doch wie die Rote Liste der Wildpflanzen im Dezember 2018 offenbarte, kommen die vermeintlichen Allerweltskräuter längst nicht mehr so häufig vor. Das hat nicht nur mit zu wenig Lebensraum zu tun, sondern vor allem mit einem Überangebot an Nahrung.

Kornblumen

Leuchtend blau und rot blühen Kornblumen und Klatschmohn

Zu viel Nahrung macht krank. Das gilt für uns Menschen ebenso wie für viele Pflanzen, denen wir unsere Lebensweise indirekt aufdrängen. Zu viel Dünger und zu viele Nährstoffe auf zu viel Fläche lassen unsere Kulturpflanzen und Ackerkräuter sterben. Mehr als 30 Prozent der Wildpflanzen in Deutschland sind der Roten Liste zufolge gefährdet. Grund für den Rückgang von mehr als der Hälfte dieser Pflanzen: Ein zu hohes Nährstoffangebot. Es trifft nämlich vor allem solche Arten, die nährstoffarme Böden oder Gewässer benötigen. Aufgrund der Anreicherungen von Dünger aus der zunehmend intensiven Landwirtschaft gibt es die jedoch immer seltener.

Eine Pflanzenart nährt zehn verschiedene Insektenarten

Unser Überangebot an Nahrung und die Art ihrer Produktion spiegelt sich in unserer Pflanzenwelt. Überraschen kann das Ergebnis dieser Zählung Thomas Hövelmann nicht. „Wir Botaniker beobachten seit Jahren, wie eine große Zahl von Pflanzenarten immer weniger wird. Das Wiesenschaumkraut zum Beispiel war früher ein Allerweltskraut“, sagt der Sprecher des Nabu-Bundesfachausschusses Botanik. „Als ich Student in Münster war, war im April zur Blütezeit auf weiten Flächen alles rosa. Heute muss man die Art suchen.“ An ihrer Stelle wachsen Gräser und konkurrenzstarke Stauden wie Brennnessel und Rainfarn, die vom stickstoffhaltigen Boden profitieren und viele Wildkräuter verdrängen. Auch Pflanzen, die im oder am Wasser leben, leiden unter der hohen Nitratbelastung. Aus dem gedüngten Boden gelangt die Stickstoffverbindung auch in den Wasserkreislauf und die Gewässer.

Mit der Pflanzenvielfalt verschwindet auch die Insektenvielfalt. Eine Faustformel besagt, dass eine Pflanzenart etwa rund zehn Insektenarten ernährt. „Viele Insekten sind auf eine oder wenige Pflanzen spezialisiert“, sagt der Botaniker. „Wenn diese Wirtspflanze verschwindet, dann verschwinden auch die Insekten. Und wenn die Insektenvielfalt verschwindet, dann bricht das ganze Ökosystem zusammen.“ Gräser haben häufig keine für Insekten attraktiven Blüten und werden deshalb nicht von vielen Arten besucht.

Hauptproblem ist die intensive Landwirtschaft

Auch wenn das Hauptproblem klar ist, nämlich die zunehmend intensive Landwirtschaft: „Man darf die Landwirte nicht verteufeln“, warnt Hövelmann. Vielmehr sei die Politik gefragt. Sie müsse es den Landwirten ermöglichen, umweltverträglicher zu wirtschaften. „Landwirte, die die Biodiversität fördern, sollten entschädigt werden“, fordert der Biologe. Subventionen dürfen nicht nur von der Größe der Fläche abhängen, sondern auch von der Art der Bewirtschaftung. Auf einer Wiese, die gedüngt und fünf Mal im Jahr gemäht wird, können nur Hochleistungsgräser überleben. Artenvielfalt gibt es dort nicht. Eine bunte Blumenwiese braucht vor allem wenig: Wenig Dünger und wenig Mahd.

Mehr Blüten gegen das Bienensterben

Mehr Blüten gegen das Bienensterben

Die Art der Bewirtschaftung ist also ein Problem. Aber auch, dass viele Landwirte ihr Grünland aufgeben. Denn ohne Äcker und Wiesen gibt es auch keine Acker- und Wiesenpflanzen. Ohne unsere offene Kulturlandschaft wüchse auf weiten Flächen Deutschlands nur Wald. Für viele Wildkräuter wäre es dort zu schattig. „Eine Heuwiese, die nur zwei Mal im Jahr gemäht wird, passt heute nicht mehr in die betriebswirtschaftlichen Abläufe“, erklärt Hövelmann. „Deswegen ist die Nutzung aus der Landschaft fast verschwunden und damit auch der Typ Wiese.“ Stattdessen wird das Grünland verkauft, bebaut und damit versiegelt. In Köln stehen 32,4 Prozent bebaute Flächen nur 12,3 Prozent Grünfläche gegenüber. Und zu häufig ist das Grün nur ein Parkrasen, dem es an Leben und Artenvielfalt fehlt. Eine internationale Studie von Biowissenschaftlern kam 2012 zu dem Ergebnis, dass neben tropischen Regenwäldern extensiv bewirtschaftete Wiesen und Weiden in Europa zu den artenreichsten Ökosystemen der Welt zählen gehören. So gesehen ist jeder Parkrasen verschwendetes Potenzial.

Trägt nicht auch der Klimawandel zum Artensterben bei? „Der sorgt eher für eine Verschiebung des Artenspektrums“, erklärt Thomas Hövelmann. „Er betrifft vor allem die alpinen Arten, die immer weiter nach Norden wandern, bis sie irgendwann ganz verdrängt werden, während andere Arten aus dem Süden nachkommen.“ Wärmeliebende Arten profitieren von den höheren Temperaturen. „Bei uns im Münsterland beobachten wir im letzten Jahr Pflanzenarten, die bis vor 20 Jahren nur bis zur Eifel vorkamen“, berichtet der Botaniker.

Fleischverzicht schützt indirekt die Artenvielfalt

Was können wir also tun, um Pflanzen, Insekten und unserem Ökosystem zu helfen? Vor allem: „Sich informieren, welche Parteien sich für eine umweltverträgliche Landwirtschaft einsetzen und zur Europawahl gehen“, sagt der Nabu-Experte. „Wenn man wirklich den Rückgang der Arten aufhalten will, muss man am großen Rad der EU-Agrarpolitik drehen.“ Und doch kann jeder für sich auch einen Beitrag leisten. „Wenn jeder weniger beansprucht, ist mehr Raum für Natur.“ Zum Beispiel weniger Fleisch, weil bei der Massentierhaltung Unmengen von Gülle anfallen, die in der Landschaft landen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Die Rote Liste zeigt aber auch: Schutzmaßnahmen haben Erfolge. So konnte die pinke Kornrade gerettet werden. Einst ein häufiges Ackerunkraut, war sie vom Aussterben bedroht. Ihr Bestand konnte sich erholen. Zahlreiche Initiativen von Naturschutzverbänden, aber auch von Privatmenschen, die sich nach bunten Blütentupfern sehnen, machen das möglich.

Regionale Wildblumen für mehr Artenvielfalt in Köln

Ein Beispiel ist das Projekt „Stadtwiesen statt Rasen“ vom Nabu und dem Amt für Landschaftspflege und Grünflächen in Köln. Ziel des Modellprojektes: Bislang häufig gemähter Parkrasen soll zum Lebensraum vieler Pflanzen- und Tierarten werden. „Wir wollen mit regionalen Wildblumen wieder mehr Artenvielfalt in die Stadt bringen“, erklärt Birgit Röttering vom Nabu Köln. Auf diese Weise können solche Bereiche in Städten zu kleinen Oasen der Artenvielfalt werden, die auf dem bewirtschafteten Land keine Chance hätten.

schmetterling admiral blume

Vielleicht erreichen solche Projekte auch, dass die Pflanzen nicht nur wieder in unsere Städte einziehen, sondern auch in unsere Köpfe. Denn es gehen nicht nur die Pflanzenarten zurück, sondern auch die Menschen, die diese Arten überhaupt kennen. Und das ist ein Problem, denn ohne Ehrenamtliche mit Artenkenntnis ist es nicht möglich, eine Rote Liste überhaupt zu erstellen, um festzustellen, welche Arten abnehmen. „Das Interesse bei den jungen Menschen ist schon da“, sagt Thomas Hövelmann. Es fehlt jedoch an Lehrkräften und Platz im Lehrplan für die Vermittlung Artenkenntnis. „Das ist ein typischer Streichposten an der Uni. Dort konzentriert man sich lieber auf Bereiche, in denen viel Geld zu holen ist.“ In 50 Jahren gibt es deshalb womöglich niemanden mehr, der noch Pflanzenarten für die Rote Liste bestimmen kann, fürchtet der Botaniker.

Rundschau abonnieren