Hospiz: Wenn Kinder sterben„Man wächst hinein, den Tag so zu leben, wie er kommt“

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Kinderhospiz Joel Todaro mit seiner Mutter Melanie

Joel Todaro (r) wird von seiner Mutter Melanie liebevoll auf die Wange geküsst, während sie ihn durch den Raum führt, um seine Gelenke zu lockern. 

Dudenhofen – „Amore!“ ruft Melanie Todaro ihren Söhnen zu und schaut sie dabei aufmerksam an. Julio lächelt, Joel schaut ernst. „Die beiden lieben Italienisch“, sagt Melanie, „die Sprache wie die Nudeln.“ Schließlich sei auch ihr Großvater Italiener. Und für einen Augenblick ist auch das durch die großen Fenster fallende Licht im Kinderhospiz „Sterntaler“ so hell wie an der Adria. „Viele meinen beim Wort Hospiz, sie sehen direkt den Tod“, sagt die 37-jährige Mutter und fügt mit einem offenen Lächeln hinzu: „Aber für uns ist das hier das zweite Zuhause.“

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Melanie mit ihren Söhnen Joel (l) und Julio.

Die Zwillinge Julio und Joel haben eine seltene Stoffwechselkrankheit, das Sanfilippo-Syndrom. Die ersten Anzeichen machten sich im zweiten Kindergartenjahr bemerkbar, als die Kinder vier Jahre alt waren. Zunächst wurde eine Gehörschädigung vermutet und die beiden kamen in eine darauf eingerichtete Kita. Erst als die Brüder schon sechs waren, erhielten die Eltern die richtige Diagnose. Heute sind Joel und Julio 13 Jahre alt.

Platz wäre für elf, aber das Kinderhospiz findet keine Fachkräfte

Die Krankheit hat vieles verändert im Leben der Familie, die in Boppard am Rhein lebt. Die Friseurin hat ihren Beruf aufgegeben, um sich ganz der Pflege der Kinder zu widmen, deren Entwicklung sich Jahr für Jahr etwas verschlechtert, körperlich wie geistig. Wie sieht da der Alltag aus? „Oh, der ist lustig“, antwortet Melanie. „Chaotisch ist es bei uns, aber das bedeutet auch: Es ist immer was los.“ Seit zwei Jahren wird sie von einem Pflegedienst unterstützt, bei Spaziergängen hilft der ambulante Hospizdienst.

Kinderhospiz Anja Hermann

Anja Hermann, Geschäftsführerin des Kinderhospizes Sterntaler in Dudenhofen (Rheinland-Pfalz).

Das stationäre Kinder- und Jugendhospiz des gemeinnützigen Vereins Sterntaler in Dudenhofen bei Speyer ist eine von bundesweit 16 solcher Einrichtungen. Zurzeit werden hier fünf Kinder betreut, rund um die Uhr von 20 Pflegekräften, die meisten in Teilzeit. Platz gibt es für elf Kinder und Jugendliche - aber der Träger findet keine Fachkräfte, um auch die Zimmer im zweiten Stock belegen zu können.

Eine klare Struktur und die Sicherheit im Tagesablauf gibt den Kindern Halt

Das Hospiz gibt Melanie etwas von dem Freiraum, der für andere selbstverständlich ist. Bei der ersten Aufnahme der Kinder vor sechs Jahren habe sie es nicht fassen können: „Oh, jetzt können wir ja zu zweit einfach so essen gehen!“ Etwa drei Mal im Jahr bringt sie die Kinder von Boppard in die Pfalz, nutzt die Zeit, um auch mal schwimmen zu gehen oder in der Sauna zu entspannen.

Kinderhospiz Betreuerin Bettina Manert

Betreuerin Bettina Manert kümmert sich um die Zwillinge Joel (l) und Julio.

In der Zwischenzeit kümmert sich Krankenschwester Bettina Manert um die Zwillinge. „Ganz wichtig ist für sie eine klare Struktur, die Sicherheit im Tagesablauf, das gibt ihnen Halt“, erklärt sie. „Ich möchte sie dort abholen, wo sie gerade stehen, was ihnen gut tut.“ Nach dem langen Sitzen im Rollstuhl tut ihnen der Bewegungstrainer gut. Im Gespräch darüber erinnert sich Melanie an die Zeit, als ihre Kinder noch gesprochen und ausgelassen ihre Umgebung erkundet haben. „Sie waren nur am Rennen, ich denke, sie haben es gespürt, dass sie es irgendwann nicht mehr können.

Wie spricht man über das Sterben und den Tod von Kindern?

Das in einer historischen Mühle eingerichtete Kinderhospiz ist ein besonderer Ort. „Es ist viel Leben im Haus, es ist auch ein Ort des Lachens - und gleichzeitig haben wir das Sterben hier, das Abschiednehmen“, erklärt Sterntaler-Geschäftsführerin Anja Hermann. Gerade erst ist der kleine Simon gestorben. Jetzt haben seine Schwestern den Sarg mit einem Tabaluga-Drachen bemalt und den Weg über den Hof mit Kerzen und Blumen gesäumt. „Die meisten Menschen wissen gar nicht, wie sie über das Sterben und den Tod sprechen sollen, gerade wenn es Kinder sind“, sagt die Hospiz-Chefin. „Hier finden sie den Raum dafür.“

Kinderhospiz Gedenk-Mäuerchen

Am Gedenk-Mäuerchen erinnern Eltern, Geschwister und andere Verwandte an verstorbene Kinder.

Die Erinnerung bleibt lebendig am Gedenk-Mäuerchen im Hospiz-Garten. Unter einem Haselstrauch begleiten Engelsfiguren und Kerzenlichter die früh gestorbenen kleinen Menschen, ihre Fotos stehen in den steingefassten Nischen.

„Wir nehmen jeden Tag, wie er kommt“

Die Mutter von Joel und Julio hat gelernt, im Augenblick zu leben, hat etwas von der Leichtigkeit ihrer Kinder angenommen. Für andere sei dies oft nicht leicht zu verstehen. „Aber man wächst da hinein, jeden Tag so zu leben, wie er kommt.“ Die Kinder gehen in eine Schule mit dem Förderschwerpunkt der ganzheitlichen Entwicklung. Das Miteinander in der kleinen Klasse tue ihnen gut, sagt Melanie. Was können die Kinder von ihrer Umgebung annehmen und verstehen? Melanie lacht und antwortet: „Sie verstehen nur das, was sie verstehen wollen, das ist wie bei den Männern.“

Kinderhospiz Julio Todaro

Julio Todaro (r) lacht seine Mutter Melanie an. Im Moment ist ihm das noch möglich.

Melanie weiß, dass ihre Kinder wahrscheinlich irgendwann nicht mehr schlucken können und dann wohl mit einer Sonde ernährt werden müssen. Aber dieses Wissen hat nichts mit dem Heute zu tun: „Wir denken nicht an die Zukunft, wir nehmen jeden Tag, wie er kommt.“ (dpa)

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