Beim Nachhaltigkeits-GipfelKanzlerin Merkel und Papst Franziskus sprechen sich gegen soziale Ungleichheit aus

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Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Gipfel für Nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen in New York.

Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Gipfel für Nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen in New York.

New York – Eine 18-Jährige stahl gestern Papst Franziskus wie auch Kanzlerin Angela Merkel kurz die Show. Malala Youfsazai, Friedensnobelpreisträgerin aus Pakistan, nutzte die Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York auf der Besuchertribüne für einen beeindruckenden Aufruf. "Bildung ist kein Privileg, Bildung ist ein Grundrecht, Bildung ist Frieden", rief die bei einer Taliban-Attacke schwer verletzte junge Frau und appellierte zum Auftakt des Nachhaltigkeits-Gipfels, mehr für die Bildung der Kinder auf der Welt zu tun. "Das ist die Investition, die die Welt braucht."

Angela Merkel, einflussreiches Glied in der Kette von 160 Staats- und Regierungschefs, die sich verpflichten wollen, bis zum Jahr 2030 unter anderem Armut und Hunger zu beseitigen und den Klimawandel einzudämmen, verband die Vorlage in ihrer Rede mit dem für sie derzeit drückendsten Problem: der Fluchtwelle aus Afrika und dem Mittleren Osten.

Den Ursachen von Flucht entgegenwirken

Für Merkel, die nach 2007 und 2010 zum dritten Mal vor dem größten Forum der Weltgemeinschaft sprach, stehen die 17 Forderungen und 169 Unterziele des Aktionsplans der Vereinten Nationen für das beste Mittel gegen den Exodus aus dem Süden: "Wir müssen den Ursachen von Flucht und Vertreibung entgegenwirken - regional, national und global." Wer Hunger und Armut beseitige, Geschlechtergerechtigkeit schaffe, nachhaltigere Produktions- und Konsumweisen fördere, die Meere und die Umwelt schütze, Diplomatie den Vorrang vor gewaltsamer Konfliktlösung gebe, leiste einen wichtigen Beitrag, um der Welt ein "menschlicheres Gesicht" zu geben. "Veränderungen zum Guten sind möglich", sagte Merkel und verwies auf Teilerfolge. "Die absolute Armut weltweit ist halbiert." Das stimme zuversichtlich für die Zukunft. Deutschland werde dabei seinen Anteil liefern, erklärte die Kanzlerin und erneuerte ein altes Versprechen: perspektivisch 0,7 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung für Entwicklungshilfe aufzuwenden. Derzeit sind es 0,4 Prozent.

Wer außer Franziskus wollte da päpstlicher sein? In seiner Rede stellte sich der Oberhirte uneingeschränkt hinter die Ziele des Gipfels, schüttete allerdings reichlich Wasser in den Wein. Er ermahnte die Weltgemeinschaft, bei den Anstrengungen zum Schutz des Planeten und im Kampf gegen die Armut endlich ernsthaft zu werden. "Der Mensch kann nur überleben, wenn die ökologische Umgebung dafür günstig ist", sagte Franziskus, "jede Schädigung der Umwelt ist eine Schädigung der Menschheit."

Franziskus, seit der Vorstellung seiner Umwelt-Enzykika im Sommer ein Wortführer im Kampf gegen den Klimawandel, rief die Staatengemeinschaft auf, bei der Klima-Konferenz im Dezember in Paris nachprüfbare Entschlossenheit zu demonstrieren. Dabei dürfe die "unverantwortliche Zügellosigkeit einer allein von Gewinn- und Machtstreben geleiteten Weltwirtschaft" nicht verharmlost werden.

Franziskus, der als fünfter Pontifex in 50 Jahren vor der Uno sprach, bezeichnete die Ausgrenzung der sozial Schwachen als die "völlige Verweigerung menschlicher Brüderlichkeit" und einen "schweren Angriff auf die Menschenrechte". Die Armen seien von der Gesellschaft "weggeworfen". Gleichzeitig müssten sie von "Weggeworfenem" leben.

Effektive Institutionen

Energisch stellte er sich gegen eine Politik, die sich in "Deklarationen erschöpft" und "nur gute Vorsätze, Ziele und Zwecke" auflistet. "Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Institutionen wirklich effektiv sind im Kampf gegen diese Plagen." In den 70 Jahren seit ihrer Gründung hätten die Vereinten Nationen einen nicht hoch genug zu schätzenden Beitrag gegen "unkontrollierten Ehrgeiz" und "kollektiven Egoismus" geleistet. Allerdings seien die Entscheidungsstrukturen heute nicht mehr zeitgemäß. Franziskus plädierte für die Teilhabe aller Nationen im UN-Sicherheitsrat und in den internationalen Finanz-Institutionen wie etwa der Weltbank.

Vor allem ärmere Länder seien der Gefahr einer "erstickenden Unterwerfung unter Kreditsysteme ausgesetzt", die zu "noch größerer Armut, Ausschließung und Abhängigkeit führen". Ohne einzelne Länder zu nennen, warnte der Papst davor, die Vereinten Nationen als Mittel zu missbrauchen, "um unlautere Absichten zu tarnen".

Nachhaltige Entwicklung

Die Sustainable Development Goals (nachhaltigen Entwicklungsziele; SDGs) sollen die Ende dieses Jahres auslaufenden Millenniumsentwicklungsziele (MDGs) ersetzen. Letztere wurden 2000 bei einem UN-Gipfel verabschiedet. Sie enthielten acht Vorgaben, darunter die Halbierung von Hunger und Armut weltweit, die Verringerung der Kindersterblichkeit, ein besserer Schutz vor übertragbaren Krankheiten, bessere Bildungschancen und mehr Gleichberechtigung.

Die nachhaltigen Entwicklungsziele wurden nun beim Entwicklungsgipfel in New York von der UN-Vollversammlung beschlossen. Die erste Hürde war Anfang August genommen worden. Damals stimmten die UN-Mitgliedstaaten dem Entwurf der Entwicklungsagenda zu, über den seit mehr als zwei Jahren verhandelt wurde. Darin enthalten sind nun 17 Hauptziele und 169 Unterziele.

Hauptziele bleiben wie bei den auslaufenden Millenniumsentwicklungszielen die Überwindung von Armut, Hunger und Krankheit sowie bessere Bildungschancen und Geschlechtergerechtigkeit. Die UN wollen nun die Industriestaaten gleichermaßen in die Pflicht nehmen und Fragen von nachhaltigem Wirtschaften und Klimaschutz einbeziehen. Zudem sollen alle Nationen regelmäßig Rechenschaft über die Fortschritte im eigenen Land ablegen.

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