Im „Goldenen Handschuh“Heinz Strunk begibt sich auf die Spuren von Fritz Honka

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Heinz Strunk

Autor Heinz Strunk (r.) mit dem ehemaligen Besitzer Jörn Nürnberg.

Köln – "Die Sonne sieht aus, als sei sie mit alten Zeitungen beklebt." Und so trübe und schmierig geht es auch im "Goldenen Handschuh" zu. Geschichten vom Bodensatz der Existenz (und noch ein Stück darunter), erzählt von Heinz Strunk in seinem neuen, für den Leipizer Literaturpreis nominierten Buch. Dreh- und Angelpunkt ist die titelgebende Hamburger Kneipe, "ein Laden, der rund um die Uhr auf hat, wo die hingehen, die noch nicht genug haben, und die Stammgäste sind, die keiner will".

Und die bilden ein echtes Gruselkabinett, ein Panoptikum von Figuren, die man lieber im Schatten wähnen würden, als sie hier unter Strunks brutal ausgeleuchtetem Mikroskop zu erleben: Soldaten-Norbert (war bei der SS), Fanta-Rolf (wollte mal toller Zuhälter werden), Samba-Eddy (hat's auch echt vermasselt) und mittendrin - oder doch eher am Rande: Fiete, klein, schief, "mit eingedrücktem Gesicht". Auch die Frauen, die hierherkommen, sind von der Sorte, die sich gegenseitig oder auch schon mal die Kerle unter den Tisch säuft. Oder so sind wie Gerda, obdachlos, am Ende. "Wie dreckiger Rasierschaum ergießt sich graues, dünnes Haar über die Rückseite ihres eulenartigen Schädels." Genau die Art von Frau, bei der Fiete noch so gerade eben landen kann. Und die er zu seinen Opfern macht. Denn Fiete heißt mit richtigem Namen Fritz Honka, der Serienmörder, auf dessen Konto zu Beginn der 70er Jahre vier Frauenmorde gehen.

"Kultige Kiez-Kneipe"

Auf der Suche nach Geschichten ist Strunk ("Fleisch ist mein Gemüse") im "Goldenen Handschuh" gelandet, der laut Eigenwerbung im Internet "kultigen Kiez-Kneipe", die der ehemalige Boxer Norbert Nürnberg eröffnete und nach ihm Sohn und Enkel führten. Da tauchte auch irgendwann der Name Honka auf.

Fürs Buch sinkt Strunk sprachlich und inhaltlich tief in die Szene - und "widerlich" ist das Wort, das einem beim Lesen immer wieder durch den Kopf geht. Denn bei aller Präzision der Beschreibungen, man riecht förmlich die nach Alkohol, Zigaretten (am besten ohne Filter) oder gar anderem stinkenden Gäste.

Man wird ständig von der Angst geschüttelt, dass man an Barhocker, Theke oder Gläsern kleben bleibt. Und man möchte eigentlich gar nichts wissen von den sadistischen Sexfantasien, die sich durch die Alkohol getränkten Gedanken Honkas walzen - und schon gar nichts von denen, die er auch in die Tat umsetzt. Strunk als brillanter Chronist des Ekelhaften. Dass Honkas Frauen nicht mit einer Leberzirrhose, sondern zerstückelt im Müllsack enden, präsentiert sich ebenso sehr fast beiläufig wie als eine Form von Erlösung.

Doch es gibt Verschnaufpausen von den Exzessen im "Handschuh" oder den Erbärmlichkeiten in Honkas von Verwesungsgeruch (er hatte die Frauenleichen in irgendwelchen Ecken deponiert) durchdrungener Bleibe. Zwei Mitglieder einer Reedersfamilie verkehren auch im Handschuh, versuchen sich auch im Verkehr mit dem anderen Geschlecht und sind auf ihre Art genauso verdorben wie der Rest des Publikums. Der Unterschied ist nur, dass sie, wenn sie genug haben, in schickere Zuhause zurückkehren können. Dabei ist der leicht behinderte Teenager-Junge ein weiteres Würstchen, während den Bruder seiner Mutter in Ansätzen ein Hauch von "Hanseatic Psycho" auf den Spuren von Bret Easton Ellis' Patrick Bateman umweht.

Diese Prozession der Perversitäten liest man - bei allem Widerwillen - in einem Rutsch, Strunk schafft einen Fluss, der lockt, verführt und einfängt. Und anschließend wieder ausspuckt. Einmal duschen bitte!

Heinz Strunk, Der goldene Handschuh. Rowohlt. 256 S., 19,95 Euro. Für die Lesung am 10. März, 21 Uhr, im Depot 1 gibt es noch Karten.

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