Ibrahim B. als Märtyrer im „Dabiq“Bonner in IS-Propagandamagazin gefeiert

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Als Vorbild für Dschihadisten rühmt der IS im Propagandamagazin "Dabiq" den aus Bonn stammenden Ibrahim B. Er starb mutmaßlich im September dieses Jahres. Die Rundschau hat zur Un­kennt­lich­ma­chung das Gesicht von B. gepixelt. (Screenshot: KR)

Als Vorbild für Dschihadisten rühmt der IS im Propagandamagazin "Dabiq" den aus Bonn stammenden Ibrahim B. Er starb mutmaßlich im September dieses Jahres. Die Rundschau hat zur Un­kennt­lich­ma­chung das Gesicht von B. gepixelt. (Screenshot: KR)

Bonn – Er lächelt in die Kamera, sein Gesicht ist freundlich. Abu Junaydah, wie er genannt wird, wirkt glücklich, wie er da steht - mit einem Maschinengewehr in den Händen. Der Text neben dem Foto preist Abu Junaydah al-Almani, den Deutschen, als Märtyrer, rühmt ihn für seinen Missionseifer und seinen Mut bei den Kämpfen in Syrien. Mitte September starb Abu Junaydah. Kurze Zeit später widerfährt ihm eine zweifelhafte Ehre: Abu Junaydah ist einer von jenen "Helden", die es in das Propagandaheft "Dabiq" des Islamischen Staates (IS) geschafft haben.

Nach Informationen dieser Zeitung und des auf Islamismus spezialisierten Politblogs Erasmus Monitor handelt es sich bei Abu Junaydah um den Deutschmarokkaner Ibrahim B. aus Bonn. Heldenverehrung wird in dem zweiseitigen "Dabiq"-Text auch Ibrahims Cousin Badr B. zuteil, auch er aus Bonn. Aus Kreisen der Sicherheitsbehörden wird berichtet, dass die beiden sich in Syrien aufhielten - ausgereist mutmaßlich 2013. Ihren Tod bestätigte ein deutscher Dschihadist in Syrien, zu dem Erasmus Monitor Kontakt hat. Denkbar, wenn auch unwahrscheinlich ist, dass der IS Dschihadisten als "Märtyrer" darstellt, diese aber noch leben und mit falscher Identität nach Europa einreisen, um Anschläge zu verüben.

Mauern des Schweigens in Bonn

Wie viele Männer aus der Bonner Region es bis in die Miliz des IS geschafft haben, wissen wohl nicht einmal die Sicherheitsbehörden. Die durch die IS-Internetpropaganda bekanntesten Bonner Dschihadisten sind Ibrahim B.s "bester Freund" ("Dabiq") Abu Luqman al-Almani, bürgerlich Fared S. Dessen Ex-Frau Karolina R. wurde im Juni dieses Jahres zu fast vier Jahren Haft verurteilt, weil sie Geld und Kameras nach Syrien lieferte. Auch der 28-jährige Yamin A.-Z. aus Königswinter, ein Ex-Telekom-Mitarbeiter, war im Sommer in die Schlagzeilen geraten. In dem ersten komplett deutschsprachigen IS-Internetvideo sieht man, wie A.-Z. und der österreichische Dschihadist Mohamed Mahmoud zwei Gefangene hinrichten. Schon Anfang 2014 starb Bilal Ü. aus Bonn als einer der ersten Deutschen in den Reihen des IS.

Bei der Spurensuche in Bonn nach Ibrahim und seinem Cousin Badr stößt man auf Mauern des Schweigens - häufig aus Angst, manchmal aus Solidarität. Wie bei so vielen jungen Männern, die von Deutschland aus nach Syrien zogen, um sich dort einem vermeintlich "heiligen Krieg" anzuschließen, gestaltet es sich auch im Falle von Ibrahim und Badr B. schwierig, Licht in die jüngere Vergangenheit zu bringen. Bis 2009/2010 war Ibrahim B., damals etwa 20 Jahre alt, offenbar gut integriert. Sein früherer Boxlehrer sagt: "Er war fleißig im Training, fair im Sparring und ein guter Boxer. Er war ein hilfsbereiter und zuvorkommender Junge, der keinerlei radikale Ansichten äußerte." Irgendwann sei er nicht mehr zum Training gekommen.

Eine ehemalige Klassenkameradin zeigte sich schockiert, dass Ibrahim B. mutmaßlich als Dschihadist in Syrien ums Leben gekommen ist: "Ich habe mich sehr gut mit ihm verstanden. Ich fand, dass er immer relativ lebensfroh war." Dass er auch Humor hatte, belegt das Video der Abschlussklasse des Berufskollegs. Titel: "Sie hatten höhere Ziele". Dort präsentiert der "Director" Ibrahim B. muntere Szenen aus dem Klassenalltag - untermalt allerdings mit düsterer Musik.

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In Bonner Salafistenkreisen unterwegs

Der Bonner scheint sich dem IS bald nach seiner Ankunft in Syrien als technisch versierter Propagandist angedient zu haben. Nach Informationen dieser Zeitung und von Erasmus Monitor hat er für diverse Dschihadistengruppen Propagandafilme fürs Internet gedreht und war Synchronsprecher. Dabei dienten ihm mutmaßlich Kontakte in Deutschland. Auch wenn seine alten Freunde nach dem Schulabgang 2010 nur noch sporadisch von Ibrahim B. hörten - so berichtet die Klassenkameradin, er sei am Rhein-Ahr-Campus in Remagen eingeschrieben gewesen -, taucht er 2012 in einem Aktenvermerk der Bonner Staatsanwaltschaft auf. Wie aus Ermittlerkreisen zu hören war, wurde gegen Ibrahim B. wegen der Krawalle vom 5. Mai 2012 in Bonn-Lannesdorf ermittelt - als sich gewaltbereite Salafisten Straßenschlachten mit Polizisten lieferten und zwei Beamte schwer verletzt wurden. Allerdings wurde das Verfahren eingestellt. Erasmus Monitor hat zudem erfahren, dass B. vor seiner Ausreise in Bonn in Salafistenkreisen aktiv war.

Die Ausschreitungen von Lannesdorf waren quasi ein Initiationsritus für deutsche Islamisten. Fast alle, die Rang und Namen in der Szene hatten, gaben sich bei der Straßenschlacht ein Stelldichein. Dass Ibrahim B. nicht nur Propagandamaterial produzierte und missionierte, sondern aktiv kämpfte, davon muss man anhand der Schilderungen in "Dabiq" ausgehen. Dass B. für sich in Deutschland keine Zukunft mehr sah, darauf deutet hin, dass er offenbar seine Schwester nachholte, möglicherweise gar weitere Familienmitglieder. B.s Schwester ist nicht das einzige Mädchen, das Männern in den Dschihad folgte. Dem NRW-Innenministerium zufolge sind etwa 25 Prozent der Ausgereisten weiblich. Von Ibrahim B. heißt es in dem IS-Magazin, er habe zwei Frauen und Kinder hinterlassen. Darunter eine Tochter namens Junaydah. Daher der Kampfname des Vaters: Abu Junaydah.

Bonn bleibt Salafisten-Hochburg

Nach den Anschlägen von Paris sind die deutschen Sicherheitsbehörden noch zurückhaltender mit der Nennung von Zahlen zur islamistischen Szene. Was die bislang aus Bonn ausgereisten Dschihadisten nach Syrien betrifft, erfuhr diese Zeitung zuletzt vor gut einem Jahr von rund 40 Personen, darunter auch einige Frauen. Die meisten von ihnen reisten als (potenzielle) Ehefrauen aus, "die ihren Männern in Syrien ein Nest bauen", wie ein Sprecher des NRW-Verfassungsschutzes sagte. Der IS wolle sein Staatsgebilde etablieren, dazu gehörten eben auch gesellschaftliche Strukturen wie Familien.

Bonn bildet dem Verfassungsschutz zufolge weiter einen Schwerpunkt in der Salafistenszene. Radikale Prediger sind in Bonn äußerst aktiv. "NRW-weit sind es 2500 Salafisten, in Bonn gehen wir von mehr als 200 aus", so der Sprecher. Von den 2500 Salafisten seien 500 gewaltbereit. Mittlerweile seien mehr als 200 aus NRW nach Syrien gereist, 30 seien - soweit bekannt - tot. Von 50 bekannten Rückkehrern säßen viele im Gefängnis. (val)

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