Kölner Krisen- und Kriegsgebietsfotograf„Unmoralisch ist es, nicht hinzusehen“

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Kriegsbild

Ein amerikanischer Soldat im Irak sucht nach Waffen in einem stillgelegten Wassertank. (Foto: Bangert)

Herr Bangert, Sie fotografieren den Krieg. Was motiviert Sie zu Ihrer Arbeit?

Zwei Motive sind für mich - und ich denke, auch für viele meiner Kollegen - sehr wichtig. Das erste ist der klassische, journalistische Gedanke: Ich fahre irgendwohin, in meinem Fall Krisen- und Kriegsgebiete, und versuche von dort aus, so gut und ehrlich wie möglich zu berichten. Das andere kann man vielleicht als Abenteuergedanken beschreiben. Man versucht aus dem Alltag auszubrechen, aus der Wohlstandsgesellschaft. Man sucht nach einem Sinn. Wenn man älter wird, nimmt dieser Gedanke ab - der journalistische Gedanke wird größer. Das ist auch gut. Über die Zeit wird man so ein besserer Journalist, man hat mehr Erfahrung, man geht weniger Risiken ein - und man liefert bessere Arbeit ab.

Zur Person

Christoph Bangert ist freier Fotograf und hat bereits in zahlreichen Krisen- und Kriegsgebieten gearbeitet, unter anderem dokumentierte er den Irak-Krieg für die New York Times. 2014 erschien sein letztes Buch "War Porn", inzwischen befindet es sich in dritter Auflage. Anfang Juni wird sein neues Buch "hello camel" erscheinen. Darin beschäftigt sich Bangert mit dem Absurden und Skurrilen des Kriegsgeschehens. Seit zwei Jahren lebt er mit seiner Frau und zwei Töchtern in Köln.

Sie fordern die Menschen auf, ganz genau hinzuschauen, auch, wenn die Bilder sehr brutal sind. Warum?

Wir Menschen sind meiner Meinung nach dazu verpflichtet, uns auch für Ereignisse zu interessieren, die nicht in unserer unmittelbaren Nachbarschaft passieren. Aus diesen Ereignissen kann man viel lernen. Wir sollten nichts weglassen, weil es uns zu kompliziert ist, weil es uns abstößt oder weil wir emotional nicht damit klarkommen. Wir müssen tapfer sein und uns überwinden, solche Bilder anzusehen.

Haben Sie kein Verständnis, wenn jemand sich die Bilder dennoch nicht angucken will?

Doch, absolut. Selbst ich muss mich überwinden, obwohl ich die Bilder selber gemacht habe. Eins dürfen wir nie vergessen: Es sind nur Fotos. Es sind Abbilder, Interpretationen der Realität. Dennoch fällt es uns unglaublich schwer. Das ist auch völlig normal. Überwinden sollten wir uns trotzdem.

Ist es auch wichtig, sich alte Fotos vom Leid anzuschauen?

Es macht einen Unterschied, ob die Bilder aus vergangenen Zeiten oder aktuell sind. Uns fällt es viel leichter, historisches Material anzusehen, das die Schrecken eines Krieges zeigt. Wir denken dann: Das ist lange her. Diese Distanz haben wir nicht, wenn wir uns aktuelles Material anschauen. Ich denke aber trotzdem, dass beides gleich wichtig ist. Gleichzeitig muss man immer dazu sagen: Der Kontext ist von großer Bedeutung. Ich bin ein leidenschaftlicher Kritiker der großen Bilderflut in den sozialen Medien. Wir müssen einen Kontext finden, in dem das Material einen Sinn hat, es Reflektion zulässt. Das habe ich mit dem Buch versucht. Der Betrachter soll die Möglichkeit haben, die Fotos kurz oder lange oder überhaupt nicht anzusehen.

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In Ihrem letzten Buch waren einige Seiten verschlossen. Damit der Leser sich selbst entscheiden kann?

Genau. Der Betrachter soll daran erinnert werden, dass er die Möglichkeit, eigentlich sogar die Verpflichtung hat, selbst zu entscheiden.

Die amerikanische Schriftstellerin Susan Sontag stellte in ihrem berühmten Essay "Das Leiden anderer betrachten" die These auf, es sei ein menschliches Bedürfnis, das Leid anderer anzuschauen. Stimmen Sie ihr zu?

In diesem Punkt hat sie Recht. Vielleicht, weil wir dann bemerken, dass es uns eigentlich gut geht. Und diese Bilder anzusehen, hat auch irgendwie etwas Verbotenes, da kommt dieser pornografische, voyeuristische Gedanke hinzu. Es gibt Parallelen zur sexuellen Pornografie: Wir wollen das sehen, wir wollen das gleichzeitig auch nicht sehen, wir fühlen uns schuldig, dass wir hinsehen. Aber irgendwann hört diese Parallele auch auf. Die sexuelle Pornografie ist Fiktion. Das, was meine Kollegen und ich machen, das ist keine Fiktion, das ist tatsächlich passiert. Da hört auch der Gedanke von Susan Sontag auf. Wir haben vielleicht das Bedürfnis, uns die Bilder anzusehen - richtig auseinandersetzen wollen wir uns damit nicht.

Sontags Argument ist unter anderem, dass man beim Betrachten der Bilder Mitleid empfindet und dieses Mitleid der einzige Weg ist, sein schlechtes Gewissen zu stillen.

Vielleicht. Das ist ein Dilemma. Es kann so sein, ja. Aber das nützt nichts. Wir kommen um den Akt des Hinschauens und des Uns-Interessierens nicht herum. Manchmal wird dieses Argument benutzt, um zu sagen: Das ist etwas Schmutziges, wir sind Voyeure. Das kann man auch so sagen, es ist nicht falsch. Manchmal gehen die Leute einen Schritt weiter und sagen, es sei moralisch falsch, diese Bilder anzusehen, das Opfer werde noch mal zum Opfer gemacht. Das sehe ich anders. Es ist eher umgekehrt und unmoralisch, diese Bilder nicht anzusehen.

Gerade jemanden, der nicht vor Ort war, können die Bilder vom Krieg auch faszinieren.

Natürlich. Gerade bei älterem Material. Es ist faszinierend. Teilweise sind die Bilder auch ästhetisch. Natürlich ist es interessant, diese Bilder anzusehen. Aber das ist ja auch nichts Schlimmes. Vielleicht ist das sogar ganz gut so, weil wir uns dadurch irgendwann nicht nur für die Szenen sondern die großen Themen dahinter interessieren.

Und wenn man sich die Bilder einfach nur aus einer kurzfristigen Faszination heraus anschaut?

Wenn wir uns online 2000 Bilder vom Irak-Krieg ansehen, hat das keinen Wert. Meine Aufgabe als Fotograf ist, zu dokumentieren, was passiert. Aber ich filtere auch. Ich erzähle das, was ich für wichtig halte. Dieser Filter ist vielleicht auch das, was uns heutzutage durch diese unglaubliche Zahl an Bildern abhanden gekommen ist. Aber ich glaube, das sollte wieder wichtiger werden. Je mehr man sich auf wenige Bilder einlassen kann, desto besser.

Wie schaffen Sie es selbst, mit solchen Erinnerungen umzugehen? Fühlen Sie vor Ort die eigene Hilflosigkeit noch unmittelbarer als der Betrachter des Fotos?

Eigentlich sind die Fotos ziemlich lächerlich im Vergleich zu dem, was tatsächlich stattgefunden hat. Sie sind Abbilder, Interpretation. Das vergessen wir manchmal. Krieg ist so ein extremes Ereignis, das kann man gar nicht so ganz verstehen. Aber das heißt nicht, dass wir als Berichterstatter nicht versuchen sollten, es zu erklären. Wir müssen diesen Riesengraben, der zwischen unserer Gesellschaft - in der fast niemand persönliche Erfahrungen mit Krieg hat - und den Gebieten, in denen jetzt im Moment Krieg stattfindet, überwinden und zeigen, dass die Betroffenen normale Menschen sind, wie du und ich. Und wir müssen zeigen: Es ist mehr oder weniger Zufall, dass der Krieg gerade in Syrien stattfindet und nicht in Deutschland. Wenn wir das schaffen, haben wir viel erreicht. Meine persönliche Erfahrung: Natürlich fühlt man sich hilflos. Aber es ist ein Geschenk, dass man etwas tatsächlich Greifbares mitbringt. Ich muss nicht viel erklären, ich kann einfach die Bilder zeigen und die meisten Menschen haben sofort eine Vorstellung davon, was ich dort erlebt habe.

Kann man gerade beim Betrachten von alten Fotos in Erinnerung gerufen bekommen, wie zufällig und plötzlich Kriege stattfinden können?

Auf jeden Fall. Die Bilder vom zerstörten Köln werden jemanden, der in Köln lebt, immer berühren. Man kann es kaum glauben, welche Ausmaße diese Zerstörung hatte. Man wundert sich fast, dass da überhaupt noch irgendjemand gelebt hat.

Sie sagen also: Hinschauen, auch wenn man sich damit der Gefahr des Voyeurismus ausliefert?

Absolut. Wir haben nämlich keine Wahl.

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