SternenkinderDie Trauer bleibt ein Teil des Lebens

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Der Fotograf Kai Gebel bietet Eltern von Sternenkindern kostenlose Fotografien der Kinder an.

Der Fotograf Kai Gebel bietet Eltern von Sternenkindern kostenlose Fotografien der Kinder an.

Manche Sätze fühlen sich an wie der Schnitt einer Rasierklinge. „Das wird schon wieder“ oder „War sicher besser so“ oder sogar: „Zwillinge sind eh anstrengend.“ Wenn Freunde, Bekannte und oft auch Familienmitglieder von einer Fehlgeburt erfahren, versuchen sie sich häufig in Floskeln zu retten, die nicht trösten, sondern nur die eigene Hilflosigkeit spiegeln.

Isabell Huber (Name geändert) kennt dieses Rasierklingen-Gefühl. Sie ist Mutter zweier Sternenkinder. Verstorbene Kinder, die auf zarte und poetische Weise so genannt werden, weil sie den Himmel erreicht haben, bevor sie das Licht der Welt richtig erblickten.

In dem Jahr, in dem ihre Zwillinge geboren werden sollten, sind sie und ihr Freund fünf Jahre ein Paar. Sie freuen sich riesig und ihr geht es prima. Keinerlei Schwangerschaftsbeschwerden, die kritischen zwölf Wochen sind überstanden, sie ist am Anfang des fünften Monats. Ihre kleine Kugel trägt sie mit Stolz zur nächsten Vorsorgeuntersuchung. Es ist August und das Wetter genau so, wie es sein sollte: warm und trocken.

Ein Gefühl wie im Nebel

Dann, im Ultraschallraum ihrer Frauenärztin wird Isabell plötzlich kalt. Man könnte eine Stecknadel fallen hören. Sie blickt wie gebannt auf den kleinen Bildschirm und wartet darauf, die beiden kleinen bumpernden Herzchen zu sehen. So wie immer.

„Ich kann leider keine Herzaktivität mehr feststellen“, sagt die Gynäkologin sachlich. Als wäre sie nur noch Beobachterin, sieht sich Isabell wie erstarrt auf der Untersuchungsliege liegen. Daneben die Ärztin, die mit der Assistentin spricht. Keine Ahnung worüber. Über eine andere Patientin?

Isabell fühlt sich wie im Nebel. Sie soll eine Frage beantworten „Was meinen Sie, Frau Huber?“ Es geht um die Entscheidung, ob sie auf das Einsetzen der Geburt warten oder diese im Krankenhaus einleiten lassen will. Im Besitz keinerlei geistiger Kräfte entscheidet sie sich für die Einleitung.

Es ist Freitag. Am Montag soll sie sich an der Klinikpforte melden. Drei lange Nächte und zwei Tage, in denen sie versucht, zu begreifen. Sie scheitert. Am Montag wird noch einmal kontrolliert ob es wirklich vorbei ist. Ist es. Dann bekommt Isabell Medikamente, um die Geburt in Gang zu bringen.

„Es kann dauern“, sagt man ihr. Wie lange? Weiß man nicht. Vor der Abfahrt ins Krankenhaus hat ihr jemand ein Buch in die Hand gedrückt. Isabel liest. Irgendetwas mit Australien und Kängurus und Familienclan. Es kommt nicht im Hirn an. Eine Freundin kommt zu Besuch. Es ist nicht einfach, aber Isabell freut sich, dass sie den Mut hatte zu kommen. Auf dem Handy erhält sie Nachrichten von Freunden. Sie schreiben: „Es tut mir so leid.“ „Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“ Isabell weiß es noch viel weniger. Sie muss warten. Bis die Wehen einsetzen. Über fünfzig lange Stunden.

Die Hebamme ist schon etwas älter. Und sie kümmert sich liebevoll um Isabell. Sie fragt beispielsweise , ob sie die Babys sehen möchte. Auf keinen Fall, lautet die spontane Entscheidung. Niemals. Die natürliche Geburt, die keine ist, ist schmerzhaft. Es ist nach Mitternacht. Dann sind sie da. Die Hebamme fragt noch einmal, ob sie die Babys sehen möchte. „Natürlich! Meine Zwillinge!“ So perfekt. So winzig.

Am nächsten Morgen ist Isabell mit ein paar Informationsbroschüren unter dem Arm wieder zu Hause. Ihr Bauch fühlt sich genau so leer an wie ihr Kopf.

Die Stille Geburt ist inzwischen fast neun Jahre her. Heute ist Isabell Mutter von drei gesunden Mädchen. „Sie wissen von ihren Brüdern im Himmel und sind stolz auf ihre Schutzengel.“

Hilflosigkeit im Freundeskreis

Fast noch schlimmer als die Trostfloskeln war für sie die Stille. Wenn die Leute so getan haben, als sei nichts gewesen und sich beschämt abwandten, als sie darüber sprechen wollte. „Ich weiß, dass es schwierig ist, angemessen zu reagieren. Aber Schweigen ist genau so schlimm wie die falschen Worte.“ Am besten sei es, die betroffenen Eltern direkt zu fragen, was sie im Moment gerade brauchen.

Rückblickend empfindet es die Mutter als bitter, aus Unwissenheit Entscheidungen getroffen zu haben, die sie hinterher bereute. Sie hätte ihre Zwillinge beerdigen und um eine Geburtsurkunde bitten können. Als Nachweis schwarz auf weiß, dass die Babys existiert haben. Sie hat es nicht gewusst.

„Das Thema Stille Geburt und alles, was damit zusammenhängt, wird in unserer Gesellschaft unterschlagen.“ Ist jemand davon betroffen, machen sich Rat- und Hilflosigkeit breit. Die Folge sind Sätze wie: „Inzwischen musst Du doch darüber hinweg sein.“ Nein, sie wird nie darüber hinweg sein. Das Erlebte wird immer Teil von ihr bleiben. Viele in Isabells Umfeld konnten nicht verstehen, dass sie nach der Zwillingsfehlgeburt nicht mehr dieselbe war. „Du gehst durch die Hölle und sollst so bleiben, wie Du bist. Das geht nicht“, sagt sie. „Die Trauer wird ein Teil von Dir. Sie geht nie vorüber. Sie verändert sich. Und Dich.“

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