Wahlsonntag„Schönreden hilft nicht“ – Merkels Position geschwächt

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Berlin – Natürlich hat Angela Merkel das alles kommen sehen. Das drohende Debakel, auch die nun aufwallenden Debatten in der Union. Wenn die Christdemokraten in ihrem fundamental wichtigen Landesverband Baden-Württemberg auf einen Wert von unter 30 Prozent fallen, wenn die nun ehemalige Hoffnungsträgerin Julia Klöckner in Rheinland-Pfalz rasant ihre eigene Zukunft überholt hat - dann sendet das Schockwellen in die Partei. Merkel hat das gewusst. Beeinflusst hat das ihren Kurs kaum. Was sie von dem nun schon in ersten Wellen heranbrandenden Unmut hält, hat sie vor einigen Tagen in interner Runde formuliert. "Zeitverschwendung." So sieht sie es. So nüchtern.

Darin drückt sich die Meinung der Kanzlerin aus, dass die Partei keine grundsätzliche Neubesinnung brauche. Nach den massiven Erfolgen der AfD ist das eine mehr als umstrittene Position. Das wird Merkel in dieser Woche noch erfahren. Schon die heutige Vorstandssitzung verspricht heftig zu werden. Dort, wo der Widerstand gegen ihren Kurs stets deutlich war, schlagen die Wellen nun besonders hoch. In der Südwest-Landesgruppe der Unionsfraktion im Bundestag hatte es seit Monaten Widerstand gegen den Flüchtlingskurs der Kanzlerin gegeben. Die Kritiker fühlen sich nun bestätigt. Joachim Pfeiffer, der wirtschaftspolitische Sprecher der Fraktion, fordert eine schonungslose Analyse der Lage der Union.

Fehler sehenden Auges begangen

"Schönreden hilft jetzt nicht mehr weiter", sagt er. Er sieht den Niedergang der Partei nicht nur mit dem Flüchtlingsthema verbunden. "Es ist ein dramatischer Fehler, dass die CDU von der bürgerlichen Mitte bis weit ins konservative Lager eine große Flanke offen gelassen hat", sagt er, und seine Kritik zielt direkt auf die Kanzlerin und Parteivorsitzende. Denn der Fehler sei "nicht irgendwie unterlaufen, sondern sehenden Auges begangen worden". "Auf jeden Fall" und "definitiv" brauche es jetzt eine "Kurskorrektur", fordert Pfeiffer.

Pfeiffers Analyse wird in einer größeren Parteiströmung vollkommen geteilt. Auch Wolfgang Bosbach, einer der Bannerträger des Konservatismus in der Union, meldete sich gestern zu Wort: Auch er warnt davor, in der Flüchtlingsfrage den einzigen Grund der Niederlagen zu sehen. "In den letzten Jahren sind viele Menschen - auch aus der Mitte der Gesellschaft - politisch heimatlos geworden", sagt Bosbach unserer Zeitung. "Einige gehen einfach nicht mehr wählen, andere zur AfD, viele eher aus Protest als aus Überzeugung."

Bosbach fügt an, dass man die AfD nicht erfolgreich bekämpfe, wenn man sich weigere, mit ihr zu diskutieren. Vielmehr sollten sich die etablierten Parteien fragen, warum die AfD reüssiert. Seine Erklärung: "Wenn jeder, der sich kritisch zur Flüchtlingsfrage äußert, in die rechtspopulistische, ausländerfeindliche Ecke gestellt wird, darf man sich nicht wundern, wenn die AfD zulegt."

Ist die Union unter Merkels Führung zu beliebig und konturlos geworden? Im Kampf um die Deutung des Wahlergebnisses ist diese Sicht der Dinge in der Partei verbreitet. Die CSU sieht das ohnehin so. "Das Fischen in den links-liberalistischen Gewässern gleicht die Verluste an anderer Stelle nicht aus", sagt der CSU-Innenpolitiker Hans-Peter Friedrich im Gespräch mit unserer Zeitung.

„Tiefschlag“ für die Union

Interessant ist in dem Zusammenhang, wie sich Carsten Linnemann, der Chef der CDU-Mittelstandsvereinigung äußert. Er spricht von einem "Tiefschlag" für die Union und einer "Vertrauenskrise" der etablierten Parteien. Dann kommt eine beachtliche Einschätzung: "Wenn zwischen den Volksparteien kaum noch inhaltliche Unterschiede zu erkennen sind und bei den großen Themen Euro und Flüchtlinge faktisch der gesamte Bundestag mit einer Stimme spricht, findet Opposition nicht mehr statt." Dann fühlten sich viele Bürger nicht mehr vertreten.

Zusammengefasst heißt das alles wohl: Die Bundesvorsitzende hat das konservative Profil der CDU verkommen lassen. Solch inhaltliche Kritik kann schnell ins Persönliche umschlagen. Einer aus der Südwest-Landesgruppe erinnerte gestern Abend schon an den Bundestagswahlkampf 1998, wo sich mancher CDU-Landesverband geweigert habe, Helmut Kohl noch zu plakatieren. Die Anspielung ist klar: Wolle man nicht 2017 dasselbe erleben, brauche man eine neue Spitzenkandidatin.

Andere Seite der Medaille

Die Mehrheitsmeinung ist das noch nicht. Zumal es auch die andere Seite der Medaille gibt. Peter Weiß, Vorsitzender der Arbeitnehmergruppe der Unionsfraktion, betont, dass sich die rheinland-pfälzische Spitzenkandidatin Julia Klöckner demonstrativ gegen Merkels Kurs gestellt habe. Was auch für den baden-württembergischen Spitzenkandidaten Guido Wolff gilt.

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